Biologisch abbaubare Tüte:Viel Lärm um Chips

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In Amerika ist ein Streit um eine Chipstüte entbrannt. Gut für die Umwelt, sagen die einen. Schlecht für die Ohren, sagen die anderen. Denn das Knistern des Öko-Beutels übertönt sogar Rasenmäher und die New Yorker U-Bahn.

Anna-Lena Roth

Es sind erschütternde Szenen: Ein kleiner Junge hält sich mit beiden Händen die Ohren zu, seine Augen sind vor Schreck geweitet. Eine Fernsehmoderatorin brüllt in die Kamera und ist trotzdem kaum zu verstehen. Ein Mann im Supermarkt verspricht, in den Händen das beste Mittel gegen fiese Nachbarn und nervige Freunde zu halten. Und das alles wegen einer Tüte Chips.

Nein, es ist keiner dieser gewöhnlichen Plastikbeutel, mit denen sich Couchpotatoes abends in Ruhe vor den Fernseher lümmeln. An Ruhe ist bei der "Sunchips"-Tüte des US-Snackherstellers Frito-Lay gar nicht zu denken. Greift man hinein, steigt der Geräuschpegel enorm, zerknittert und zerknautscht man sie, ist das eigene Wort nicht mehr zu verstehen.

Vier Jahre hat Frito-Lay für die Entwicklung der Tüte gebraucht. Sie ist aus pflanzlichen Stoffen hergestellt und zersetzt sich innerhalb von 14 Wochen komplett. "Das ist unser erster Schritt hin zu einer Verringerung der nichterneuerbaren Verpackungsmaterialien", schreibt die Firma auf ihrer Internetseite. Poetischer wird sie an anderer Stelle: "Du isst die Chips, die Erde isst die Tüte, wir alle leben in einer sauberen Welt." Die Verpackung sei lauter, weil sie kompostierbar sei, wirbt Frito-Lay auf dem Öko-Beutel. Oder besser: warb.

Denn Anfang Oktober, gut anderthalb Jahre nach ihrer Einführung, hat die Firma die Tüten aus den Regalen genommen. Die Kritik hatte stetig zugenommen. Am Ende war sie schließlich: zu laut.

Hunderte Videos kursieren über die biologisch abbaubare Tüte im Internet, darunter beispielsweise der kleine Junge, der beim Lärm der Tüte einen fürchterlichen Schreck bekommt. Die Facebookgruppe "Sorry I can't hear you over this sun chips bag" ("Entschuldige, ich kann dich bei dem Lärm der Sunchips-Tüte nicht verstehen") hat mittlerweile stolze 53.727 Fans. Sogar Nachrichtensendungen der US-Sender Fox und NBC widmeten sich dem Phänomen. Ausgestattet mit einem Dezibelmesser fand so ein Moderator der Today Show heraus: Die New Yorker U-Bahn wird 91 Dezibel laut - die Chipstüte schafft 95.

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95 Dezibel! So laut ist etwa ein Rasenmäher. Oder ein Lastwagen. 2007 schafften es kreischende Achtklässler auf 90 Dezibel, in einem normalen Gespräch werden etwa 55 erreicht.

Für die einen ist es die wunderbarste Erfindung, seit es Naturschutz gibt. Für die anderen eine akustische Quälerei: die Tüte der "Sunchips", entwickelt von der US-Firma Frito-Lay. (Foto: AP)

Einer der ersten, der sich in einem Video über die Sunchips lustig machte, ist der US-Blogger Patrick Sandora. Kurz nachdem die Tüte auf den Markt kam, stellte er ein Video online, in dem er demonstrativ mit der Verpackung raschelt und versucht, gegen den Lärm anzubrüllen. "Wenn du versuchst, ein paar Chips aus der Tüte zu holen: Viel Glück. Denn die Leute um dich herum werden echt angepisst sein", ruft er da. Und macht sich sodann auf die Sinnsuche. "Ist es, damit Übergewichtige die Chips nicht heimlich naschen können?"

Über 50.000 Mal wurde das Video angeklickt, die Today Show zeigte es Monate später sogar im Fernsehen. Doch neben vielen lustigen Kommentaren von Gleichgesinnten erntete Sandora dafür auch böse Kritik auf seinem Blog ablogabouthings.com.

Vor allem Umweltschützer haben es auf ihn abgesehen, nachdem Frito-Lay die umweltfreundlichen Tüten vom Markt nahm. Die netteren unter ihnen raten Sandora, die Chips doch einfach in eine Schüssel umzufüllen. Andere werden deutlicher, bezeichnen ihn als "Vollidiot", "Ignorant" oder als "Verantwortlichen für den Untergang des Planeten". Ein User schreibt: "Großartig! Jetzt können wir ganz leise mit unseren plastikverseuchten Ozeanen sterben."

So weit wird es wohl nicht kommen. Frito-Lay hat bereits angekündigt, in "naher Zukunft" eine neue, kompostierbare Chipstüte auf den Markt zu bringen. Eine, die ganz leise ist.

Im benachbarten Kanada verfolgt Frito-Lay hingegen eine andere, offensivere Strategie. Vizechefin Anne-Marie Renaud nutzte dort das Internet, um sich direkt an die Kunden zu wenden: "Gehen Sie in den nächsten Supermarkt und kaufen Sie eine Tüte", sagt sie da. "Wenn sie das Knistern für zu laut halten, dann teilen sie uns das mit und wir schicken Ihnen ein paar Ohrstöpsel."

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