Martin zum Beispiel. Er war von Beginn an ein aktiver Vater, hat fünf Monate Elternzeit genommen und danach jeden Mittwoch Home-Office gemacht, um seine Tochter aus der Kita abholen zu können. Es ist für ihn selbstverständlich, auch nach der Trennung für sie da zu sein. Mittwoch bis Sonntag ist Emma bei ihm, die nächsten acht Tage bei seiner Ex-Frau. Die Zehnjährige hat zwei Zahnbürsten, zwei Fahrräder, zwei Kinderzimmer - aber nur einen offiziellen Wohnsitz. Für die Behörden lebt sie bei der Mutter, der Vater müsste voll zahlen.
Familienministerin Franziska Giffey findet das ungerecht. Denn bislang fällt der Kindesunterhalt nur weg, wenn Eltern im Wechselmodell, also genau 50:50 betreuen, und nicht wie Susanne und Martin 65:35. Giffey sagte kürzlich in einem Interview, es gehe nicht an, "dass der Vater weiterhin den vollen Unterhalt zahlen muss, auch wenn das Kind viel Zeit bei ihm verbringt und sogar ein eigenes Zimmer bei ihm hat. Wir müssen das Recht hier der gesellschaftlichen Realität anpassen".
Die Familienrechtsreform von 1977 irritierte viele Männer, auch die "Spiegel"-Redakteure
Die hat sich in Sachen Ehe und Familie in den vergangenen 50 Jahren ganz schön verändert - einerseits. Andererseits ist sie aber noch erstaunlich traditionell.
Als die Zivilehe 1875 ins Gesetzbuch aufgenommen wurde, dachte noch kaum jemand an die Gleichberechtigung. Im Familienrecht galt ein geschlechtshierarchisches Modell, wie Kirsten Scheiwe und Maria Wersig in ihrem Buch "Cash und Care - Kindesunterhaltsrecht und Geschlechter(un)gleichheit" beschreiben: Frau und Kinder unterstanden dem Vater und Ehemann. Das bedeutete aber auch, dass er für ihren Unterhalt zu sorgen hatte. Dem Beitrag der Mutter - Haushalt und Kindererziehung - maß das Gesetz noch keinen finanziellen Wert zu. Als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft trat, enthielt es den Satz: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu".
Mit dem Grundgesetz von 1949 war das allerdings nicht mehr zu vereinbaren, schließlich steht dort im Artikel 3, Absatz 2: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Das Familienrecht sollte nun geschlechtsneutral sein, die Realität war das aber noch nicht. Die Rechtsprechung behalf sich mit dem Grundsatz "verschieden, aber gleichwertig", womit gemeint war, dass Männer und Frauen zum Familienleben verschiedene Dinge beizutragen hatten, diese jedoch als gleichwertig zu betrachten seien.
Gleichzeitig galt bei Scheidungen noch das Schuldprinzip. Wer schuld am Scheitern der Ehe war (etwa weil er oder sie untreu gewesen war oder den anderen "böswillig verlassen" hatte), der hatte keine Chance auf Sorgerecht und keinen Anspruch auf Ehegattenunterhalt. Für Hausfrauen war eine Scheidung daher nur denkbar, wenn sie ihm die Schuld nachweisen konnten. Selbst zu gehen, konnten sich die wenigsten leisten. Gerecht war das nicht, aber es entsprach dem Familienbild, das auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der jungen Bundesrepublik noch verbreitet war. Vati verließ morgens mit der Aktentasche das Haus und kam abends zurück, um seinen gewaschenen und gefütterten Kindern einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange zu drücken. Immerhin: Trennten sich die Eltern doch, musste der Versorger der Familie, also in der Regel der Vater, zumindest Kindesunterhalt zahlen, abhängig vom Einkommen. Seit 1962 orientieren sich die Familiengericht bei der Festlegung an der Düsseldorfer Tabelle. Sie wurde veröffentlicht, nachdem eine Mutter vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf auf mehr Unterhalt für ihr Kind geklagt hatte. Die erste Tabelle unterschied nach neun Lebensstellungsgruppen: Die niedrigste Gruppe umfasste die "einfachsten Verhältnisse" wie Arbeiter oder Näherinnen mit einem Gehalt von bis zu 450 DM, die höchste "Minister" und "Stars" mit einem Einkommen von mehr als 4000 DM.
De facto hat die große Koalition den Ehegattenunterhalt so gut wie abgeschafft
Mit der Familienrechtsreform von 1977 trat das Zerrüttungsprinzip an die Stelle des Schuldprinzips. Nach einem Trennungsjahr konnten sich Ehepaare scheiden lassen, die Gründe interessierten die Gerichte kaum mehr. Wie viel Unterhalt an den Ex-Partner gezahlt werden musste und wer sich wie viel um die Kinder kümmerte, hing davon ab, wer welche Möglichkeiten hatte. Der Rechtsausschuss des Bundestages wollte aber "erhebliche Benachteiligung des haushaltsführenden Ehegatten" beseitigen, und empfahl deswegen ein Gesetz, das dem "Schwächeren nach der Scheidung einen wirksamen wirtschaftlichen Schutz bietet".
Welchen Kulturwandel die Reform von 1977 tatsächlich bedeutete und welche Ängste er auslöste, kann man daran ablesen, wie er von Männern aufgenommen wurde, in diesem Fall von männlichen Journalisten. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, damals noch kein besonders weibliches Arbeitsumfeld, befürchtete wahre Horrorszenarien: "Nach zwanzig Jahren Ehe packt die Nur-Hausfrau, 38, ihre Koffer und verlässt den Ehemann, 42, sowie die Kinder, 12 und 18, weil sie das patriarchalische Gebaren des Hausherrn satt hat. Ihr steht das halbe Haus zu, das sie gerade verlassen hat. Sie bekommt die Hälfte des Rentenanspruchs gutgeschrieben, den er erworben hat." Und 700 Mark Unterhalt im Monat habe er auch noch zu leisten. Fragwürdig fanden die Spiegel-Redakteure die Reform: "Zwar kann auch der Mann desertieren, doch muss er heute wie früher alle wirtschaftlichen Konsequenzen auf sich nehmen. Für die Frau dagegen ist, anders als früher, der Schritt (also die Scheidung , Anmerkung d. Red.) fast ohne Risiko. Sie kann nur gewinnen."
Zum Teil kam es tatsächlich so. Den meisten geschiedenen Frauen standen nun Alimente zu, für deren Höhe der Lebensstandard während der Ehe maßgeblich war. "Einmal Chefarztgattin, immer Chefarztgattin", hieß es flapsig unter Familienrechtlern. Allerdings bezogen die wenigsten Ex-Ehemänner tatsächlich ein Chefarztgehalt. "Unterhaltszahlungen sind in den wenigsten Fällen existenzsichernd", sagt Maria Wersig, Präsidentin des Juristinnenbunds. Der zugrunde liegende Gedanke, dass die Zahlungen ein Äquivalent zur geleisteten Betreuung sind, ist aber seitdem fester Bestandteil des Familienrechts - und darauf zielt auch Familienministerin Giffey (SPD) ab, wenn sie jetzt das eine mit dem anderen verrechnen will.
Ob es jemals ein gerechtes, verständliches Familienrecht für alle geben kann?
Die bislang letzte Reform des Unterhaltsrechts ging ebenfalls auf eine SPD-Ministerin zurück. Brigitte Zypries war es, die 2008 zwei große Neuerungen einführte. Zum einen kommen seitdem die Ansprüche der Kinder, egal ob aus erster, zweiter oder gar keiner Ehe, grundsätzlich an erster Stelle. Ehegattenunterhalt wird erst danach verteilt - wenn überhaupt. Denn für geschiedene Partner führte die Reform den Grundsatz der Eigenverantwortung ein. Frauen bekommen nur noch Unterhalt, wenn sie Kinder unter drei Jahren betreuen oder ihnen aus anderen Gründen das Geldverdienen unmöglich ist. De facto hat die große Koalition den Ehegattenunterhalt damit so gut wie abgeschafft. Dass immer noch so viele glauben, man müsse Ex-Frauen etwas zahlen, liegt daran, dass auch der Kindesunterhalt meistens auf ihr Konto geht.
Die Reform brachte Gerechtigkeit für Nachwuchs aus einer zweiten Beziehung und für neue Partner(innen). Für geschiedene Frauen brachte es vor allem Härte. Sie hätten während der Ehe gar nicht erst so lange im Beruf aussetzen sollen. Nun sollten sie schneller wieder arbeiten gehen - eigentlich ein moderner Gedanke, doch leider, so ein häufiger Kritikpunkt, etwas moderner als die Realität. Denn der Ausbau der Kinderbetreuung etwa befand sich damals noch im Anfangsstadium. Inzwischen hat sich da einiges getan, dennoch ziehen sich viele junge Mütter ganz oder teilweise aus dem Berufsleben zurück.
"Anders als erwartet hat sich die Lücke bei der Erwerbstätigkeit zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen nicht geschlossen", sagen die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Julia Bredtmann und Christina Vonnahme vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. In einer Studie haben sie das Verhalten von Paaren in den Jahren vor und nach der Reform untersucht. Das vorherrschende Modell ist nach wie vor: Er ist Hauptverdiener, sie arbeitet in Teilzeit oder gar nicht.
Das alles liegt, so bemängeln Kritiker, auch daran, dass der Staat eine widersprüchliche Familienpolitik betreibt, gefangen zwischen Tradition und Moderne. Vor der Ehe sollen die Frauen eigenständig leben und gerne auch Karriere machen. In der Ehe dann fördert der Staat die traditionelle Rollenverteilung, indem er per Ehegattensplitting das zweite Einkommen übermäßig besteuert. Im Scheidungsfall folgt allerdings die Rolle rückwärts: Die Frau soll jetzt wieder allein für sich sorgen. Dass der Plan mit der Eigenverantwortung bislang eher leidlich aufgeht, lässt sich leicht an Statistiken ablesen. Alleinerziehende und Kinder sind heute armutsgefährdeter als noch vor zehn Jahren. Mehr als 40 Prozent der alleinerziehenden Mütter beziehen Sozialhilfe. Teil der Realität ist auch, dass Frauen bis heute deutlich weniger verdienen als Männer, und viele Väter nicht oder zu wenig Unterhalt für ihre Kinder zahlen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung geht davon aus, dass jede zweite alleinerziehende Mutter keinen Unterhalt von ihrem Ex-Partner für die Kinder bekommt.
Man könnte also auch sagen: Das aktuelle Unterhaltsrecht ist ein sehr gleichberechtigtes Gesetz für eine nicht sehr gleichberechtigte Gesellschaft. Es ist wie ein gerades Haus auf schräger Fläche: eigentlich gerade. Aber trotzdem schief. Statt die Fläche endlich zu begradigen, will Familienministerin Giffey nun das Haus modernisieren. Sie will Väter entlasten - zumindest diejenigen, die sich nach der Trennung wirklich um ihre Kinder kümmern, nicht nur an jedem zweiten Wochenende. Wie viele das derzeit sind, lässt sich schwer beziffern, sicherlich ist es noch eine Minderheit.
Und sicher ist auch: Das echte Leben kennt unendlich viele verschiedene Familien- und Trennungskonstellationen. Engagierte Väter und weniger engagierte, arme Mütter und reiche, Paare, die sich gut verstehen, und welche, die nur noch über ihre Anwälte kommunizieren, Patchwork-Familien, die sich lieben, und solche, die sich hassen. Ob es jemals ein gerechtes und dabei trotzdem noch verständliches Familienrecht für alle geben kann? Ginge schon, sagt die Rechtswissenschaftlerin Maria Wersig. Allerdings reiche es dafür nicht, das Unterhaltsrecht erneut zu reformieren. Dafür müsse man auch ans Steuerrecht und Sozialrecht ran. Anders ausgedrückt: Erst mal ein gerades Fundament. Dann neue Dachziegel.