ARD-Krimireihe "Kommissar Pascha":Vertraut, aber doch anders

Lesezeit: 4 min

Sehnsucht: Eigentlich ist sein Sonderdezernat in Deutschland, Ermittlungen führen Kommissar Pascha (Tim Seyfi) aber auch nach Istanbul. (Foto: BR/Necmi Aydin Sahtariadis)

In Istanbul wird gerade die erste Folge von "Kommissar Pascha" gedreht. Damit komme "Türkisch-Sein als Normalität" in die Haushalte, sagt Autor Su Turhan. Aber ist es da nicht schon längst?

Von Mike Szymanski, Istanbul

Das Fernsehpublikum bekommt einen neuen Krimihelden. Er heißt Zeki Demirbilek und ist trotz dieses Namens ein sehr bayerischer Typ: Er ist Muslim, geht zum Beten in die Moschee und isst gerne Schweinsbraten. Wenn der Rakı leer ist, dann trauert er nicht lange, sondern ertränkt seinen Kummer in Obstler. Der Imam von der Moschee und er sprechen Münchnerisch.

Wer so dermaßen multikulti ist, dürfte als türkischer Ermittler nun wirklich wenig Schwierigkeiten haben, seinen Platz in der 20.15-Uhr-Fernsehverbrechenswelt der Öffentlich-Rechtlichen zu finden - auf der Seite der Guten, natürlich.

Kommissar Pascha heißt die Verfilmung der gleichnamigen Krimibuchserie des deutsch-türkischen Schriftstellers Su Turhan, die gerade mit einem Dreh in Istanbul in die Schlussphase gegangen ist. An einem Donnerstag im nächsten Jahr soll Demirbilek dann als Kommissar Pascha im Ersten ermitteln: "Türkisch-Sein als Normalität kommt dann in die Haushalte", so stellt sich das Autor Turhan vor. "Nette, gediegene Unterhaltung."

Türkisch-Sein als Normalität? Nicht neu

Türkisch-Sein als Normalität im deutschen Fernsehen? Neu ist das nun wirklich nicht. In der Serie Türkisch für Anfänger konnte man der Patchwork-Familie Schneider-Öztürk doch schon beim Zusammenwachsen zuschauen. Auch auf Verbrecherjagd haben die Öffentlich-Rechtlichen Türken schon geschickt. Cenk Batu war verdeckter Ermittler im Hamburg-Tatort. Neu ist aber, wie in Turhans Figur alle Grenzen verschwimmen. An ihm wirkt nichts mehr so fremd, als dass man es den Zuschauern noch irgendwie nahebringen müsste. Es ist fast schon wie bei einem der zahlreichen Regionalkrimis der ARD - sehr vertraut irgendwie und doch auch anders. Mit Kommissar Pascha macht Turhan jedenfalls keinen Problemaufriss.

Der Film erzählt vom Migrantenkind, das mit zwölf Jahren mit seiner Familie nach Deutschland gekommen ist und es bis weit nach oben geschafft hat. Demirbilek, gespielt von Tim Seyfi, leitet das Sonderdezernat "Migra" der Kripo München, das Kriminalfälle unter Migranten aufklären soll. Im Film wächst das Team erst noch zusammen. Demirbilek lässt die junge Niederbayerin Isabel Vierkant (gespielt von Theresa Hanich) und die Berliner Deutschtürkin Jale Cengiz (Almila Bagriacik) zuarbeiten - das sind dann quasi drei Zugereiste, wie man in Bayern sagt.

Mehmet Kurtulus in Hollywood
:Risiko? Gerne, Digger!

Mehmet Kurtulus hatte als "Tatort"-Kommissar einen guten Job. Trotzdem sprang er ab. Er wollte mehr, riskierte alles, zog nach Los Angeles. Jetzt spielt er in einem Actionfilm den Gegner von Samuel L. Jackson.

Von Marco Maurer

"Ihr seid's die Spezialisten für alles Tote, was nicht hiesig ist", erklärt der Vierte im Team, Pius Leipold (Michael A. Grimm), strafversetzter Polizist - und der Einzige, der Schwierigkeiten hat, sich in die neue Gruppe zu integrieren. Man ist nicht wirklich überrascht, dass der erste Fall die Ermittler in die undurchsichtige Welt eines Döner-Imperiums und bis an den Bosporus führt, nachdem ein junger Türke tot aus der Isar gezogen wurde.

Das Touristenviertel im Herzen Istanbuls. Die Hagia Sofia ist zu Fuß nur weniger Minuten entfernt, der große Basar auch. Das Filmteam hat vor der Universität Istanbul die Ausrüstung aufgebaut. Schauspieler Tim Seyfi muss man aber suchen. Er hat sich hinter einem kleinen Häuschen versteckt, das Telefon in der Hand. In dieser Szene geht es um ein großes Gefühl: Liebeskummer. Seyfi sagt, das mache das Türkische an diesem Fernsehkrimi aus. Die deutschen Fernsehkommissare könnten gut ermitteln, der Türke aber sei wirklich gut im Gefühle-Ausdrücken. So einen Satz wie "Freust du dich denn gar nicht?", den kenne man in der Türkei nicht.

Filmfigur Demirbilek hat Sehnsucht nach seiner Ex-Frau, die mit seinem Sohn in Istanbul lebt. Sie unterrichtet an der Uni. Der Kommissar möchte sie sehen und mit ihr essen gehen. Aber als er an ihrer Uni ankommt, sieht er seine Ex in Begleitung eines anderen Mannes aus dem Gebäude kommen. "Ich werde danach wie ein einsamer Wolf durch die Straßen von Istanbul schlendern", erzählt Seyfi und schaltet in den Kummermodus: trauriger Blick, hängende Schultern.

Wie geht das Fernsehen mit Integration um?

Die Rolle desjenigen, der Demirbilek im Film so wehtun darf, hat sich Schriftsteller Turhan für sich vorbehalten. Ein Auftritt nur für einen kurzen Augenblick, als ihr Neuer. Als die Szene gedreht ist, sitzen Seyfi und Turhan im Teehaus, reden über die Integration und darüber, wie das Fernsehen damit umgeht.

Kurden-Konflikt in der Türkei
:Bürgerkrieg im Brennglas

Neun Tage lang hat das türkische Militär die Kurden-Stadt Cizre abgeriegelt. Auf den Straßen kämpfte das Militär gegen die PKK-Jugend. An der Stadt zeigt sich im Kleinen, was im schlimmsten Fall das ganze Land ergreifen könnte.

Von Julia Ley

"Die Zeiten, in denen man über Gastarbeiter redete, sind vorbei", sagt Turhan. Seine Figur ist nicht mehr Zuarbeiter für die Kommissare, sondern Entscheider. Er lässt sich den Kaffee bringen und die Tasche tragen. Die Figur Demirbilek kommt aus einer Akademikerfamilie im konservativen Istanbuler Stadtviertel Fatih.

Wenn auch womöglich unbewusst, wie Turhan erzählt, verkörpert der Fernsehkommissar die neue, seit dem Jahr 2002 wirtschaftlich aufstrebende Türkei. Aus der Ferne hat er verfolgt, wie das Land unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan und seiner islamisch-konservativen AKP einen Aufschwung erlebte. "Man kann als Türke wieder mitreden in der Welt, das Gefühl ist aufgekommen", erzählt er. Dass nun das Land so in Turbulenzen geraten ist, der Kurdenkonflikt wieder ausgebrochen ist und er in den Nachrichten wieder ein Land gezeigt bekommt, in dem erneut gekämpft wird, bedrückt ihn. Als der gebürtige Istanbuler seinen Kommissar schuf, war sein Heimatland noch ein ganz anderes.

Turhan und Seyfi selbst sind ja so was von angekommen in Deutschland: Für die ZDF-Sendung Mona Lisa hat Turhan, der in München lebt, neulich das Oktoberfest erklärt. Und Seyfi hat auch schon einen CSU-Politiker gespielt.

In der Reihe der Fernsehkommissare mit Migrationshintergrund kommt Demirbilek dem Münchner Tatort-Ermittler Ivo Batic, dem Kroaten, noch am nächsten. Bei dem fragt ja schon keiner mehr, wo er herkommt. Mit Kommissar Pascha geht die ARD auch kein Risiko ein, das Publikum zu überfordern. Das schien beim Hamburg- Tatort mit Mehmet Kurtuluş als verdeckter Ermittler Cenk Batu der Fall zu sein. Ein Einzelgänger, der ständig die Rollen wechseln muss und auch schon mal in die eines radikalen Islamisten schlüpft. Er blieb dem Publikum fremd. Obwohl die Krimis viel Lob bekamen, stimmte die Quote nicht. Nach sechs Fällen war Schluss für ihn - in seinem letzten Fall erpresst ihn eine Auftragskillerin, er soll den Bundeskanzler ermorden. Von Demirbilek ist so etwas ganz sicher nicht zu befürchten.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: