Die Bedeutung des Glühwein-Trinkens:Christ Fizz

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Von wegen heißer Alkohol mit Zimt: Der Glühwein ist ein Cocktail mit hochprozentiger Symbolik - und Teil eines immer gleichen Rituals.

Lisa Spitz

Glühwein und Latte Macchiato verhalten sich zueinander wie Filzpantoffeln und Lackpumps. Ihr Vorkommen unterscheidet sich zwar nach Jahreszeit, Umgebung, Konvention und Geschmack. Aber beide sind sie Heißgetränke, deren ursprünglich wertvolle Ausgangstoffe durch einen alchimistischen Prozess verwandelt werden.

Nehmen Sie noch einen Schluck. Schmecken Sie es jetzt? Gold, Weihrauch und Myrrhe? (Foto: Foto: Istockphotos)

Wenn man sich eine Latte bestellt, erwirbt man damit eine stundenlange Aufenthaltsgenehmigung in einem eleganten Bistro an der Münchner Maximilianstraße oder in diesen amerikanischen Kaffeedielen, wo man Kindern bei den Schularbeiten zusehen kann. Etwas ganz anderes bedeutet der Glühwein, der jetzt gerade zum Winterbeginn wieder eine große Rolle spielen wird.

Glühwein passt nicht zu Schweinsbraten oder Pangasiusfilet. Kein Mensch geht in ein Lokal, um den Abend bei ein paar Tässchen Glühwein zu verbringen. Man genießt ihn im Stehen, vorzugsweise im Freien nach dem strapaziösen Weihnachtseinkauf in der Fußgängerzone; die Geschäftsleitung spendiert ihn gerne beim winterlichen Betriebsausflug, und auf Hütten dient er der Après-Ski-Versorgung. Glühwein verbindet. Als gäbe es kein warmes Zuhause, stehen die Menschen auf ihrem frostigen Marktplatz, halten einen klebrigen heißen Becher in den klammen Händen und pusten in die dampfende Brühe, bis sich davon etwas abschlürfen lässt. Glühwein wärmt, jeden allein und doch irgendwie alle zusammen. Es ist ein geteiltes Los, ein bescheidenes Los.

Etymologisch betrachtet ist das Wort positiv besetzt. "Glühen" weist auf die heiße Mitte der lodernden Flamme und bedeutet Leben, Leidenschaft und Sinnlichkeit. Glut verwandelt Werkstücke, zeichnet Brandmale, vernichtet Keime. Hinzu kommt der Wein, eine in allen Kulturen von Mystik umrankte Quelle geistiger, religiöser und gesundheitlicher Kräfte. Im Glühwein trifft beides zusammen. Ja, er hat etwas Heilsames. Schon das rituelle schluckweise Trinken im Freien und in der Gemeinschaft kommt einer therapeutischen Kuranwendung nahe.

Dazu das Tippeln, um die kalten Füße zu bewegen, ganz sicher wird der Körper dabei entschlackt, entgiftet und durchblutet. Auch die Zutaten des Glühweins, über die so viel gerätselt wird, haben eine hehre Bedeutung. Zimt, Sternanis und Nelken - erinnert das nicht an Gold, Weihrauch und Myrrhe, die Gaben aus dem Morgenland, mit der die Heiligen Drei Könige dem Christuskind ihre Ehrerbietung zeigten? Im Glühwein dampft eine süße Ahnung des Weihnachtfestes, sozusagen das Innerliche, Wärmende, die auf Trinkstärke herabgesetzte christliche Botschaft. Gerade bei den bayerischen Katholiken spielt das beiläufig Symbolische ja eine große Rolle.

Seriöse Winzer fragen zwar regelmäßig, was sich ein Wein zuschulden kommen lassen müsse, damit er als Glühwein endet. Für sie erfüllt seine Herstellung nämlich den Tatbestand der Panscherei. Dabei kannte man schon im Altertum den Gewürzwein. Allerdings lässt sich eine ungebrochene Tradition nicht nachweisen. Es könnte durchaus sein, dass es sich in der Gegenwart um eine zufällige Entdeckung handelt wie bei der Weißwurst, dem Löschpapier oder dem Frotteestoff, alles Erfindungen, die durch ein Missgeschick entstanden, mittlerweile aus unserer Kultur aber nicht mehr wegzudenken sind.

Beim Glühwein könnte ein umgefallenes Gewürzregal entscheidend gewesen sein, denn die Ingredienzien für den heißen Wein sind vielfältig. Auch Teeblätter, Ingwer, Korinthen oder Apfelsinen- und Zitronenscheiben werden in manchen Gegenden beigegeben, das kommt dann einer aufgekochten Sangria nahe. Allerdings darf der Glühweinbottich niemals über 72,5°C erhitzt werden, andernfalls bilden sich unerwünschte Nebenstoffe.

Damit das Publikum nicht zu lange anstehen muss nach dem süßen Wein - es gibt ihn auch ohne Alkohol, dann heißt er Kinderpunsch - hat man Durchlauferhitzer entwickelt. Sie kosten so viel wie eine gute Espressomaschine und bieten eine Leistung von 250 Tassen pro Stunde. Damit amortisiert sich die Anschaffung an einem einzigen Samstag im Advent, wenn man sein Standl günstig auf dem Weihnachtsmarkt platzieren konnte.

Wie wird es weitergehen mit dem Glühwein? Als Traditionscocktail nimmt er sicher eine aussichtsreiche Entwicklung. Solche familientauglichen Softdrinks werden uns in den Klimawandel begleiten. Wenn erst mal Trendforscher wie Matthias Horx der Glühweinindustrie rosige Umsätze vorhersagen, wird sich der Glühwein auch in der gehobenen Küche etablieren. Als schwedischer Glögg oder französischer Vin brûlé hätte er eine große Zukunft vor sich. In Trier wurde im vergangenen Jahr bereits eine Glühweinkönigin inthronisiert. Das ist auf jeden Fall schon mal ein Anfang.

© SZ vom 14.11.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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