Familie:Heimatgefühl im Keller

Lesezeit: 2 min

Ist das Krempel oder kann das weg? Im Keller landet alles, was man vermeintlich noch braucht. (Foto: Stephanie F. Scholz)

Mit dem Krempel, den die Eltern unserer Autorin in ihrem Haus angesammelt haben, verbindet sie Geborgenheit. Dann, mit über 70, trennen sich Mutter und Vater und ziehen aus. Alles muss raus - bis auf die Erinnerung.

Von Anke Eberhardt

Meine Eltern gehören zu den Menschen, für die Haushaltsbedarf nur existiert, wenn er in zweifacher Ausführung im Keller vorhanden ist. Zwei Rollen Frischhaltefolie, zwei Flaschen Spül­mittel - drei, wenn sie im Angebot waren. Ging im Obergeschoss etwas zur Neige, bedurfte es nur des Gangs ins Untergeschoss, denn unser ­Vorratskeller war besser ausgestattet als jeder Drogeriemarkt.

Das galt auch für Dinge, die sich über die Jahre in anderen Ecken unseres Stuttgarter Kellers angesammelt hatten: Pappteller mit Siebzigerjahremotiven, die tatsächlich aus den Sieb­zigern stammten, Langlaufski meines Opas, die wahrscheinlich er schon niemals benutzt hatte, oder ein Schlauchboot, mit dem ich als Vierjährige in damals noch jugoslawische Gewässer gestochen bin und das selbst dann nicht entsorgt werden durfte, nachdem bei Trockenübungen auf der Terrasse festgestellt wurde, dass beim Boden dauerhaft die Luft raus war. "Nix verkomme ­lasse", sagt schließlich der Schwabe.

Seit ich mit Argwohn beobachtete, wie die Haare meiner Eltern erst grau, dann weiß wurden, mutierte dieser Keller zum Symbol meiner Angst vor der Sterblichkeit, zur greifbar gewordenen Vergänglichkeit in Krempelform. Irgendwann, so schoss es mir ein ums andere Mal ­durch den Kopf, würde ich in diesem Keller sitzen, ­allein, zwischen dem Faschingskoffer mit meinem Indianerkostüm aus dem Kindergarten und den Klebefolien mit Holzmotiv, die schon längst nicht mehr klebten. Ich würde dasitzen und die Menschen, die all diese Dinge angehäuft hatten - meine Mutter, mein Vater, meine Eltern -, würden nicht mehr da sein.

Und ja, ich saß in diesem Keller, und ja, das Einmachglas mit den sorgsam von Nudelpackungen aufbewahrten Klemmverschlüssen, die nie jemand wiederverwendet hatte, stand immer noch da. Aber vorrangig diskutierte ich mit ­meiner Mutter, dass es keine Option sei, 42 Blumenvasen in eine Zweizimmerwohnung mitzunehmen. Und erklärte meinem Vater, dass ich besagtes schiffbrüchiges Schlauchboot nicht für ihn auf E-Bay einstellen würde. Wenn sich Eltern mit über siebzig trennen, geht es nicht mehr ­darum, wer die Anfang dreißigjährige Tochter bekommt, sondern wer den Bauernschrank.

Als die Umzüge geschafft und nur noch vergilbte Umrisse auf der Tapete geblieben waren, wich meine Angst vor dem Keller plötzlich der Angst vor dem Abhandenkommen des Kellers. Was, wenn all die Dinge nun plötzlich nicht mehr da wären? Wenn dieses Haus, in dem ich den Großteil meines Lebens verbracht hatte, plötzlich nicht mehr unseres wäre? Wenn ich keinen Keller mehr haben würde, um irgendwann ­allein darin zu weinen? Kein Schlauchboot, an dem ich mich festhalten könnte? Das letzte Mal die Türe zuzuziehen, die ich auf dem Weg zum Kindergarten, zum Abitur, zum Auszug zugezogen ­hatte, würde schrecklich sein, da war ich mir ­sicher. Meine Heimat würde mir verloren gehen, mein Hafen, meine Kollektion an gelben Agfa-Film-Pappkartons aus der Zeit meines Vaters als ­Handelsvertreter. Weg! Alles weg!

Und was war? Nichts war. Die Tür ging zu, die Kartons landeten beim Altpapier, und wenn ich heute vom neuen Balkon meiner neu aufge­blühten Mutter zu unserem ehemaligen Haus hinüberschaue, ist es wie mit einem alten Freund, den man freundlich grüßt, wenn man ihn zufällig auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht - zum Überqueren aber dann doch Zeit und Muße fehlen, und das für beide völlig in Ordnung ist.

Den urschwäbischen Wunsch nach Immobilienbesitz konnte ich zwar nicht ganz ablegen, und ironischerweise hat erst der Verkauf des ­Elternhauses das eigene Eigenheim als un­verheiratete Freiberuflerin bei der Bank finanzierbar gemacht. Trotzdem wiegt heute etwas wesentlich schwerer als Backstein und Dachziegel. Der Stolz nämlich, dass man auch mit über siebzig noch mutig sein und das Richtige tun kann. Und die Erkenntnis, dass Heimat nicht unbedingt ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl ist, das man mitnehmen kann. Das macht frei und erdet gleichermaßen. Denn man braucht keinen Besitz, wenn man die Erinnerung daran hat, wie ein gut gelaunter Rentner in einem schlaffen Schlauchboot auf einer schwäbischen Terrasse das Paddel in die Terrakottafliesen haut.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Süddeutsche Zeitung
:PLAN W - Frauen verändern Wirtschaft

PLAN W ist das Wirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung am Wochenende. Viermal jährlich überraschende Fakten, begeisternde Reportagen und bewegende Vorbilder. Alle bisher erschienenen Ausgaben finden Sie hier.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: