Auch Dreijährige haben wichtige Termine. 7.15 Uhr: Aufstehen. 7.20 Uhr: Frühstücken. 7.40 Uhr: Jacke anziehen, versuchen, die Klettverschlüsse an den Schuhen zu schließen. 7.43 Uhr: Rituelles Weinen und Auf-den-Boden-Werfen aus Protest gegen den Kindergarten. 8.30 Uhr Stuhlkreis. 9 Uhr Spielen. So geht das den ganzen Tag weiter.
Damit viel beschäftigte Kinder auch keinen solcher Termine verpassen, können sie sich von einer Baby-Smartwatch an ihre Pflichten erinnern lassen. Die "Octopus Joy", erhältlich in Pink, Hellblau, Gelb, Rot und Grau, soll Drei- bis Achtjährigen "bei ihren vielfältigen Alltagsaufgaben helfen", wie es auf der Website des Unternehmens heißt. Und zwar auch ohne Lesekenntnisse: Ein Duschsymbol macht die Kinder darauf aufmerksam, wann es Zeit für die Körperpflege ist, ein stilisierter Knochen zeigt an, dass der Hund gefüttert werden muss, und wenn Messer und Gabel erscheinen und die Uhr vibriert, heißt das: Essen ist fertig!
Hersteller behaupten, das Gerät fördere gute Manieren
Wer den Werbespot für die Smartwatch anschaut, die es bislang nur in den USA für 59 Dollar gibt, könnte glauben, es handele sich um eine Satire über unsere eng getaktete, digitalisierte Welt. Ein blondes Mädchen wird von seiner schlauen Plastikuhr am Handgelenk durch den Alltag dirigiert, vom Aufstehen bis zum Spieleabend mit der Familie. Das Gerät fördere "Verantwortung, Unabhängigkeit und Selbstwertgefühl", behauptet der Hersteller. Es sei ein "Trainingswerkzeug für gute Manieren".
Unabhängigkeit, Selbstwertgefühl, Manieren? Vielleicht könnte es eher so sein, dass der Optimierungswahn der Eltern hinter jeder Aufgabe steckt, die auf der Uhr mit einem niedlichen Symbol aufpoppt. Die Erwachsenen sind es nun einmal, die das Gerät programmieren, und sie können auch ständig über eine Fernsteuerungs-App kontrollieren, ob die Kinder ihre Termine wahrnehmen.
Die Firma Joy, ein Start-up-Unternehmen aus San Francisco, prophezeit, dass ihre Erfindung die Kleinen auf das spätere Berufsleben vorbereitet und ihnen beim Lernen für die digitale Welt hilft. Im Kern handele es sich aber schon um ein "Kommunikationstool für Eltern". Jedoch ist die Kommunikation ziemlich einseitig.
Für Helikoptereltern, die ganztags ohnehin schon digital um ihre Kinder herumschwirren wollen, könnte die Smartwatch ein hübsch getarntes Spionagegerät sein.
Überwachung im kleinen und im größeren Maßstab
Ähnliche Überwachungsmöglichkeiten verstecken sich in Apps für Teenager. 94 Prozent der deutschen Zwölf- bis 19-Jährigen besitzen ein Handy mit Internetzugang. Auf denen können Eltern Programme installieren, die automatisch den Standort der Kinder an ihre Handys oder Tablets senden. Die Tracking-App "Life 360" zeigt die Position der Familienmitglieder auf einer Karte an. Der Orter hat laut Herstellerangaben weltweit bereits 100 Millionen Nutzer.
Überwachung im kleinen Maßstab funktioniert schon über Whatsapp oder Facebook. In den Kommunikationsprogrammen kann man immer nachschauen, wann jemand zuletzt online war und ob er die letzte Nachricht gelesen hat. Man weiß aber nicht, wo sich der Betreffende befindet.
Spezielle digitale Spione mit Namen wie Pocket Nanny, iNanny, Family Tracker oder Footprints können mehr. Installiert auf den Kinderhandys und denen ihrer Eltern funktionieren sie wie elektronische Fußfesseln. Wenn das Kind nicht rechtzeitig in der Schule oder beim Fußballtraining erscheint oder sich aus seinem gewohnten Umfeld entfernt, schlägt die App Alarm. Die Anbieter solcher Programme, die monatlich bis zu 9,99 Euro kosten, appellieren an die Urängste vieler Eltern. "Die Familie zu beschützen war nie leichter", wirbt etwa die App Mama Bear. Die Bewertungen von Käufern im Netz sind überwiegend positiv: "Gute App um die Kinder im Auge zu behalten", lautet einer der Fünf-Sterne-Kommentare.