ARD-Dokudrama:Dead Man Talking

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Opfer der deutschen Rassenpolitik: Die Leichtathletin Gretel Bergmann (Sandra von Ruffin) wird von der Teilnahme an Olympia 1936 ausgeschlossen. (Foto: Spiegel TV/Martin V. Menke)

Das ARD-Dokudrama "Ein Traum von Olympia" wirkt wie eine Vorabendserie. Ein Off-Erzähler aus dem Jenseits erteilt Geschichts-Nachhilfe.

Von Willi Winkler

Die erste Szene ist auch schon die beste: Ein Mann liegt tot im Wasser und erzählt sein Leben. So fängt Billy Wilders Hollywood-Groteske Sunset Boulevard (1950) an, und mit diesem Kniff beginnt auch D er Traum von Olympia. Dieser Einfall oder Rückgriff ist nicht ohne Charme, aber zugleich auch der größte Fehler dieser Dokufiction: Der Tote redet und redet und kann überhaupt nicht mehr aufhören zu reden.

Das Thema ist auch zu verführerisch: Vor achtzig Jahren fanden in Berlin die XI. Olympischen Sommerspiele statt. Heiter wollte sich das eben noch von der Weltkriegsniederlage gebeutelte Deutschland präsentieren, friedliebend sollte es sein, ganz zivilistisch, und darum wurde auf übergroße Uniform- und Nazi-Präsenz verzichtet.

Unter dem Geleitschutz der Wagnerei in Bayreuth inszenierte Hermann Görings Luftwaffe in jenem Sommer heimlich die "Aktion Feuerzauber" und ermöglichte den Putschisten unter Francisco Franco den Angriff auf die spanische Republik, aber in Berlin sollte ein Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz vorgeführt werden.

Den Berlinern hatte die Regierung Offenheit befohlen - und "sie gehorchten aufs Wort", wie der tote Erzähler weiß. Er heißt Wolfgang Fürstner (überragend gespielt von Simon Schwarz) und wird zum Kommandanten des Olympischen Dorfes berufen. Ein "Traum" erfüllt sich damit für ihn, aber seiner " Fischersfru" von Ehefrau ist das längst nicht genug. Er muss ihr schwören, sie beide "nach oben" zu bringen.

Ein Hauch von Vorabendserie

Dieser Hauch von Vorabendserie ist wahrscheinlich der Preis, der bei der schon lange überstrapazierten, ausgelutschten Mischform Dokufiction fällig wird.

Der Historiker Florian Huber hat das Buch geschrieben und zusammen mit Mira Thiel verfilmt. Durch die gewählte Erzählweise - der redende Tote - wird ganz viel historisches Material hereingereicht, das dann durch den Blick auf ein Strumpfband oder eine scheue Umarmung unter Sportlerinnen für ein Publikum jenseits von Phoenix und Arte erträglicher gemacht werden soll.

Frauen sind auch sonst in diesem Traum von Olympia fürs Sentimentale zuständig, sogar eine angenehme Abwechslung in diesem oft mühsamen Nachhilfekurs in deutscher Geschichte. Trotzdem ist es immer wieder schön, wenn an Olympia 1936 als Beginn des Fernsehzeitalters erinnert wird, auch wenn es damals nur ein paar Tausend waren, die sich in Fernsehstuben die Übertragungen anschauen konnten.

Auch sonst wird fleißig rekonstruiert: Das moderne Deutschland braucht "Sportsoldaten", Leibesübungen werden vielleicht bald kriegswichtig, die Wehrmacht regiert auch beim friedlichen Sport mit, Fürstner selber rühmt sich, dass er Meister im Handgranatenweitwurf ist.

Die Comedian Harmonists, die allerdings schon seit 1934 nicht mehr zusammen auftreten durften, versichern aus dem Hintergrund einer unbekannten Veronika, dass der Lenz da sei, Berlin swingt in Vorfreude auf das Weltereignis, und Deutschland will über alles sein, über alles in der Welt, sportlich jedenfalls. Juden sind zwar weiter unerwünscht und werden drangsaliert, aber es soll nicht bei Tageslicht geschehen.

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Von Cathrin Kahlweit

Die Gegengeschichte zum Dorfkommandanten Fürstner liefert Gretel Bergmann. Die Athletin aus dem tiefschwäbischen Laupheim (schrecklich unbedarft und auf ARD-Hochdeutsch gespielt von Sandra von Ruffin) wird als Jüdin Opfer der deutschen Rassenpolitik. Sie war schon 1931 deutsche Meisterin im Hochsprung, wurde aber nach der Machtergreifung aus dem Ulmer Sportverein ausgeschlossen.

Sie ging nach England, wurde noch besser, musste aber zurückkehren, um die angebliche Weltoffenheit Nazi-Deutschlands zu beweisen. Als die amerikanische Olympia-Mannschaft im Schiff New York verlassen hatte und der drohende Boykott wegen rassistischer Diskriminierung damit ausgeschlossen war, flog Gretel Bergmann aus der Mannschaft. In Sachsenhausen, keine fünfzig Kilometer vom friedlichen Olympischen Dorf entfernt, begann die SS mit dem Bau eines Konzentrationslagers.

Der "Führer" schaut in erfreulich wenigen Szenen vorbei

Olympia 1936 war nicht nur deutsches Schaulaufen gegen den "Neger" Jesse Owens, sondern auch ein gigantisches Bauprojekt. Deutschgründlich betont Fürstner, dass seine Berliner Vorhaben - die Anspielung wird schon so gemeint sein - "pünktlich" fertig geworden seien.

Wie die Winterspiele ein halbes Jahr zuvor in Garmisch müssten auch die in Berlin "zum Anfassen" sein. Vor lauter Aktualisierung der Vergangenheit soll auch der "Führer" einer "zum Anfassen" sein, der ansonsten in für eine Spiegel-TV-Produktion erfreulich wenigen Szenen vorbeischaut.

Peinlicherweise stellt sich dann aber noch vor Beginn der Spiele heraus, dass ausgerechnet Fürstner nicht ganz so rasserein ist, wie es die herrschende Nazi-Ideologie verlangt. Der Dorf-Kommandant tut die "Gerüchte" ab, träumt weiter einen Traum von einem weltweit ausstrahlenden Olympia und wird schließlich doch entmachtet.

Gretel Bergmann, der damals die Teilnahme verwehrt wurde, ist mittlerweile 102 Jahre alt und die vermutlich letzte Überlebende von Berlin 1936. Seit bald achtzig Jahren wohnt sie in New York und weigert sich bis heute, Deutsch zu sprechen.

Der Traum von Olympia. Die Nazi-Spiele von 1936 , Arte, Samstag, 20.15 Uhr; ARD, Montag, 21.45 Uhr.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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