WHO-Studie zu Gewalt gegen Frauen:Gewalt kann jede treffen

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Frauen protestieren beim so genannten "Slutwalk" im australischen Sydney gegen sexuelle Gewalt. (Foto: dpa)

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO werden rund ein Drittel aller Frauen weltweit Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Die erste systematische Erhebung zeigt, dass nicht nur Frauen in Entwicklungsländern und bildungsfernen Schichten betroffen sind, sondern auch wirtschaftlich unabhängige Frauen - und Seniorinnen.

Von Violetta Simon

Es passiert viel häufiger, als wir glauben und es trifft nicht nur bildungsferne Bevölkerungsgruppen: Jede dritte Frau weltweit hat mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Das geht aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO hervor. "Gewalt innerhalb von Beziehungen ist die am meisten verbreitete Gewalt gegen Frauen, betroffen sind 30 Prozent aller Frauen weltweit", so der Bericht. Bei 38 Prozent aller Frauen, die Opfer von Morden werden, sei der aktuelle oder ehemalige Intimpartner der Täter. Die weltweit erste systematische Erhebung der WHO macht unter anderem deutlich, dass Gewalt gegen Frauen in allen Ländern, Kulturen und Gesellschaftsbereichen vorkommt.

Auch in Deutschland werden Frauen aller Altersgruppen, aus allen sozialen Schichten Opfer von häuslicher Gewalt. Die Studie "Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen", die die Bundesregierung 2012 veröffentlichte, belegt, dass Frauen in mittleren und hohen Bildungs- und Sozialschichten in einem viel höheren Maße betroffen sind, als bislang angenommen.

"Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Bereiche der Gesellschaft", sagt Marianne Wüstefeld, Geschäftsführerin des Dachverbands der autonomen Frauenberatungsstellen NRW. Zwar hätten gut situierte Frauen theoretisch bessere Möglichkeiten, auszubrechen und könnten komfortabler unterkommen - "die gehen dann eben ins Hotel statt ins Frauenhaus". Im Grunde jedoch seien die Opfer alle in der gleichen Situation. "Wenn es um den Schritt geht, sich zu trennen, brauchen die meisten Frauen Beratung und therapeutische Unterstützung, egal wie gut sie wirtschaftlich abgesichert sind". Frauen mit Migrationshintergrund fänden oft nur schwer Zugang zu den Beratungesstellen. Sie seien in ihren Lebensbereichen viel kontrollierter als in Deutschland geborene Frauen.

Doch vor allem verhindern die Scham der Betroffenen, die Vertuschung durch die Täter, das Wegsehen der Mitmenschen und die Verharmlosung durch die Gesellschaft, dass die Gewaltspirale durchbrochen wird. Das beginnt damit, dass häusliche Gewalt nicht immer greifbar und damit nachweisbar ist. Sie äußert sich nicht nur in körperlichen Übergriffen, wie sie in der WHO-Studie erwähnt werden. Neben sexueller Gewalt und Freiheitsberaubung erleben Frauen auch subtilere Gewaltformen im psychischen, emotionalen oder sozialen Bereich. So werden sie unter anderem bedroht, beschimpft, bevormundet, gedemütig oder eingeschüchtert.

Außerdem passiert Gewalt selten von einem Tag auf den anderen. "Gewalt in der Partnerschaft baut sich langsam auf", sagt FBST-Geschäftsführerin Wüstefeld. Es beginne meist mit Beleidigungen und Herabwürdigungen. "Du kriegst eh nichts auf die Reihe, du traust dich sowieso nicht", bekomme die Frau zu hören. Irgendwann, nicht immer, komme die körperliche Gewalt dazu.

Die Grafik der WHO zeigt: Das Ausmaß der Gewalt steht in Zusammenhang zum Wohlstandsgefälle der Welt. (Foto: WHO)

Rosalind Penfold setzt sich in ihrem Buch "Und das soll Liebe sein" mit den Warnsignalen häuslicher Gewalt auseinander. Darin vergleicht die Autorin die subtilen Mechanismen der Unterdrückung mit Foltermethoden, die im Grunde nichts anderes als Gehirnwäsche seien. Paradoxerweise, so Penfold, würden die Frauen im Laufe der Jahre häufig eine emotionale Abhängigkeit zu ihrem Peiniger entwickeln, vergleichbar mit dem "Stockholm-Syndrom". Das führe dazu, dass sie es wirklich nicht mehr wagten, sich zu befreien.

Eine Situation, die für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar ist. "Die wird geschlagen, warum geht sie nicht?", fragen sie. "Die Traumatisierung macht es den Frauen schwer, sich ohne Hilfe zu trennen", erklärt Wüstefeld. Hier gehe es nicht um Machtkampf auf Augenhöhe, wo man miteinander streite und sich gegenseitig verletze. In einer Gewaltbeziehung übe nur einer Macht aus. "Der andere - in der Regel die Frau - steht darunter und hat ständig Angst vor Übergriffen."

Eine Situation, die übrigens nicht nur wenig gebildete, finanziell abhängige Frauen betrifft: "Gerade in Beziehungen, in denen der Mann wirtschaftlich unter der Frau steht, kann man häufig beobachten, dass er sie kleinmacht", sagt Wüstefeld.

Im internationalen Vergleich spielt aber auch das Alter eine Rolle: wie aus dem WHO-Bericht hervorgeht, sind Frauen vor allem zwischen 40 und 44 Jahren (37,8 Prozent) von häuslicher Gewalt betroffen (am wenigsten zwischen 50 und 59 Jahren mit 15,1 Prozent). Wüstefeld führt die hohen Zahlen darauf zurück, dass in dieser Phase oft Umbrüche passieren, die Kinder älter sind und viele Frauen die Beziehung neu definieren, wieder mehr arbeiten und unabhängiger sein wollen.

Alarmierend ist vor allem der Anteil an häuslicher Gewalt bei Senioren: Die Autoren der Studie verzeichnen einen starken Anstieg bei Frauen zwischen 60 und 64 Jahren (19,6 Prozent) sowie bei den 65- bis 69-Jährigen (22,2 Prozent) - höhere Lebensalter wurden nicht untersucht.

"Das Thema Gewalt im Alter steht in den vergangenen Jahren stärker im Fokus", sagt Wüstefeld. Immer mehr ältere Frauen würden ihre Scham überwinden und sich trauen, die Beratungsstellen aufzusuchen. "Eine Dame war bereits über 80, ihr Mann, den sie seit Jahren pflegte, war jahrzehntelang gewalttätig. Als er schon nicht mehr gehen konnte, schlug er sie mit dem Krückstock. Sie wollte ihre letzten Jahre in Frieden leben und ihn verlassen, scheute sich aber davor, ihren Mann in ein Pflegeheim zu geben", erzählt Wüstefeld. "Am Ende hat sie es geschafft. Weil ihre Kinder sie unterstützt haben".

Doch nicht alle betroffenen Frauen schaffen den Absprung - und bei vielen wird ihre Notlage nicht einmal bemerkt. Doch wie kann man das ändern? "Es muss ein anderes Bewusstsein entstehen", sagt Wüstefeld. Gewalt gegen Frauen müsse geächtet werden. Das Thema gehe alle an.

"Wir müssen Frauen helfen, Hemmnisse und Schuldgefühle zu überwinden, damit sie die Unterstützung durch Organisationen nutzen, um aus der Gewaltspirale rauszukommen", sagt die Leiterin der Frauenberatungsstellen. Doch bin dahin sei es ein weiter Weg: "Uns ist allen bewusst, dass da noch viel zu tun ist."

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