Kolumne: Vor Gericht:Der Kronzeuge

Lesezeit: 2 Min.

(Foto: Nils Schwarz)

Kassra Zargaran war als Mitglied der Hells Angels ein Schwerkrimineller. Dann traf er eine Entscheidung, die sein Leben veränderte.

Von Verena Mayer

Wenn Schwerkriminelle über ihr Buch reden wollen, sollte man sehr skeptisch sein. Das war ich, als ich das Angebot eines Verlages erhielt, ein früheres Mitglied der Hells Angels zu interviewen. Kassra Zargaran, 37, war daran beteiligt, mit seinem Rockerklub ein Wettlokal in Berlin zu stürmen und dort einen Kartenspieler zu erschießen, der den verfeindeten Bandidos zugerechnet wurde. Ich kannte Zargaran aus dem Gerichtssaal. Dort hat er etwas getan, was unter kriminellen Rockern äußerst selten passiert: Er stellte sich als Kronzeuge zur Verfügung, was dazu führte, dass seine früheren Freunde ins Gefängnis kommen.

Ich wollte wissen, warum er das getan hat. Wie es dazu kam, dass er jetzt auch noch die Öffentlichkeit sucht. Und natürlich reizte es mich, mit jemandem aus einem Milieu zu sprechen, in dem es ein Schweigegebot gibt. Das Treffen fand in einem angemieteten Büroraum in der Nähe des Potsdamer Platzes statt und war erwartbar und ungewöhnlich zugleich. Erwartbar, weil Zargaran vieles nicht sagte. Wo er lebt, was er macht, ob er Familie hat. Er sagte nicht einmal, ob er überhaupt noch seinen Namen trägt. Seit seiner Aussage steht Zargaran unter Polizeischutz, er muss immer damit rechnen, getötet zu werden. Immerhin gab er zu, dass er nicht nur aus moralischen Gründen gehandelt habe. Sondern auch, weil er sich einen Vorteil erhoffte.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Ungewöhnlich war, wie reflektiert dieser bis zum Kinn mit Tattoos übersäte Mann war, der einen Großteil seines Lebens damit verbracht hatte, Drogen zu verkaufen, Schutzgeld zu erpressen und Prostituierte auszubeuten. Dieses Leben in der organisierten Kriminalität habe ihm Spaß gemacht. "Das ist ein Wonderland, man hat die ganze Macht und kann alles machen." Am interessantesten war aber, was er über den Status des Kronzeugen erzählte.

Man stellt sich das ja immer ganz einfach vor: Jemand begeht ein Verbrechen und wird milder bestraft, wenn er gegen Mittäter und Drahtzieher aussagt. So ist das aber nicht. Im deutschen Rechtssystem ist es nicht vorgesehen, dass sich ein Kronzeuge vorab Vorteile aushandeln kann. Ob er mit einer geringeren Strafe belohnt wird, hängt allein davon ab, wie wertvoll seine Aussage ist. Lässt ein Kronzeuge Dinge weg oder versucht gar, seinen Anteil an einem Verbrechen herunterzuspielen, ist die Aussage wertlos. Kronzeuge zu sein, ist eine Wette mit ungewissem Ausgang.

Für Zargaran hat es sich gelohnt. Er kam mit zwölf Jahren Haft davon und ist nun wieder frei. Immer wieder guckte er zur Tür, als habe er Angst, es könne jemand hereinkommen. Einmal griff er in die Schale mit Schokoriegeln auf dem Tisch, vielleicht, um die Nerven zu beruhigen. Warum er so in die Öffentlichkeit drängt? Wer sich exponiert, wird nicht so schnell zum Ziel. Racheakte geschehen meistens, wenn niemand mehr damit rechnet. Die Öffentlichkeit kann da eine Lebensversicherung sein.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ-Serie "Ungeklärt"
:Wer hat Hanno Klein getötet?

Er fährt Porsche, trägt Maßanzüge und bestimmt mit, wer wo bauen darf im boomenden Berlin nach der Wende. Dann bekommt der Baubeamte ein Paket, das ihn tötet - Absender unbekannt.

Text: Verena Mayer, Fotos: Friedrich Bungert, Collage: Stefan Dimitrov

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: