Misshandlungen, Stalking, Vergewaltigung bis hin zu Mord: 138 893 Mal sind im vergangenen Jahr hierzulande Menschen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft geworden. Das geht aus der Kriminalstatistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt hervor, die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in Berlin vorgestellt hat.
"Häufiger als jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet", sagte Giffey. "Diese Zahlen sind schockierend, denn sie zeigen: Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort - ein Ort, an dem Angst herrscht."
Häusliche Gewalt trifft demnach hauptsächlich Frauen: 2017 waren in 82 von 100 Fällen die Opfer weiblich. Der Anteil deutscher Opfer lag bei knapp 72 Prozent, die zweitgrößte Opfergruppe waren mit vier Prozent türkische Staatsangehörige. Der Blick auf die Täter wiederum zeigt: 116 043 Tatverdächtige wurden erfasst, gut 80 Prozent Männer, mehr als zwei Drittel Deutsche. Mit sechs Prozent stellten Türken auch bei den Tatverdächtigen die zweitgrößte Gruppe.
Seit 2017 erfasst das Bundeskriminalamt (BKA) neben Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking zusätzlich noch die Delikte Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution in seiner Statistik zur Partnerschaftsgewalt. In diesen neu erfassten Kategorien wurden im vergangenen Jahr 6898 Opfer registriert.
Ohne diese Erweiterung wären die Opferzahlen gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken, um 0,8 Prozent. Zwischen 2013 und 2016 hatte es dagegen einen Anstieg um 9,3 Prozent gegeben. Ursache war vor allem die Zunahme von Körperverletzungen - und die dauert offensichtlich an. 2017 jedenfalls wurden über zehn Prozent mehr Opfer erfasst als vier Jahre zuvor.
Auch im vergangenen Jahr war einfache Körperverletzung die häufigste Form partnerschaftlicher Gewalt (61 Prozent); gefolgt von Bedrohung, Stalking und Nötigung (gut 23 Prozent). 147 Frauen und 34 Männer wurden von ihren Partnern oder Ex-Partner laut Statistik getötet. Darin enthalten sind Delikte von Mord bis zu Körperverletzung mit Todesfolge.
Besonders häufig gehen Gewalttaten von Expartnern aus aus; in dieser Beziehungskonstellation kommt es vor allem zu psychischer Gewalt wie Stalking, Nötigung und Bedrohungen. Am zweithäufigsten, so die Satistik für 2017, waren Opfer und Täter miteinander verheiratet.
Was in der Statistik auftaucht, nennen die Experten "Hellfelddaten". Gerade bei einfachen Körperverletzungen aber wird bei weitem nicht jede Tat angezeigt. Die Dunkelziffer dürfte deshalb weit höher sein. Laut Ministerin Giffey etwa um das Fünffache. Nur rund 20 Prozent der Betroffenen suchten sich Hilfe oder würden gegen sie gewandte Gewalt zur Anzeige bringen.
Für Expertinnen, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, kommen die Zahlen nicht überraschend. "Trotz aller Bemühungen hat sich nicht viel geändert", sagt die Ärztin Saskia Etzold, Leiterin der Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité, an die sich Frauen wenden können, die Gewalt erlebt haben.
Das größte Problem bei der Bekämpfung sei, dass es viel zu wenige Plätze in Frauenhäusern gibt, besonders in den großen Metropolen. "Man kann Kreisläufe der Gewalt nicht unterbrechen, wenn es keine Zufluchtsorte gibt." Wenn sie einen Platz für eine betroffene Frau in Berlin suche, passiere es ihr nicht selten, dass die nächste Einrichtung, die etwas frei hat, in Frankfurt (Oder) an der polnischen Grenze ist.
In Deutschland stehen insgesamt 6000 Plätze in Frauenhäusern zur Verfügung. Im Jahr kämen dort 30 000 Frauen unter, zum Teil mit ihren Kindern. "Das reicht nicht", sagt Ministerin Giffey. Sie fordert, das Bund, Länder und Kommunen mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um den Ausbau voranzubringen. Dazu kommt, dass es keine zentrale Vergabestelle für Plätze in Frauenhäusern gibt, weshalb die Betroffenen erst einmal alle Einrichtungen durchtelefonieren müssten - eine zusätzliche Hürde für Verunsicherte Opfer. Für Frauen mit Söhnen sei es dabei besonders schwer einen Platz zu bekommen, da viele Einrichtungen nicht für ältere Jungen ausgelegt seien.
Für Etzold liegt es aber auch in der Natur der Delikte selbst, dass sie so schwer zu bekämpfen seien. Fälle häuslicher Gewalt seien "soziale Nahtaten" und für die Opfer mit großer Scham verbunden. Dazu komme, dass die Öffentlichkeit solche Gewalttaten gerne unter dem Schlagwort "Familientragödie" verbuche und den Opfern damit das Gefühl vermittle, die Gewalt nicht ernst zu nehmen.
Ähnlich sei es auf Seite der Behörden. Während bei schweren Übergriffen durch Fremde schnell wegen eines versuchten Tötungsdeliktes ermittelt werde, gingen Polizei und Justiz bei häuslicher Gewalt oft nicht davon aus, dass eine Tötungsabsicht bestanden haben könnte.