Faule Sonntage:Mehr Garfield wagen!

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Am Sonntag sollte einen nichts aus der Ruhe bringen – es spricht auch viel dafür, länger im Bett zu bleiben. (Foto: John Tuesday / Unsplash)

Seit 100 Jahren ist der Sonntag in Deutschland von der Verfassung geschützt. Für die "seelische Erhebung". Aber was heißt das eigentlich?

Von Christian Mayer

Der Zustand zwischen Schlaf und Wachsein ist eine Kostbarkeit. Für kurze Zeit führt man eine Art Dämmerexistenz, noch halb weg und nicht ganz da. Manchmal kann man den Rest eines Traums erhaschen und darüber sinnieren. Doch an den meisten Tagen wacht man ohne Bilder im Kopf auf, dann klingelt der Wecker. Auch das ist ein Grund, warum man den Sonntag gebührend genießen sollte: Weil man einmal nicht aus dem Schlaf gerissen wird. Es klingelt auch kein Paketbote, der das Zeug vorbeibringt, das mal wieder keiner persönlich entgegennehmen will, obwohl es zuvor mit höchster Dringlichkeit bestellt wurde, im Zweifel von Mitgliedern der eigenen Familie oder von lieben Nachbarn, die Pakete-Pingpong spielen.

Genau hundert Jahre ist es her, dass der Sonntag zur Ausnahme von der Regel wurde. In der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 heißt es unter Artikel 139 knapp: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Dieser Artikel gilt bis heute, er wurde im Grundgesetz von 1949 wortgleich übernommen, ein Relikt der ersten deutschen Demokratie. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war auf Betreiben von Kirchen und Gewerkschaften ein Gesetz verabschiedet worden, das die Sonntagsarbeit einschränkte, vor allem die endlosen Schichten in den Fabriken. Fortan herrschte in Deutschland, dem Land der Strebsamen, eine relativ strenge Sonntagsruhe, die durch das Ladenschlussgesetz von 1956 abgesichert wurde - Not- und Rettungsdienste, Krankenhäuser und Polizei, Gaststätten, Theater, öffentliche Verkehrsbetriebe oder auch Zeitungen ausgenommen.

Wie man am wenigsten CO₂ produziert? Na klar, auf dem Sofa

Wobei die Ausnahmen im Lauf der Zeit weiter wucherten, um der Dienstleistungsgesellschaft gerecht zu werden. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2016 etwa 15 Prozent der Erwerbstätigen regelmäßig an Sonn- und Feiertagen, deutlich mehr als zehn Jahre zuvor. Aber das liegt wohl auch daran, dass die Regelung vielen eher lästig ist: 28 Prozent aller Deutschen würden das generelle Verkaufsverbot am Sonntag gerne kippen, ergab eine GfK-Umfrage vor ein paar Jahren. Die meisten wollen wohl, dass das Leben wie ein Lieferdienst ist: Man kriegt, was man bestellt, und zwar sofort. Wobei am besten immer die anderen die Päckchen tragen. Dabei kann es so herrlich sein, eine Zwangspause einzulegen, sich zu entkoppeln, wie das die "European Sunday Alliance" empfiehlt, ein Zusammenschluss europäischer Organisationen, der vor ausufernden Arbeitszeiten warnt.

"Der Sonntag gehört dringend verteidigt und ein für alle Mal unter Artenschutz gestellt", schreibt Constanze Kleis in ihrem neuen Buch "Sonntag! Alles über den Tag, der aus der Reihe tanzt". Die Autorin erzählt, wie aus dem Tag des Herrn ein Tag der Selbstbestimmung wurde, ein Familientag, an dem man endlich mal Zeit hat zum Lieben, Lesen, Feiern, Kochen, Wandern, Werkeln, Träumen; und wenn sich manche einfach nur von der Party am Samstagabend erholen wollen, ist das auch okay. Also klare Empfehlung: Mehr Garfield wagen!

Andererseits gibt es Menschen, die mit dem Sonntag, dem potenziell einsamsten Tag der Woche, so gar nichts anfangen können. Und wer Teenager zu Hause hat, kann beobachten, wie 15-Jährige mit aller Macht versuchen, den Tag als solches zu negieren, Stunde um Stunde im abgedunkelten Zimmer hinauszuzögern, bis wieder die Dämmerung anbricht. Früher gab es in vielen Familien die finstere Drohung eines gemeinsamen Spaziergangs, die bei Heranwachsenden Angst und Schrecken verbreiten konnte. Doch der unspektakuläre Sonntagsausflug ist wie der Sonntagsbraten nicht mehr zeitgemäß. Heute absolviert man lieber Halbmarathons, fährt mit dem E-Bike 3000 Meter hohe Berge hoch, wandert mit Stöcken durch die Vulkaneifel, hangelt sich durch Hochseilgärten oder bucht einen Trip fürs Wochenende in Barcelona, was ein ähnliches Völlegefühl hervorrufen kann wie ein Sonntagsbrunch.

Vernünftiger ist es, das in der Verfassung vorgesehene Recht auf seelische Erhebung auch mal zu Hause in Anspruch zu nehmen. Auf dem Sofa produziert man am wenigsten CO₂, man verbringt den Tag mit jener Nachhaltigkeit, zu der nur haltlose Sonntagsschlawiner fähig sind. Jetzt darf man nur nicht den Fehler machen und gleich wieder was bestellen. Am Montagmorgen klingelt der Paketbote schon früh genug.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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