Remake von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo":Über den Wolken

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Style-Ideal minus Smartphone: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (Lea Drinda als Babsi, Jana McKinnon als Christiane und Lena Urzendowsky als Stella, v.l.) spielt auch in den Siebzigern. (Foto: Constantin Television GmbH / Amazon Studios / Soap Images)

Amazon Prime legt den Film über Christiane F. als Serie mit überzeugenden jungen Darstellern wieder auf - aber an wen richtet sich das Remake?

Von Claudia Tieschky

Es beginnt, schließlich geht es hier um Rausch, hoch über den Wolken und in rasender Geschwindigkeit. Im Privatjet von David Bowie wankt eine Partytruppe bei heftigen Turbulenzen, Christiane (Jana McKinnon) setzt sich zu Bowie, sie sagt: "Keine Angst, wir stürzen nicht ab. Ich bin unsterblich."

Es folgt die Einblendung "Fünf Jahre zuvor", und dann beginnt das achtteilige Serien-Remake Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, bei dem das Gefühl vom drohenden Absturz irgendwie bleibt. Das Intro ist trotzdem schnellstens vergessen, aber natürlich ist sie unsterblich, die Figur Christiane F., das Mädchen aus Gropiusstadt in Berlin, das zum berühmtesten Junkie der Welt wurde.

Im Serien-Remake spielt Alexander Scheer David Bowie, das ist möglicherweise eine der weniger katastrophalen unter allen unweigerlich schlechten Lösungen für die Idee, jemanden Bowie spielen zu lassen. Im Kinofilm 1981 trat Bowie selber auf, das zur Dimension des Ganzen.

Bravo machte die kindlich junge Fixerin sogar zum Covergirl

Aufgeschrieben hatten die wahre Geschichte der 14-jährigen heroinabhängigen Christiane Felscherinow die Journalisten Kai Hermann und Horst Rieck für den Stern, 1979 erschien ihr Buch, das zum Bestseller, später zur Schullektüre und schließlich von Uli Edel verfilmt wurde - teils ohne Drehgenehmigung an den echten Schauplätzen. Es war ein Aufklärungsprojekt über Sucht und Kinderprostitution, Illustrierte klärten ständig über etwas auf in dieser Umbruchszeit, die näher am Weltkriegsende war als die Gegenwart am Jahr 1981.

Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo schuf ganz nebenbei einen Teenagermythos, der bis in die Kleinstädte hinein wirkte, weil es so vieles gleichzeitig und so viel Universelles war - Dokument einer Rebellion gegen Hässlichkeit und gegen Erwachsene, zarte Love-Story und Sex, der nicht von Doktor Sommer betreut wurde, sondern zum Geldverdienen stattfand; außerdem Extremerfahrungen im Untergrund Berlins und überhaupt dem Untergrund. Ganz sicher nicht zufällig lieben sich in Uli Edels Film die knochendürren Kinder Christiane und Detlef auf einer Matratze, über der das Fahndungsbild von Ulrike Meinhof hängt. Und natürlich eine Geschichte zur Abschreckung wie beim Struwwelpeter, nur dass das böse Ende hier als Tod auf der öffentlichen Toilette mit der blutigen Spritze im Arm wartet.

Natja Brunckhorst als Christiane F. in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" im Jahr 1981. (Foto: imago images/Mary Evans)

Keiner musste 1981 schon 16 sein und damit Zutritt zum Kinofilm von Uli Edel haben, um alles über das schaurig-schreckliche Schicksal der Christiane F. zu wissen. Noch nicht mal das Buch musste man lesen. Die Bravo hielt ihr Publikum verlässlich auf dem Laufenden. Zum Filmstart machte das Magazin die von Natja Brunckhorst gespielte, kindlich junge Fixerin sogar zum Covergirl - mit glasigem Blick und im Jeans-Outfit, ganz so wie der "feminine James Dean", wie Drehbuchautor Hermann Weigel sein Geschöpf im Spiegel bezeichnet hatte. Während der Film in der Erwachsenenpresse aus unterschiedlichen und tatsächlich oft pädagogischen Gründen gar nicht gut wegkam, erhob Bravo in den folgenden Monaten das Kinoplakat zum Poster, ebenso wie ein Motiv, auf dem Natja Brunckhorst zu David Bowie aufschaut, dem sie einmal vor der Bühne ganz nahe kommt. Bravo hatte erkannt, was der wahnsinnig attraktive Schocker neben allem anderen auch war: ein kaum weniger attraktiver Musikfilm über David Bowie.

Die maßgeblich Verantwortlichen für das Serien-Remake sind alt genug, um sich der Wucht der Geschichte von Christiane F. bewusst zu sein.

Headautorin Annette Hess erinnert sich: "Ich war dreizehn und fand es völlig faszinierend, dass sich Jugendliche in meinem Alter vollkommen kompromisslos benehmen wie Erwachsene. Ganz abgesehen von der sexuellen Ebene, dass da Zwölfjährige auf den Strich gehen. Ich werde nie vergessen, dass meine Schwester, neunjährig, auf einer Reise hinten im Auto dieses Buch las und wahrscheinlich 70 Prozent nicht verstanden, aber doch etwas gespürt hat."

Hess hat mit Regisseur Philipp Kadelbach, 46, den Produzenten Oliver Berben, 49, und Sophie von Uslar, 53, und dem Writers Room mit Linda Brieda, Christiane Kalss, Johannes Rothe, Lisa Rüffer, Florian Vey die Serie als Koproduktion mit Amazon realisiert. Teile der alten Tonbandaufnahmen mit den Gesprächen zwischen Christiane Felscherinow und den Journalisten Hermann und Rieck gingen in die Stoffentwicklung ein. Manche Originalaufnahmen sind erstmals in einer begleitenden Audio-Dokumentation bei Audible zu hören.

Manchmal ist es vielleicht doch eine Spur zu viel modeltauglicher Heroin Chic

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo spielt wie das Original in den späten Siebzigern, ist aber in puncto Kleidung und Frisuren erstaunlich kompatibel mit dem aktuellen Style-Ideal minus Smartphone. Die Clique ist größer als beim letzten Mal, die Familien rücken stärker ins Bild, gefährlich halb heil oder gleich komplett kaputt. Überhaupt spielen die Erwachsenen eine deutlich sichtbarere Rolle, wie zum Beispiel der schwitzende Günther, der Heroin gegen getragene Höschen tauscht, Mädchen Notfallunterschlupf bietet und den Missbrauch mit Gemütlichkeit überdeckt. In dem großartigen jungen Cast - Michelangelo Fortuzzi, Lea Drinda, Jeremias Meyer, Bruno Alexander - sticht neben McKinnon vor allem Lena Urzendowsky heraus, die ihrer Stella immer noch mehr Härte gibt, je mehr sie einstecken muss, bis man sie für eine alte Frau halten könnte. Bei den anderen ist dagegen manchmal vielleicht doch eine Spur zu viel modeltauglicher Heroin Chic.

Für die Sehnsüchte der neuen Kinder vom Bahnhof Zoo aber hat die Serie eine starke Bildsprache gefunden, die ins Surreale ausgreift: Da liegen plötzlich schneebedeckte Berge hinter der Hochhaus-Betonbrüstung, da fliegen Menschen über die Tanzfläche, weil es grad so schön ist, und ein letztes wärmendes Kaminfeuer brennt in einem Bungalow, der auf einem grauen Stück Stein durch den Weltraum schwebt.

Im Moment werden ständig Erfolge von früher bemüht, die Bekanntheit hilft im massenweise Stoff verarbeitenden Seriengeschäft. Coming-of-Age-Geschichten, zu denen Christiane F. strenggenommen gehört, sind außerdem ein Lieblingsgenre von Streaming-Plattformen. Soweit alles folgerichtig, marktkonform, also super.

Nur, an wen richtet sich das? An die Generation der Leser von damals? Oder an Jugendliche mit der Empfehlung, die Schullektüre ihrer Eltern und das Elend der Fixer für sich zu entdecken? Versucht wird beides. Die Serie setzt Reize, die zurückführen ins alte West-Berlin, in eine sehr prädigitale Vorstellung von Freiheit und Gefahr. Und sie erzählt gleichzeitig von heute, und das nicht nur deshalb, weil Tanzflächen früher ganz klar anders aussahen.

Der Schocker ist jetzt ein Mehrgenerationenprojekt. Wahrscheinlich geht so Unsterblichkeit.

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, bei Amazon Prime, Das Berlin der Kinder vom Bahnhof Zoo, gesprochen von Bibiana Beglau, bei Audible

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