Morgens um kurz vor acht wird es hektisch in deutschen Wohnungen, dann werden Computer in letzter Minute eingeschaltet, besorgte Eltern scheuchen ihre Kinder an den Schreibtisch, sie kämpfen mit der Wlan-Verbindung und, noch schlimmer, mit der unaufhörlichen Müdigkeit, die zur Pandemie genauso dazugehört wie die FFP2-Masken. Diese Minuten, bevor dann mit etwas Glück doch noch gerade rechtzeitig das Bild mit der Englischlehrerin auf dem Rechner erscheint, haben etwas von einem täglichen Countdown; es ist ein Rennen gegen die Technik und gegen die Trägheit. Ach, was gäbe man dafür, wenn man zu Hause eine Mrs. Doubtfire hätte, die den Kindern Beine machen würde, ohne schon früh am Morgen die Nerven zu verlieren.
Deutlich entspannter gehen übrigens die Kinder und Jugendlichen selbst mit der morgendlichen Herausforderung um: Für sie ist das Hochfahren des eigenen Betriebssystems eine Sache, die man auch etwas gemütlicher angehen lassen kann. Viele von ihnen haben sich in ihr Schicksal gefügt und längst erkannt, dass es im Homeschooling - genauso wie im Home-Office - entscheidend darauf ankommt, im richtigen Moment seine Präsenz zu bestätigen. Also den Chefs beziehungsweise den Lehrern zu signalisieren, dass man physisch existiert, wenn auch nur als Mini-Rechteck irgendwo am Ende einer Leitung. Wer sich einmal gemeldet hat, kann sich beruhigt zurücklehnen, vielleicht sogar noch einmal bei ausgeschalteter Kamera ein kleines Nickerchen halten, sein Müsli zu Ende essen oder Comic-Zeichnungen von seinen Mitschülern anfertigen. Machen die Erwachsenen ja auch oft so: Yogaübungen oder Fingernägel feilen während der Videokonferenz, man darf sich nur nicht dabei erwischen lassen.
Aber erst mal muss man eben den Morgenappell hinter sich bringen, und diesen Moment sollte man besser nicht verpassen: In Corona-Zeiten ist es ja wieder üblich, die Schüler in alphabetischer Reihenfolge nach ihrer Anwesenheit zu fragen. Das führt nicht selten zu hektischen Bewegungen und Kreischanfällen im Haus, etwa wenn die Lehrerin gerade eben laut Max und Nora aufgerufen hat. Philipp und Sabrina können also sicher davon ausgehen, dass sie im nächsten Moment an der Reihe sind, sitzen aber entweder noch auf dem Klo oder streiten mit ihren Erzeugern über die Frage, wer für den Ausdruck der 18-seitigen Arbeitsunterlagen in Geschichte zuständig war. Zum Glück wissen die Lehrer nie so genau, was sich im Hintergrund ihrer tapferen Unterrichtsversuche so alles abspielt.
Aus dem Laptop ist längst ein Bett-Top geworden
Besonders bei Teenagern erfreut sich auch der Liege-Unterricht großer Beliebtheit. Man hat das Laptop längst zum Bett-Top umfunktioniert - solange man den Morgenappell erfolgreich absolviert hat, kann man Mathe und Deutsch ja auch in der Horizontalen verfolgen und den Schlaf nachholen, den man am Abend zuvor beim Discorden mit den besten Internetfreunden versäumt hat. Es reicht, um genau 7.55 Uhr den Rechner hochzufahren, sich einmal kurz in eine repräsentative Sitzposition aufzuwuchten, die Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen und sich ansonsten betont sparsam zu bewegen - ein Radius von maximal 1,5 Metern verhindert Inzidenzen aller Art.
Man sollte sich also nicht wundern, wenn das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, die alle zu Hause an ihren Geräten hängen, leicht getrübt ist. Alle Motivationsversuche der Erwachsenen, das Thema Homeschooling doch etwas alerter anzugehen, sind schon beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 grandios gescheitert; jetzt geht es um Schadensbegrenzung. Immerhin sind die Lehrerinnen und Lehrer inzwischen mehr auf Zack, und es soll engagierte Mütter und Väter geben, die das digitale Unterrichtsgeschehen gar nicht so ungern verfolgen, natürlich immer nur rein zufällig, man schnappt etwas auf, wenn man gerade in der Nähe ist, so wie man auch gegen seinen Willen in die neue Netflix-Serie reingezogen wird, die möglicherweise parallel zur Lateinstunde abgespielt wird. Bleibt ja eh alles in der Familie.
Wie sagte doch eine Mutter neulich, als im Unterricht zum dritten Mal die gleiche Frage gestellt wurde: "Ich hätt' ja am liebsten reingerufen: Jetzt pass halt auf, du Depp!" Letztlich ist das Homeschooling auch eine beeindruckende Erfahrung: So eine Geduld wie die meisten Lehrer muss man erst mal haben.