Kolumne: Vor Gericht:Stille Helden

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Zeugenbetreuungsstelle im Landgericht an der Nymphenburgerstraße in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Zeugen müssen vor Gericht erscheinen - und sie müssen dort die Wahrheit sagen. Eine Verneigung vor all den Menschen, die so der Justiz helfen.

Von Ronen Steinke

Die Lautsprecher, mit denen Menschen in den Gerichtssaal gerufen werden, krächzen in Berlin oft ein bisschen wie in einem alten Bahnhof. "In der Sache Krmpff ffffnnn grrrmmff bitte eintreten." Und dann erhebt sich auf dem Flur vor dem Saal ein älterer Mann, der sich vielleicht zum ersten Mal seit Jahren eine Krawatte umgebunden hat, geht etwas schüchtern hinein - und wird vom Richter wieder hinausgeschickt. Der Zeuge solle nicht mitbekommen, was im Gerichtssaal geredet wird, so sagt man ihm. Er solle weiter draußen warten, bis er dran ist.

Es ist in Deutschland Bürgerpflicht: Wer vom Gericht als Zeuge angefordert wird, der muss kommen. Manche Richter sind dann ganz freundlich und bedanken sich erst einmal, dass man erschienen ist. "Ich muss Sie belehren, dass Sie vor Gericht die Wahrheit sagen müssen", sagte neulich die junge Richterin in einem Betäubungsmittelprozess in Berlin zu dem älteren Mann, der bloß zufällig einen Drogendeal beobachtet hatte. "Das sage ich nicht, weil ich Ihnen misstraue", fügte sie hinzu. "Sondern das sage ich zu jedem." Und sie wartete ab, bis der Zeuge nickte. Es hat ja keinen Sinn, wenn jemand eingeschüchtert ist und sich verschließt.

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Zeugen haben kein Recht zu schweigen, außer sie würden sich mit ihrer Aussage selbst belasten oder sie sind mit dem Angeklagten, der Angeklagten verwandt. Zeugen sind eigentlich die stillen Helden des Gerichtssaals, sie selbst haben nichts zu gewinnen. Mehr noch, sie haben sogar manchmal etwas zu verlieren, wenn sie ihrer Bürgerpflicht nachkommen.

Neulich bin ich in einem alten Buch auf einen Vorschlag gestoßen, mit welchen Formulierungen Richter ihre Zeugen "belehren" sollten. Klaus Göbel, Handbuch der Rechtspraxis, Strafprozess. Eine ältere Auflage, 2009. "Sie müssen gleich die Wahrheit sagen", lautete der erste Satz. Anschließend empfahl der Autor eine Kaskade von Drohungen: "Der Meineid, d.h. der vorsätzliche Falscheid, wird bestraft, aber auch der fahrlässige Falscheid steht unter Strafe. Denken Sie daher in Ruhe nach, bevor Sie antworten, denn selbst wenn Sie hier und heute meinen, dass es so und nicht anders war, sich aber herausstellt, dass es doch anders war, und wenn man Ihnen dann vorwerfen kann, dass Sie dieses Falsche hätten merken können und hätten merken müssen, so werden Sie wegen fahrlässigen Falscheids bestraft, wenn Sie den Eid abgelegt haben. Aber auch, wenn Sie den Eid nicht abgelegt haben, muss Ihnen klar sein, dass Sie bestraft werden können, wenn Sie bewusst etwas Falsches sagen oder etwas verschweigen."

Wer eine solche Ansprache hört, fühlt sich schon fast mit einem Bein im Knast. Und auch wenn Richterinnen und Richter aus guten Gründen zugeknöpft bleiben müssen und es sich für sie nicht gehört, Zeugen ihr Mitleid auszusprechen (weil man die Juristen sonst für befangen halten könnte), spricht doch nichts dagegen, sich zugewandt zu zeigen - wie jener ältere Richter in einem Raubprozess, der kürzlich einen Zeugen verabschiedete: "Vielen Dank, dass Sie der Justiz helfen."

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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