Amazon-Serie "As We See It":Heldenreise zur Straßenecke

Lesezeit: 2 min

Albert Rutecki, Rick Glassman und Sue Ann Pien in ihren Rollen als drei junge Autisten, die sich durch den Alltag navigieren. (Foto: Ali Goldstein/AP)

In "As We See It" kämpfen drei junge Autisten mit dem ganz normalen Wahnsinn des Erwachsenwerdens.

Von Philipp Bovermann

Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch der Staubsaugerroboter. So unterschiedlich Jack, Violet und Harrison auch sein mögen, sobald der kleine Roboter loszieht, bleiben sie alle drei andächtig stehen. Die schnurgeraden Bahnen, auf denen die Maschine ihren Weg sucht, ihre Berechenbarkeit beruhigt sie. Menschen hingegen sind unberechenbar. Menschen sind ein Problem.

Die Amazon-Serie "As We See it" erzählt von drei jungen autistischen Erwachsenen, die zusammen in einer WG leben. Die Betreuerin Mandy hilft ihnen, mit der chaotischen Welt da draußen klarzukommen. Gleich in der ersten Szene führt sie den dicken Harrison vor die Tür auf die Straße, vor der er Angst hat, weil es dort Menschen gibt, Lärm, Hunde. Nur bis zum Café an der Ecke soll er es schaffen, und fast hätte er es auch geschafft, aber dann geht es doch schief. Harrison macht kehrt, rennt.

Es geht auch um klassische Probleme des Heranwachsens

Die Heldenreise die Straße runter, größte Gefühle in den profansten Alltagssituationen, so funktioniert hier die dramaturgische Grundspannung. Die Serie schubst ihre Protagnisten permanent aus ihren Komfortzonen. Gut so. Eine WG aus Autisten hätte sich auch als Sitcom erzählen lassen, mit nerdigen Gesprächen über Zahlenkram auf dem Sofa und skurrilen Situationen, wenn dort mal ein potenzielles Liebesobjekt Platz nimmt, quasi als "Big Bang Theory" mit drei Varianten von Sheldon Cooper. Stattdessen vermittelt sie den Eindruck, dass sie ein ernsthaftes Interesse daran hat, Menschen mit Autismus zu zeigen als das, was sie sind: Menschen mit Autismus.

Es geht auch um ganz profane Probleme des Erwachsenwerdens: Jack möchte als das Genie anerkannt werden, das er tatsächlich ist, meistens zumindest. Harrison möchte abnehmen, aber er möchte auch Pfannkuchen essen. Violet möchte unbedingt einen Freund, installiert Tinder, trifft einen Typen in einem Restaurant, der nicht von der Toilette wiederkommt, woraufhin ihr Bruder ihr das Handy abnimmt und ihr stattdessen ein altes, unsmartes Modell gibt. Von da an trauert sie den Emojis nach.

Trailer zur Serie:

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Die Ventile fehlen, das Gefühl für Grenzen. Alles ist pur und ungefiltert. Begeistert, dann wieder tobend vor Wut flattert Violet durch die Szenen, plappert ohne Punkt und Komma darüber, dass sie endlich mal flachgelegt werden will. Jack erfährt, dass sein Vater todkrank ist. Darauf reagiert er, wie er auf alle Probleme reagiert: Er verwandelt sie in ein analytisches Problem, fängt an, wie besessen zu Krebs zu recherchieren. "Ich bin noch nicht bereit", sagt er in einer Szene, steif wie ein Brett vor Anspannung. "Ich habe noch nicht alle Informationen, um bereit zu sein."

Die tiefen, sorgenvollen Blicke nerven etwas

Er lernt dann, dass man auf den Tod eines geliebten Menschen nicht vorbereitet sein kann. Sie alle lernen ihre Lebenslektionen - und wenn man an der Serie etwas aussetzen will, dann den amerikanisch-weihevollen Ton, in dem hier erzählt wird, wie Menschen über sich hinauswachsen. Mandys tiefe, sorgenvolle Blicke. Die impliziten Plädoyers, wie wichtig es ist, sich zu kümmern.

Andererseits: Wäre es eine deutsche Serie, enthielte sie statt der pastoralen Noten, die immerhin nur milde befremdlich sind, wahrscheinlich ein kräftige Prise Sozialpädagogik. Und die wäre bestimmt wirklich nervig.

As We See it - Ungewöhnlich normal , fünf Folgen, auf Amazon.

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