Familie und Partnerschaft:Die erste Nacht ohne Kind

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Endlich allein - und die Gespräche der Eltern drehen sich nur ums Kind. Dabei kostet der Wein so viel wie ein Babysitter. (Foto: N/A)

Wie ist es für junge Eltern, wenn sie das erste Mal alleine verreisen? Ein Paar erzählt, wie der Kurztrip ohne Nachwuchs gelaufen ist - jeder aus seiner Sicht.

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Das erzählt der Vater:

Es war ein tolles Skiwochenende. Obwohl: Genau genommen war es kein Wochenende, sondern ein Dienstag und ein Mittwoch, an anderen Tagen waren die Hotels schon ausgebucht. Das Wetter, muss man fairerweise erwähnen, war eher mau. Und der Schnee, nun ja, ungefähr so fluffig wie das Eis an den Wänden des Tiefkühlfaches, deshalb waren wir nur einen dreiviertel Tag auf den Pisten. Aber alles in allem: wirklich ein Traum, das Skiwochenende.

Das lag vor allem daran, dass wir nur zu zweit unterwegs waren. Als wir frühmorgens Richtung Alpen starteten, waren nur Kathi und ich im Auto, eine Reisetasche, ein Paar Ski und ein Snowboard. Keine Wickeltasche, kein Reisebett, kein Kindersitz und kein Söhnchen - die waren alle in der Kita, dort würde die Oma sie später abholen. Zum ersten Mal, seit das Kind vor einem guten Jahr bei uns eingezogen ist, waren wir auf großer Fahrt. Nur zu zweit, als Paar, solche Tage sollen ja nicht unwichtig sein, wenn man auch eines bleiben will, haben uns erfahrene Eltern verraten. Von mir aus hätten es gleich mehrere werden können. Kathi fand allerdings, dass zwei für den Anfang reichen müssten.

Bis zum Inntaldreieck rätselten wir, ob wir der Oma alle notwendigen Requisiten eingepackt hatten. Bis Kufstein, ob wir ihr alle wichtigen Instruktionen gegeben hatten. In Kitzbühel beschloss ich, dass es jetzt gut sein müsse. Das würde meine Mutter schon hinkriegen, sagte ich, um Kathi zu beruhigen und ein bisschen auch mich selbst. Meine Mutter hatte schließlich drei eigene Kinder großgezogen, das letzte vor gerade mal einem Dritteljahrhundert.

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Blöd nur, dass wir genau die Tage erwischt hatten, in denen auch mein Vater unterwegs ist, sagte ich unvorsichtigerweise. "Zu zweit ist es doch einfacher mit so einem Kind." Dann wechselte ich ganz schnell das Thema, denn ich hatte Kathi gerade zweimal fünf Tage mit dem Söhnchen allein gelassen, einmal Dienst-, einmal Vergnügungsreise. Wie anstrengend ein Kleinkind sein kann, wenn man nachts jedes Mal aufstehen muss, wenn man es tagsüber nie jemand anderem in den Arm drücken kann, wusste sie nur zu gut.

Und wohl auch deshalb blieb der Vorsatz, sich keinen Kopf mehr zu machen und stattdessen Schnee, Sonne und Natur zu genießen, das, was er war: ein Vorsatz. Sonne und Schnee gab es sowieso kaum, dann tauchten auf jeder Liftfahrt diese Sätze mit den Fragezeichen am Ende auf: Auch wenn die Oma Erfahrung mit Kindern hatte - ist nicht jedes ein bisschen anders und unseres nicht sowieso ganz einzigartig? Würde sie nachts überhaupt aufwachen, wenn das Kind zu schreien anfängt, kurz vor dem Hungertod? Wird es mit seinen feinen Antennen spüren, dass seine Eltern es alleine gelassen haben, um sich hedonistischen Vergnügungen hinzugeben? Verabreichten wir dem Urvertrauen unseres Kindes einen Nackenschlag, mit Anlauf und Ansage?

Und ganz abgesehen von der psychischen Ebene war da auch noch die physische: Seit das Söhnchen vor einem Monat in die Kita kam, bediente es sich dort am großen Buffet der Viren und Bakterien - und zwar derart maßlos, dass es ständig eine neue Erkältung, eine noch tollere Grippe, einen noch rauschenderen Durchfall nach Hause brachte. Auch heute? Und steckt sich seine Oma wirklich so schnell an, wie sie wiederum behauptet?

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Diese Fragen stellten wir uns: auf der Piste, in der Gondel, nach dem Skifahren am Hotelpool, beim Essen, beim Schwitzen in der Sauna. Genau genommen ist das "wir" nicht allzu korrekt. Während ich im Stillen daran dachte, sprach sie meine Begleitung immer wieder aus. "Kathi", sagte ich also, als wir nach dem Skifahren das ohne Kinderbettchen überraschend geräumige Hotelzimmer mit dem Inhalt unserer Koffer verwüsteten, "jetzt lass mal gut sein". Und "Katharina!", mahnte ich beim Dinner strenger, "jetzt lass uns mal den Wein genießen. Die Flasche kostet immerhin so viel wie ein ganzer Abend Babysitter."

Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, piepste das Handy: "Hey, ihr rabneltern.wollt nix übers bubi wissn? 1,5std.i.d.kita gpennt, 1x da u. 2xb.mir AA, normal.supi lieb u.süß.Warn spazieren.dann heißhumger u.todmüd in d.kiste.1min.schlaf!bish.0 laut!hoff,er bleibt son musterknabe! genießt also ski!", hieß es weiter. Meine Mutter mag das Getippe auf den kleinen Tasten nicht so, ihre kryptischen SMS erinnern deshalb manchmal entfernt an Gedichte von Ernst Jandl.

Derart beruhigt schafften wir es, den restlichen Abend nur noch alle zehn Minuten auf den Sohn zurückzukommen. Und am nächsten Tag, wegen noch schlechterem Wetter, immerhin bis zum frühen Nachmittag am Hotelpool zu liegen. Dann trieb ich Kathi zur Eile. Nicht, weil ich etwa das Kind vermisste, nein, sondern um dem Rückreiseverkehr zu entgehen, der ist nach Skiwochenenden immer besonders schlimm. Vor allem, wenn sie unter der Woche stattfinden.

Das erzählt die Mutter

Seit Moritz und ich vor gut einem Jahr Eltern wurden, sind wir mit unserer Performance als hippe Großstadteltern eigentlich ganz zufrieden. Das Kind haben wir schon mit wenigen Wochen abends mit einem Babysitter allein gelassen, ich habe früh wieder zu arbeiten angefangen, Moritz machte lange Elternzeit. Freunde luden wir fast genauso oft zu uns nach Hause ein wie früher, und wenn wir abends rauswollten, schlief das Baby auch mal einfach im Kinderwagen. Ziemlich lässig also, außer bei der einen Sache vielleicht. Eine ganze Nacht ohne das Bubi hatten wir immer noch nicht verbracht. Was schließlich, wenn das Kind ein Trauma davonträgt? Oder wir?

Unsere Freunde mit Kindern (Menschen also, mit denen man vom Moment der Geburt an in einen nie geahnten Wettbewerb tritt) waren da viel tapferer. Ihre Kinder haben schon oft bei der Tante geschlafen, wenn die Eltern ausgehen und vor allem ausschlafen wollten. Ich hatte mir das immer mit einer Mischung aus Neid und Misstrauen erzählen lassen, und mehr als einmal gefragt: Und was macht die Tante, wenn eure Tochter nachts weint?

Um unser Selbstbild der äußerst entspannten Eltern aufrechterhalten zu können, beschlossen wir also, uns zu Weihnachten gegenseitig einen kinderfreien Ausflug in ein Hotel zu schenken. Das Kind sollte bei den Großeltern bleiben. Als wir den Plan mit ihnen diskutierten, war die Frage: Zwei Nächte in Südtirol oder eine in Tirol? Man könne den Großeltern ja auch nicht zu viel zumuten, sagte ich. Und Oma und Opa seien doch auch froh, wenn wir notfalls innerhalb von eineinhalb Stunden wieder in München sein könnten. Die Großeltern lächelten milde. Wir fuhren für eine Nacht nach Tirol.

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Die beiden Tage weg vom Bubi mussten natürlich generalstabsmäßig geplant werden. Die Großeltern brauchten ein Reisebett, einen Kindersitz, Flaschen, Wechselkleider, Windeln, Spielsachen, das Schmuse-Tuch, den Schmuse-Hund und eine handgeschriebene Bedienungsanleitung für das Kind. Als wir mit einem Kofferraum voll Kram bei Moritz' Eltern anrollten, wurde wieder etwas milde gelächelt. Aber die würden schon noch froh sein, dass wir sie so umfassend auf alles vorbereitet hatten, dachte ich.

Ganz so irre cool waren wir also nicht, als wir uns letztlich in die Kolonne auf der Autobahn einfädelten. Das Söhnchen hatten wir in der Kita abgegeben, dort würde es seine Oma am Nachmittag abholen. Die Sorgen, die ich mir machte, setzten sich aus zwei unterschiedlichen Zutaten zusammen. Zunächst sorgte ich mich natürlich um meinen Sohn, der seine Großeltern sehr wohl kennt, aber natürlich nicht so gut wie seinen Papi und mich. Ich malte mir aus, wie er abends völlig verunsichert in der fremden Umgebung im Bett liegen würde, nur mit dem Schmuse-Hund als letztem Anker der Vertrautheit.

Andererseits sorgte ich mich um Oma und Opa, beziehungsweise: Ich sorgte mich um die Performance unseres Kindes. Was, wenn die Oma es am Ende so schlimm finden würde, dass sie nie wieder eine Nacht mit dem Kind würde verbringen wollen? Was, wenn der Opa zu dem Ergebnis kommt, dass wir das mit der Erziehung bis jetzt noch überhaupt gar nicht hinbekommen haben?

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All diese Fragen beschäftigten mich auf der Autofahrt nach Kitzbühel und später auch noch im Skilift und beim Abendessen. Moritz mahnte zur Konzentration, und kurz war ich ein bisschen beleidigt. Denn natürlich sprachen wir an diesem Abend auch über andere Dinge, über unsere Jobs, unsere Freunde, über Dinge, die wir in der Zeitung gelesen hatten. Aber was, wenn der Bubi nicht würde einschlafen können, was, wenn ihm das Essen der Oma nicht schmeckt?

Überhaupt schien Moritz sich vorgenommen zu haben, an meiner Coolness als Mutter auf Urlaub zu feilen. Nach dem Skifahren im Hotel bat ich ihn, zu Hause anzurufen. Jetzt, fand ich, wäre es doch langsam mal an der Zeit daheim nachzufragen, ohne dass man gleich einen hysterischen Eindruck macht. Moritz fand, das sei überflüssig, das Handy sei außerdem im Auto und überhaupt gebe es jetzt Abendessen. Gegen 21 Uhr kam dann eine SMS seiner Mutter mit der etwas anklagenden Frage, warum wir uns denn gar nicht nach unserem Sohn erkundigten. Ich grinste ein bisschen. Nicht nur die junge Mami will beruhigt - auch die etwas ältere Mami will natürlich gelobt werden.

So richtig entspannt war ich erst am Morgen, nachdem wir die Meldung aus München bekamen: Alle Beteiligten haben die Nacht traumafrei überstanden. Wir lagen am Rand des Schwimmbads, quatschten und lasen - und niemand zog währenddessen an meinen Haaren oder kaute an Moritz' Nase. Niemand warf einen kleinen roten Spielzeug-Porsche durch die Gegend, niemand heulte wegen Hunger-Müde-Durst. Doch dann wurde Moritz plötzlich etwas nervös: Ob wir nicht langsam heimfahren wollten, der Rückreiseverkehr. Nur ein anderes Wort für Heimweh.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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