Malbücher von Topmodel:Geschlechterklischees zum Ausmalen

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Wer Geschlechter-Stereotype genauso sympathisch findet wie Diddl, tendiert natürlich dazu, TOPModel verbieten zu wollen. (Foto: Topmodel by Depesche; Bearbeitung SZ)

Der Alles-Elsa oder Alles-Einhorn-Phase entwachsene Mädchen lieben "Topmodel"-Malbücher. Die verkaufen eine Vorstellungswelt, gegen die die gleichnamige Sendung einer Diversitätsparty gleicht.

Von Rike Drust

Immer wenn man an einem "TOP-Model"-Produktständer vorbeikommt, hört man es: Eine Kinderstimme ruft "Mama, kann ich das haben?" Ist es ein Soundchip? Nein, es sind die potenziellen Kundinnen. Und im Zweifel ist es sogar, oje, das eigene Kind.

"TOPModel" ist eines dieser unwiderstehlich geschmacksbefreiten Kindermagnetfelder, die deutsche Familien der Firma Depesche zu verdanken haben: Bücher oder Hefte mit Silhouetten von Models, denen die - natürlich ausschließlich weibliche, junge Zielgruppe - Outfits aufmalen kann. Die Malbücher gibt es nicht nur mit Outfits, sondern auch mit Make-ups, Hundestylings und Nageldesigns. Passend dazu kaufen kann man Täschchen, Schminke, ein monatlich erscheinendes Magazin. Klar gibt es "TOPModel"-Kanäle auf Youtube, Instagram, Facebook und WhatsApp. In der eigenen Online-Community können Mitglieder "Designs" hochladen und bewerten.

So werden Kinder, die der Alles-Elsa oder Alles-Einhorn-Phase entwachsen sind, von den Model-Mädchen mit starren Gesichtern und gleichförmigen Bodys angelockt. Wenig überraschend, dass die so unattraktive wie einstmals omnipräsente Springmaus Diddl demselben Unternehmensschoß entsprang.

Wer Geschlechter-Stereotype genauso sympathisch findet wie Diddl, tendiert natürlich dazu, TOPModel verbieten zu wollen. Wobei die Begründung für das Verbot sich wohl mit dem Kaufanreiz deckt: Es geht hier um eine Gruppe extrem dünner Mädchen, deren Augen fünfmal größer sind als ihre Nasen. Sie existieren, um schön zu sein, süße Boys zu treffen, Hunde zu betreuen, zu malen und zu basteln. Ein wenig erinnert das an den Kosmos eines etwas älteren Girls, das frühere Müttergenerationen wegen seiner komischen Proportionen und seines mangelnden Vorbildcharakters bekämpften: Aber wem hat Barbie jemals ernsthaft geschadet?

Man könnte sich auf das Experiment einlassen und ein TOPModel ins Haus lassen. Dann kann es nämlich passieren, dass man nicht nur ein sehr glückliches Kind, sondern auch einen erstaunlichen Prozess erlebt: Fragen wie "Wen male ich jetzt? Was soll sie anziehen? Trägt sie Schmuck? Wie lang sind ihre Haare?" können nämlich durchaus zu einem Zustand kreativer Versenkung führen. Noch besser könnte es werden, wenn dann beispielsweise ein Bruder dazukommt und fragt: "Warum sind das denn nur Mädchen?" Dann könnte es, schwupp, durchaus passieren, dass einem Model plötzlich ein Bart, eine Brille und weite Klamotten gemalt werden. Fertig ist: der Papa!

Da sieht das Kleid, das eine Fünfjährige gemalt hat, ruckzuck aus wie High Fashion

Für Mütter, die etwas gegen Schönheitszwänge und Körperkult haben, empfiehlt es sich, sich ebenfalls als TOPModel malen zu lassen, und stiftchirurgisch die Proportionen der Realität anzupassen, bisschen mehr Brust, Bauch, Hüfte bitte! Beim gemeinsamen Malen des Mutter-Outfits versteht man die Faszination auf einmal: Kinder, vor allem im Grundschulalter, finden ihre eigenen Bilder umso besser, je realistischer sie aussehen. Und genau dafür sorgen die Umrisse in den Malheften. Da sieht das Kleid, das eine Fünfjährige gemalt hat, ruckzuck aus wie High Fashion, während beim komplett Selbstgemalten die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass jemand sagt: "Oh, ein Eiswagen." Die Anmalpuppen sind keine Identifikationsfiguren. Sie sind einfach nur sehr gut pseudoprofessionell zu bemalen.

Das Problem an "TOPModel" bleibt davon unberührt: Depesche verkauft eben nicht nur Malbücher, sondern eine Vorstellungswelt, in der das Mädchenleben sehr eindimensional bleibt und in der ein so enges Ideal von Schönheit regiert, dass die Topmodel-Sendung aus dem Fernsehen dagegen wie eine Diversitätsparty wirkt. Es muss ja nicht gleich sein, dass die "mutige und selbstbewusste" Fergie sich in ihrer Freizeit an Bahngleise kettet, um Atomtransporte zu verhindern. Aber mutig, weil sie oft die Haarfarbe wechselt? Uff.

Da helfen nur oben beschriebene Tricks: Beauty-Ausmalhefte durch Vielfalt verschönern. Das freche TOPModel Jill, von dem niemand wissen soll, dass es nicht gut sehen kann, trägt jetzt zumindest in einem Ausmalheft eine riesige Brille und Diddl-Füße.

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