Erst die Woche zuvor war Weihnachten gewesen. Dann kamen die Feiertage, auch sie wurden im Kreise der Familie verbracht. Warum also, fragten die Freunde, warum wollt ihr auch noch Silvester mit den Kindern feiern? Genießt den Abend mal ohne Familie, nur als Paar. So wie früher, ihr beide - und wir. Jung, wild, ungebunden! Aber die Eltern wollten nicht. Das lag nicht nur daran, dass man an Silvester eher zweimal hintereinander im Lotto gewinnt als einen Babysitter findet. Nein, die Eltern wollten in diesem Jahr bewusst mit ihren Kindern feiern statt sie schlafen zu legen - allerdings ohne auf die Anwesenheit der Freunde zu verzichten.
Diese Idee fanden nicht alle Freunde prickelnd. Sie sahen sich schon eierlaufend und sackhüpfend aufs neue Jahr zubewegen und sagten ab - bis auf zwei andere Paare, eines brachte auch seine Kinder mit. Ein Glücksfall, wie sich zeigen sollte.
Denn andere Väter und Mütter hatten berichtet, wie sich ihre Kinder nörgelnd durch den Silvesterabend schleppten, gelangweilt von den Gesprächen der Erwachsenen, übermüdet ob der späten Uhrzeit. Alle fünf Minuten hatten sie gefragt, wann endlich das Feuerwerk anfange. "Schlimmer als bei der Fahrt in den Urlaub", hatte ein Vater gestöhnt. Dann seien die Kinder um 23.14 Uhr eingeschlafen und hätten das große Schauspiel verpasst, weil sie nicht aufzuwecken waren. Was wiederum für schlechte Laune am nächsten Morgen sorgte, bei der ganzen Familie.
Also bangten die Eltern, wie lange ihre Kleinen wohl durchhalten würden. Sie hätten sich keine Sorgen machen müssen: Das eigene und das eingeladene Geschwisterpaar verschwanden in den Kinderzimmern und spielten und spielten und spielten. Zum Essen hatten sie kaum Zeit, schlangen es hastig herunter und überließen die Feiernden wieder sich selbst und ihren Erwachsenengesprächen. Nur zum Bleigießen waren alle da.
"Was soll das sein?", fragte der Jüngste. "Das musst du erraten", sagte der Vater. "Ist das ein Rätsel?" "Ja, so ungefähr. Das soll dir vorhersagen, was du im neuen Jahr erlebst." "Ich fliege zum Mond?"
"Nein, das ist kein Raumfahrer, das ist ein Monster", mischte sich der ältere Bruder ein. Der Jüngste blickte zweifelnd auf den Bleiklumpen. "Genau so sah das Monster unter meinem Bett auch immer aus", grölte der schon etwas angetrunkene männliche Teil des Paares, das kinderlos gekommen war, weil es noch keine Kinder hatte. So wie die Frau ihren feixenden Freund nun ansah, würden sie zumindest heute Nacht keine zeugen.
"Ach was", mischte sich die Mutter des Jüngsten ein, "das ist ein Fußballer! Du wirst bestimmt viele Tore schießen." Der Jüngste nickte begeistert und suchte nach seinem Glas auf dem übervollen Tisch. In dem Durcheinander aus Sekt-, Saft- und Biergläsern fand er zwar nicht seines, aber offenbar ein Glas für Kinder, denn darin war Cola. Er trank. Und röchelte.
"Das war mein Cuba Libre", sagte der Angetrunkene und grinste schon wieder. Er würde wohl für immer kinderlos bleiben.
Der Jüngste schnappte nach Luft, die Mutter rannte zum Wasserhahn, die anderen Kinder staunten. Die Mutter rannte zurück und flößte ihrem Sohn das Wasser ein. "Wir müssen den Notarzt rufen", rief sie aufgelöst. "Nö", sagte der Angetrunkene, "der Kleine kotzt eh gleich." Und in der Tat, er hatte Recht.
Danach ging es dem Jüngsten besser, und nach einem Schnaps ("Aber keinen Rum, bitte") auch den Nerven der Mutter. Mitternacht nahte.