Der "Markt für Außenskulpturen" wächst am schnellsten, deshalb produziert Alicja Kwade die Ware im Akkord. Kwade kam mit 19 nach Berlin, um Kunst zu studieren. Jetzt ist sie Superstar und beschäftigt in ihrem Atelier 20 Angestellte und mehrere Gabelstapler. Ihre Stahlkonstruktionen, auf denen schwere Marmorbrocken sitzen, sind bei internationalen Sammlern so gefragt, dass sie mit der Herstellung kaum nachkommt.
Kwade ist eine von drei Künstlerinnen und Künstlern, die in der Arte-Serie "Ist das Kunst?" vorgestellt werden. Doch um die Kunst geht es in den vier Teilen nur am Rande. Stattdessen begeben sich die Macher der Serie, Silke Hohmann und Felix von Boehm, in die Hinterzimmer des Betriebs, dorthin wo Preise, Geld und Marktstrategien ausgehandelt werden. Die Künstler, Auktionatoren, Galeristen und Museumsleute, die sie befragen, scheinen fast dankbar zu sein, endlich einmal über den weißen Elefanten sprechen zu dürfen, allen voran Kwade, die es sichtlich genießt, hinter die Kulissen ihres Erfolges zu führen.
Performances, die aufwendig sind wie Spektakel des Cirque du Soleil
Wir erfahren, wie der Berliner Händler Johann König bei Auktionen auf Werke seiner Künstler bietet, um deren Preise zu stützen. Dass Großskulpturen wie die von Kwade nie weniger kosten dürfen als eine Million Dollar. Und wie Kwade zum ständigen Produzieren gezwungen ist, um ihren Großbetrieb am Laufen zu halten. Johann König beschreibt sie als "mündige Unternehmerin".
Das ist auch Anne Imhof, die 2017 auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen gewann und sich dann "schnell professionalisieren" musste. Anders als Kwade bemüht sie sich um die Aura der unergründlichen Künstlerin. Auf ein groteskes Ledersofa geworfen, mit Kindersonnenbrille und im Berliner Fuck-off-Outfit gibt sie Silke Hohmann raunzend Auskunft. Doch auch sie kann ihre Performances, die aufwendig sind wie Spektakel des Cirque du Soleil, nur mit einem ausufernden Stab von Mitarbeitern realisieren. Und auch sie muss Kompromisse machen: Ohne die Objekte, die sie an Sammler verkauft, wären die Performances nicht zu finanzieren.
Auch Dior liebt Amoako Boafo
Mehr noch als Imhof und Kwade ringt der dritte Künstler, Amoako Boafo, mit seinem Erfolg. Der 1984 geborene Maler hat eine andere Marktgeschichte als Kwade und Imhof, und nicht nur, weil er aus Accra, Ghana, stammt: Er vermarktete seine Gemälde erfolgreich auf Instagram, bevor ihn die westliche Kunstmaschine entdeckte. Heute bringen seine Werke bei Auktionen sechsstellige Beträge. Boafo spürt, wie ihn der Markt aufzufressen droht. "Ich wurde schon gefragt, Leinwände in bestimmten Größen zu produzieren!", stöhnt er. Auch Dior liebt ihn und hat Motive für Handtaschen bei ihm bestellt. "Wenn es nur darum geht, eine Nachfrage zu bedienen, bin ich raus", verkündet er tapfer. Ob er sich dann die gepimpte G-Klasse noch leisten können wird, mit der er über Accras Staubstraßen rumpelt?
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Man lässt sich von Silke Hohmann gerne mitnehmen bei ihren Besuchen auf der Art Basel, in den Ateliers, bei Christie's und auf der Biennale. Allerdings ist unübersehbar, dass Hohmann mit etlichen ihrer Protagonisten gut bekannt ist und dem System, das sie hier offenlegen will, selbst angehört. Sie nimmt offenkundig höflich Rücksicht auf ihre Gesprächspartner, weiß immer mehr, als sie ausspricht. So bewegt sich die Serie etwas verdruckst zwischen vorsichtiger Kritik und unfreiwilliger Affirmation.
"Ist das Kunst?", in der Arte-Mediathek