Das Krankenhaus, in dem eine Frau ihr Kind bekommt, bleibt ihr in der Regel ein Leben lang lieb und teuer. Das ist gut für die Krankenhäuser: Gelungene Geburten sind lang anhaltende Imagefaktoren. Wo ich mich mit meinem Baby gut aufgehoben gefühlt habe, da lasse ich mir später auch den grauen Star operieren, und da schicke ich noch den Opa mit seiner Hüfte hin. Klinikmanager wissen das. Viele bieten die Geburtshilfe darum gerne an, selbst wenn dieser Zweig der Medizin mitunter ein Zuschussgeschäft ist.
Die starken Gefühle helfen den Kliniken, der Diskussion um die Geburtshilfe helfen sie nicht. Wann immer Kreißsäle schließen, sammeln sich die Bürger zum Protest. Als im Sommer mehrere Stationen in Bayern wegen Hebammenmangels aufgaben, machten wütende Eltern bei Facebook unter "Auf den Tisch hauen für Hebammen" ihrem Ärger Luft. So verständlich solche Emotionen sind, sie verstellen den Blick auf die Fakten. Etwa darauf, dass Deutschland im internationalen Vergleich immer noch sehr viele Geburtsstationen hat. Und - wichtiger noch - darauf, dass "mehr" in der Gesundheitsversorgung noch lange nicht "besser" heißt.
Könnten mehr Kinder überleben?
Deutschland gibt mit 11,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr Geld für sein Gesundheitssystem aus als der Schnitt der EU-Staaten, dort sind es 9,9 Prozent. Deutschland hat im westeuropäischen Vergleich auch viel mehr Kliniken, nämlich knapp 2000, und innerhalb der EU die meisten Klinikbetten, nämlich 8,2 pro 1000 Einwohner, in der EU sind es durchschnittlich 5,2 Betten. Deutschland hat trotz aller Schließungen auch noch ein dichtes Netz von zuletzt mehr als 700 Geburtsstationen, das nächste Krankenhaus ist nie weit. Schweden hat 42, obwohl es weitaus größer ist. Doch Masse macht eben nicht automatisch Klasse.
Hebammenmangel ist nicht hinnehmbar, findet Meredith Haaf. Ein schönes Geburtserlebnis ist nicht entscheidend, kommentiert Nina von Hardenberg.
Beispiel Frühchen: Trotz des engmaschigen Kliniknetzes in Deutschland kommen hierzulande seit Jahren im Verhältnis deutlich mehr Kinder vor ihrer Zeit auf die Welt als etwa in Schweden, dabei kann jede Woche zu früh die neurologische Entwicklung der Kinder beeinträchtigen.
Beispiel Säuglingssterblichkeit: Zwar sterben auch bei uns nur noch sehr wenige Babys, 2015 waren es 3,3 Promille der Neugeborenen. Doch zeigen auch hier die nordeuropäischen Nachbarn, dass es noch besser geht: In Schweden waren es 2,5 Promille, in Finnland 1,7.
Ein kleiner Unterschied? Bei mehr als 700 000 Neugeborenen bedeutet er rein rechnerisch, dass pro Jahr mehr als 1000 weitere Säuglinge in Deutschland überleben würden, wenn man zu Finnland aufschließen könnte. Natürlich spielen bei diesen Kennziffern viele Faktoren eine Rolle. Aber die Krankenhäuser sind ein wichtiger.
Genau darum sollte es gehen in der Diskussion, ob einzelne Geburtsstationen schließen müssen oder nicht. Es ist nicht das Wichtigste, ob man in einem Krankenhaus ein schönes Geburtserlebnis hatte. Es ist zunächst einmal auch nicht am wichtigsten, ob man für die Geburt eine weite Anreise hatte. Wichtig ist, dass Mutter und Kind nach der Geburt wohlauf sind.
In Schweden fliegt man die Schwangeren notfalls im Helikopter in die Klinik
Schweden hat mit vergleichsweise wenigen Häusern proportional weniger Kaiserschnitte, die ein zusätzliches Risiko darstellen können, und eine geringere Müttersterblichkeit. Was, sollte jetzt jeder Politiker fragen, kann ich tun, um da aufzuholen? Sie fragen aber nicht. Und das ist der eigentliche Skandal.
Zwar hat das Bundesgesundheitsministerium die Probleme erkannt. Im Nationalen Gesundheitsziel zur Geburt, einer von etwa 140 Gesundheitsorganisationen getragenen Absichtserklärung, steht seit 2016 das Ziel, die Frühgeburtenrate zu senken. Aber wenn es konkret wird, wissen Politiker, dass man mit der Schließung von Kliniken Wahlen nur verlieren kann. Also sagen sie gern Sätze wie: "Die wohnortnahe Versorgung muss sichergestellt werden."
Aber muss sie das wirklich? Klar ist es auf den ersten Blick empörend, dass Sylt und Föhr ihre Geburtsstationen schließen mussten und dass die Insulaner jetzt zum Teil Wochen vor der Geburt aufs Festland übersiedeln müssen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass schon vorher keine Frau gut beraten war, ihr Kind in einem solchen Minikrankenhaus zu bekommen. Föhr etwa verfügte nicht einmal über die für einen Notfall nötige Menge an Blutkonserven. Unkontrollierte Blutungen, die es bei Geburten geben kann, können da lebensgefährlich werden.
Auch in Schweden gibt es weite Landstriche ohne einen einzigen Kreißsaal. Die schwangeren Frauen werden im Zweifel mit dem Hubschrauber in die Klinik gebracht - sie landen dann aber garantiert in einem großen, gut ausgestatteten Haus. Der Berliner Neonatologe Rainer Rossi, der seit Langem zum Thema Geburt forscht, sagt deshalb, die Versorgung in Schweden sei nicht trotz, sondern gerade wegen der wenigen Häuser besser.