Familientrio:Heimlich renovieren - eine gute Idee?

Ein Sohn stört sich daran, dass seine Eltern in einer abgenutzten Wohnung hausen. Sie finden, Veränderung lohne nicht mehr. Darf er sie überraschen? Unsere Familienexperten antworten.

Christian K. aus Frankfurt fragt:

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(Foto: Axel Heimken/dpa)

Meine Eltern (75 Jahre, starke Raucher) wohnen seit den Siebzigerjahren in einer leicht unrenovierten, zunehmend vollgestopften Wohnung mit abgewetzten Möbeln. Spricht man sie darauf an, sagen sie, Veränderung lohne nicht mehr. Wir erwachsenen Kinder wollen sie nun auf eine Reise schicken und in ihrer Abwesenheit alles streichen und ein neues Sofa kaufen. Ob sie sich freuen? Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de.

Kirsten Fuchs

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(Foto: Stefanie Fiebrig)

Möglichkeit eins: Die beiden freuen sich. Dann sehen Sie glückliche Elternaugen: "Das habt ihr alles getan?" Weinen, In-die-Arme-Fallen. Danke, danke! Möglichkeit zwei: Ihre Eltern lassen die Koffer fallen, die Augen sind weit aufgerissen, aber nicht begeistert, sondern entsetzt: "Was habt ihr getan?!" Ebenfalls Weinen, Enterbung. Es gibt natürlich noch eine dritte Möglichkeit: Sie fragen vorher und bringen Argumente - nennen die gesundheitlichen Risiken in runtergewohnten Wohnungen, verweisen auf den Mietvertrag, der zum Streichen verpflichtet. Sie bieten an, gemeinsam eine schöne Farbe auszuwählen, und rechnen vor, dass es gar nicht so viel kosten wird. Ich würde nur renovieren, wenn ich wüsste, dass sich der Renovierüberfallene wirklich freut. Vielleicht meinen Ihre Eltern wirklich, was sie sagen. Dass es sich nicht lohnt und dass ihre Kinder ihre Zeit und ihr Geld für etwas anderes verwenden sollten. Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Jesper Juul

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(Foto: Anne Kring)

Ich bin erst 70, aber ich mag auch keine Veränderungen. Der richtige Weg, wie sie IHREN Wunsch, die Wohnung Ihrer Eltern umzugestalten, umsetzen können, ist deshalb, es offen anzusprechen. Vielleicht lassen sie sich überzeugen, wenn Sie klarmachen, dass Sie alles in die Hand nehmen? Wenn Ihre Eltern den Vorschlag aber ablehnen, müssen Sie Ihren Plan eigentlich aufgeben. Denn bei einer heimlichen Aktion riskieren Sie Frust und Wut und wahrscheinlich auch einen Vertrauensbruch für die Zukunft. Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Collien Ulmen-Fernandes

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(Foto: Anatol Kotte)

Als "starke Raucher" gehören Ihre Eltern gemeinsam mit den Berggorillas zu einer aussterbenden Spezies, und eine Wohnung, die seit den Siebzigern nicht verändert wurde, sollte meiner Meinung nach nicht renoviert, sondern ins Auswahlverfahren fürs Unesco-Welterbe aufgenommen werden. "Hier sehen Sie die letzte originalgetreue Wohnung eines Raucher-Ehepaars aus Frankfurt! In den abgewetzten Möbeln finden wir 45 Jahre Bundesrepublik!" Aber bevor es so weit ist, könnten Sie testen, ob Ihre Eltern nicht doch eine gewisse Sehnsucht nach neuen Farben und frischen Textilien verspüren. Mit dem Überraschen ist es so 'ne Sache: Ihre Eltern haben sich ja die Wohnung selbst ausgesucht, und vielleicht ist es nicht nur die Scheu vor dem Aufwand einer Veränderung, vielleicht stehen sie einfach nach wie vor auf den Look? Möglicherweise verstört es sie, wenn sie einfach so aus ihrer einrichtungstechnischen Fruchtblase gerissen werden? Vielleicht empfinden sie es sogar als Anmaßung, wenn ihnen die zutiefst individuelle Entscheidung eines Sofakaufs vorenthalten wird und sie nicht mehr für voll genommen werden, eine eigene Geschmacksentscheidung zu treffen? Ich würde es offen spielen. Fragen, welches Sofa ihnen gefiele. Sie für ein neues begeistern. Sie in den Urlaub schicken, ihnen die Arbeit abnehmen. Und das abgewetzte Sofa ans Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn spenden! Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

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(Foto: N/A)

Weitere Leserfragen und Expertenantworten finden Sie auf unserer "Familientrio"-Übersichtsseite.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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