Kolumne: Meine Leidenschaft:"Wieder und wieder und wieder probieren"

Lesezeit: 5 min

Die Gemeinsamkeit von Geige- und Snookerspielen? "Der ungesund gebeugte Rücken zum Beispiel." Violinist Michael Barenboim im Berliner "Billardaire". (Foto: Christoph Voy)

Der Berliner Solist Michael Barenboim spielt ab und zu gern etwas Leichteres als Violine: Snooker. Schließlich gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Queue und Geigenbogen. Ein Treffen im Salon "Billardaire".

Von Anne Goebel

Mit dem Spielen ist es so eine Sache, das Wort klingt federleicht, nach Mühelosigkeit, aber es kommt auf den Zusammenhang an. Beim Instrumentspielen geht es um Ernsthaftigkeit, Ausdauer, den Wunsch nach Perfektion, zumindest, wenn man gewisse Ansprüche an sich stellt. Was Michael Barenboim sicher von Anfang an tat, das geht gar nicht anders bei diesem Namen. Der Berliner Geiger ist immerhin der Sohn vom großen Barenboim, weshalb es auch gerade nicht einfach ist, sich mit ihm zu verabreden.

Erst die gesundheitlichen Probleme des Vaters, dann im Januar die Nachricht: Daniel Barenboim tritt als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper zurück. Das hält die Familie auf Trab. Aber schließlich gelingt das Treffen, an einem windigen Tag in Schöneberg, in einem Lokal mit dem varietéhaften Namen "Billardaire". Michael Barenboim spielt nämlich auch gerne etwas Leichteres als Violine: Snooker. Wobei er dabei, das wird sich rasch zeigen, den Instrumentalisten nie ganz loswird.

Hemd, Chinos, Wildlederslipper und Tweedweste: Passend angezogen ist Barenboim schon mal, eine zeitlose Casual-Eleganz, die in Berlin gern als Streberlook missverstanden wird. Er finde Westen einfach angenehm zu tragen, sagt Barenboim - und im Snooker ist ein ordentlicher waistcoat bei Turnieren Pflicht, ebenso wie Hemd und Fliege. Das kommt von der Geschichte des Sports, der um 1870 in britischen Offizierskasinos entstand, als Unterhaltung in den Klubs fern der Heimat in Britisch-Indien.

"Ich mag es, dass bei dem Sport nicht einfach losgeballert wird."

Auch bei Zigarren und Abendprogramm bewahrte man Haltung, daher das Formelle, was dem 38-Jährigen vom Prinzip her gut gefällt. "Ich mag es, dass bei dem Sport nicht einfach losgeballert wird. Man überlegt erst einmal", sagt er und stößt entsprechend gezügelt eine grüne Kugel. Versenkt. Er quittiert es mit einem Nicken, nimmt sich die Kreide, mit der die Spitze des Queues während einer Partie ständig - man könnte bei manchen Profis fast sagen: manisch - geweißelt wird zwecks besserer Reibung, und wandert ans andere Ende des mächtigen Tisches. Genau zwölf Fuß entfernt. "Riesending. Dafür hätte ich zu Hause keinen Platz", sagt er. Um im Gespräch zu bleiben, wandert man die folgenden 45 Minuten lang immer hinterher.

Snooker gilt als schwierige Variante, bei der Erfolg stärker als im klassischen Billard von höchster Konzentration abhängt, von taktischem Verständnis, der Berechnung von Winkeln. To snooker somebody bedeutet so viel wie "jemanden behindern, einsperren" - oft können die komplex angeordneten Kugeln nicht direkt angespielt werden, es braucht durchdachte Abfolgen mehrerer Stöße.

Barenboim, der als Violinist regelmäßig mit großen Orchestern wie den Wiener Philharmonikern oder dem Chicago Symphony Orchestra auftritt, ist jetzt ganz der Einzelspieler. Fixiert das Arrangement aus roten und ein paar andersfarbigen Kugeln auf dem grasgrünen Filz, erklärt knapp das Verzwickte der jeweiligen Situation, wobei er dazu neigt, schon vor dem Stoß Erwartungen zu dämpfen mit Sätzen wie "Das wird jetzt wahrscheinlich nichts". Er würde schon gerne sicherer treffen und öfter üben, sagt er und lacht. Aber der Job als vielbeschäftigter Solist, immer unterwegs, und als Leiter der Berliner Musikhochschule Barenboim-Said-Akademie lasse ihm wenig Zeit. Und er ist Familienvater.

Klare Strategie: Bei der Billard-Variante Snooker spielt Taktik eine besonders große Rolle. (Foto: Christoph Voy)

Mit Mitte zwanzig fing er an, mit einem Freund Billard zu spielen. Auf Konzertreisen kommt es vor, dass er in einer fremden Stadt spontan einen Salon betritt, sich einen Queue leiht und alleine ein bisschen spielt und trainiert. Immer das gleiche, vertraute Setting, die stoffbespannten Tische, die Lampenreihen darüber, die Atmosphäre eine Mischung aus Lässigkeit und Konzentration. Die passenden Bilder aus Filmen wie "The Hustler" und "Die Farbe des Geldes" hat man gleich vor Augen, wortkarge Einzelgänger, die nach viel Gedankenwälzen den Queue zum vernichtenden Schlag ansetzen.

Im Berliner "Billardaire" ist nicht viel los an diesem Nachmittag, aber ein, zwei Zuschauer gibt es doch, und Michael Barenboim scheint eher Spaß daran zu haben, die Freude über Gelungenes zu teilen, als sich in geheimnisvolles Schweigen zu hüllen. "So, oder?", sagt er, wenn ihn ein Stoß (trotz negativer Prophezeiung) zufrieden macht und die Kugeln mit sattem Klacken über den Filz kullern. "So gehört es, oder?"

Und die Ähnlichkeiten zum Geigenspiel? Er richtet sich auf und streckt erst mal den Rücken durch. "Erste Gemeinsamkeit: die gebeugte Haltung. Nicht sehr gesundheitsfördernd." Er habe aber gelernt, als Profimusiker gut auf seinen Körper und seine Bandscheiben zu achten. Eine weitere Parallele: So sehr man sich um Disziplin und optimales Training bemühe, das letzte Quäntchen, ob ein Musikstück oder ein Snooker-Satz, ein "Frame", perfekt gelingt, habe man nicht in der Hand. "War das jetzt Kontrolle oder Zufall? Oder beides? Das finde ich faszinierend. Deshalb liebe ich dieses Spiel."

Die Seriensiege der Snooker-Superstars? Findet er viel zu glatt

Und dann ist da natürlich die Ausdauer. Eine Passage in einer Mozartsonate, die ständig misslingt, oder eine zigmal verschossene schwarze Kugel in einer Standardkonstellation: "Wieder und wieder und wieder probieren", sagt er. "So blöd es ist, aber kneifen geht nicht." Zumindest nicht mit dem Geigenbogen. Beim Queue erlaubt er sich ein bisschen mehr Spielraum. Und überlässt die echte Meisterschaft den Profis, als Zuschauer beim Mitfiebern vor dem Bildschirm, etwa beim renommierten Masters, das gerade in London stattfand.

Wobei ihn glatte Siege, die Superstars wie der Brite Ronnie O'Sullivan gerne in Serie hinlegen, weniger begeistern als Zitterpartien. "Scheitern oder beinahe scheitern, das sind doch die Geschichten, die wir alle sehen wollen", sagt Barenboim. "Es geht schließlich um Menschen, nicht um Roboter." Was wiederum ein Satz ist, der auch gut passt, wenn ihm selbst mal ein Konzertauftritt nicht so gelingt, wie er es gerne hätte. So einen Abend abhaken zu können, müsse man sich hart erarbeiten. "Sich danach immer wieder einzureden, wie schlimm das war, ist einfach. Das kann jeder ziemlich gut. Die Kunst ist, sich genau davon freizumachen."

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Zurück an den Snookertisch, noch ein paar Stöße. Einmal Kopfschütteln ("Gelb geht heute nicht"), einmal ein zufriedenes Lächeln. Dann ist die Zeit um, am Ausgang fischt er noch eine Handvoll saure Weingummis aus dem Glas, das auf dem Tresen steht. "Süßigkeiten!", ruft Barenboim und schiebt sich beim Hinausgehen ein paar in den Mund. Draußen an der Monumentenstraße kehrt der Alltag zurück: Erst kurz an die Akademie, dann muss er noch in der Kita vorbeischauen, am Fahrradlenker baumelt eine Tüte mit einer leicht verbeulten Kinder-Lunchbox. Ein ganz normaler, straff organisierter Wochentag. So eine Partie Snooker hingegen, die hat schon was von kleinen Ferien.

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände benötigt Michael Barenboim fürs Snookerspielen:

Die Kugeln

Ordnung: Beim Snooker hat jede der sechs bunten Kugeln ihren festen Platz auf dem Tisch. (Foto: Christoph Voy)

"Beim Snooker haben die farbigen Kugeln jeweils ihren angestammten Platz auf dem Tisch, und von diesen Spots aus versucht man sie zu lochen. Beim Training wiederholt man also immer wieder bestimmte Standardsituationen, was ziemlich frustrierend sein kann, wenn es dauernd schiefgeht. Kann schon passieren, dass man eine Farbe an so einem Tag irgendwann nicht mehr sehen kann."

Der Queue

Stütze: Der Queue wird auf der sogenannten Brücke abgelegt. (Foto: Christoph Voy)

"Ich habe meinen eigenen Queue, den habe ich mir gekauft, als ich vorhatte, viel öfter zu spielen. Leider komme ich selten dazu und leihe mir meistens einen im Salon. Mir gefallen die Queues, sie haben etwas Elegantes und liegen angenehm in der Hand. Auf der sogenannten Brücke kann man sie ablegen. Ziemlich absurd sieht es aus, wenn man mit einem extrem verlängertem Queue spielt. Finde ich jedenfalls, und es gelingt mir auch kaum, den ruhig zu halten."

Die Kreide

Ritual: das Einkreiden des Snooker-Queues. (Foto: Christoph Voy)

"Die Kreide ist beim Billard das, was das Bogenharz bei der Geige ist: Sie sorgen für Reibung, damit der Klang sich entfaltet beziehungsweise damit man der Kugel eine Richtung geben kann. Bei manchen Profis kann man beobachten, dass das Einkreiden des Queues fast schon ein Tick ist. Wie bei Tennisspielern, die vor dem Aufschlag x-mal den Ball auftippen lassen."

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