Kinder - der ganz normale Wahnsinn:"Ja, Schatz, du flötest ganz wunderbar"

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Weg mit dem Eimer, her mit der Flöte! Mit dem Hinführen zur Musik können Eltern nicht früh genug anfangen - müssen allerdings das Musizieren der Kleinen ertragen können. (Foto: J. Hosse)

Wer sein Kind musikalisch fördern will und sich den Unterricht leisten kann, lässt es ein Instrument erlernen. Doch was, wenn sich der Nachwuchs auch nach der besten musikalischen Früherziehung nicht für das wohlklingendste entscheidet - sondern für die Blockflöte?

Von Katja Schnitzler

Nun war doch passiert, was niemals hätte passieren sollen: Das Kind hatte eine Blockflöte. Nicht, dass es schlecht spielen würde, von einigen schrillen Misstönen ganz am Anfang abgesehen, nein. Es ist das Instrument an sich, das nun mal nervenzerfetzend klingt, ist das Lied auch noch so schön.

Schon während der Schwangerschaft, als im Sommer die Nachbarsfenster gekippt und schräge Flötentöne nach draußen drangen, hatte die Mutter eigentlich für sich beschlossen: Ihr Kind würde mal ein Instrument lernen, das von sich aus wohlklingend war. Klavier zum Beispiel. Ein Tastendruck, ein schöner Ton. Wunderbar.

Leider hatte die Mutter nicht die Ausmaße ihrer Wohnung bedacht, die durch die Notwendigkeit eines Kinderzimmers noch enger wurde. Ein Klavier hätte höchstens im Flur stehen können. Vorausgesetzt, niemand wollte die Haustür benutzen.

Was Musik bei Kindern auslösen kann, hatte die schwangere Mutter beim Antrittsbesuch bei einer Freundin gesehen, die wenige Wochen zuvor niedergekommen war. Diese meinte stolz: "Die Kleine hat schon ein Lieblingslied, da wird sie immer ganz aufgeregt. Soll ich es mal spielen?" "Klar", sagte die Mutter und dachte: Typisch überstolze Erstgebärende, was die alles in das Kind hinein interpretieren.

Doch als das Lieblingslied erklang, riss der gerade noch ruhige Säugling die Augen weit auf und zappelte wie wild, so wild, wie Neugeborene eben zappeln können. Erst beim nächsten Lied beruhigte sich das Baby wieder.

Das veränderte einiges: Sollte der Einfluss von Musik auf die Entwicklung der Kinder doch so groß sein, wie es Studien verhießen? Als ihr Mann abends nach Hause kam, folgte er den Klängen von Mozarts "Kleiner Nachtmusik" ins Wohnzimmer. Die werdende Mutter stand vor den Lautsprecherboxen und reckte ihren Babybauch in die Schallwellen. "Für die Synapsen", erklärte sie knapp. Ihr Mann zog die Augenbrauen hoch: "Naja, bei Kühen mag das funktionieren. Die geben dann mehr Milch." Der Mutter wurde klar: Die musikalische Förderung ihres Kindes musste sie allein in die Hand nehmen.

Also tanzte sie erst mit dem Baby im Bauch, dann mit Baby auf dem Arm durch die Wohnung, sang zu Fingerspielen, hörte kitschige, bayerische und sogar türkische Kinderlieder-CDs, bis ihr Nachwuchs alt genug war, ein Benjamin-Blümchen-Hörspiel einzufordern. Ab und an unterstützte der Vater die Mutter sogar und lud leise muhend ganze Mozart-Konzerte für Kinder herunter.

Doch dem Kind gefiel es und auch bei der musikalischen Früherziehung machte es am Xylophon großartige Fortschritte. Ein erstes Konzert im Kreise wohlwollender Eltern war ein voller Erfolg für die jungen Künstler.

Und dann das: Blockflöte, ausgerechnet Blockflöte!

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Nichts anderes wollte das Kind erlernen, nicht erst einmal Gitarre oder Klarinette ausprobieren. Nein, Blockflöte sollte es sein und nichts anderes. "Willst du nach sechs Jahren Einführen in die Welt der Musik dem Kind wirklich die Freude daran verderben?", fragte der Vater süffisant. Das wollte die Mutter nicht. Also Blockflöte.

Das Kind war begeistert, vom Instrument und der wundervollen Lehrerin. Mit voller Kraft blies es in die Flöte, schrille Cs und schiefe Gs erfreuten die Nachbarschaft, es folgten Cis und Gis. Die Mutter knirschte mit den Zähnen und spendete pädagogisch wertvollen Beifall.

Doch nicht nur ihr spielte das Kind vor, auch Großeltern, Paketboten und andere Kinder wurden als Publikum für würdig befunden. Sogar das Christkind bekam eine Kostprobe durch die verschlossene Wohnzimmertür. "Es muss ihm gefallen haben, es hat ganz viele Geschenke dagelassen", sagte das Kind zufrieden und fand: Im Frühjahr war es Zeit für das erste Freiluft-Konzert.

Am ersten warmen Tag, also am ersten Tag mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt, nahm das Kind einen Spielzeugkoffer und setzte sich an den Gehsteig. Für das Konzert hatte es ein klassisches Stück gewählt: Alle meine Entchen. Das spielte es mehr oder weniger flüssig, von vorne bis hinten. Und wieder von vorne.

Die Mutter wünschte viel Erfolg, flüchtete in die warme, ruhige Wohnung und wollte in zehn Minuten das durchgefrorene und sicher frustrierte Kind wieder holen. Doch das Kind war gar nicht enttäuscht: "Schau, ich hab schon zwei Euro verdient!"

Eine alte Dame hatte sich das Entenlied angehört und genau wissen wollen, warum das Kind dort sitze und in der Kälte spiele und ob die Eltern ihm denn kein Taschengeld zahlen würden. Dann hatte sie das Zwei-Euro-Stück in den Kinderkoffer gelegt, das Vierfache des wöchentlichen Taschengeldes.

"Mama", sagte das Kind, "da hat sich der Flötenunterricht aber gelohnt."

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