Berlin:„Karriereende ist scheiße“: Para-Athlet Heinrich Popow

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Leverkusen (dpa) - Eigentlich wäre der Leistungssportler Heinrich Popow schon seit einem Jahr in Rente. Weil er sich als erster Prothesen-Teilnehmer an der RTL-Sendung "Let's Dance" aber bis zur Aufgabe schindete und für die WM 2017 ausfiel, wird der Leichtathlet seinen Abschied nun am Dienstag bei der Heim-EM in Berlin geben.

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Leverkusen (dpa) - Eigentlich wäre der Leistungssportler Heinrich Popow schon seit einem Jahr in Rente. Weil er sich als erster Prothesen-Teilnehmer an der RTL-Sendung „Let's Dance“ aber bis zur Aufgabe schindete und für die WM 2017 ausfiel, wird der Leichtathlet seinen Abschied nun am Dienstag bei der Heim-EM in Berlin geben.

„Nach der Sendung setzte ein riesiger Hype ein“, sagte der 35-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: „Wenn ich heute an der Raststätte einen Kaffee hole, muss ich viele Selfies machen, manchmal kreischen sogar Mädels. Das hat es vorher nie gegeben.“ Das löst bei Popow gemischte Gefühle aus.

„Es freut mich, weil ich die Popularität auch einsetzen kann, um Dinge anzusprechen oder zu verändern. Aber es ist auch bitter, wenn eine einzige Sendung dich bekannter macht als 15 Jahre Leistungssport“, sagte er: „Deshalb fotografieren Sportler der Generation Y auch lieber ihr Sixpack, um bei Instagram eine Million Likes zu bekommen statt in der Halle an ihrer Technik zu feilen.“

So ist der Kämpfer Popow, der bei „Let's Dance“ bis in die Top 5 gewählt wurde, ehe er wegen diverser Verletzungen aussteigen musste: Er blickt über den Tellerrand, er ist streitbar - und er sagt immer seine Meinung.

Für Friedhelm Julius Beucher, den Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) ist der 35-Jährige „ein begnadeter Menschenfänger. Er kann mit einer selbstverständlichen Rigorosität junge Menschen begeistern. Es ist einfach ein netter Sunnyboy mit einem eigenen Kopf, mit dem wir uns gerne schmücken.“

Mit der erwähnten Rigorosität beurteilt der Leverkusener auch seine Gefühle vor dem letzten Weitsprung-Wettkampf. „Karriereende ist scheiße! Aber es wäre auch scheiße, wenn es einem gleichgültig wäre“, sagte er: „Extrem ausgedrückt fühlt es sich an, als ob ich meine eigene Beerdigung vorbereite. Du hast keine Lust darauf, aber du fühlst, dass es an der Zeit ist.“

Ob er sportlich bereit ist für seinen letzten Wettkampf, weiß der 100-m-Paralympicssieger von 2012 und im Weitsprung von 2016 selbst nicht. „Ich habe mich in diesem Jahr emotional nicht so aufgeladen, wie es vielleicht sein müsste“, gestand er. „Ich bin immer noch total geil auf den Wettkampf“, sagte der Sportler, dessen linkes Bein nach einer Krebserkrankung im Alter von neun Jahren amputiert wurde.

Aber da war auch eine Angst, dass der Absturz danach zu groß ist. Zusätzlich ins Grübeln kam Popow, als er in der Vorwoche bei der EM in Berlin den Abschied von Diskus-Olympiasieger Robert Harting als Sechster verfolgte: „Man hatte das Gefühl, dass ihn der Druck und die Emotionen ein bisschen erdrücken.“

Klar ist für den gebürtigen Kasachen: „Ich beerdige nur den Leistungssportler Popow, den Sportler ganz sicher nicht.“ Sport treiben werde er schon aus gesundheitlichen Gründen immer. „Wenn Du als Oberschenkelamputierter keinen Sport machst, leidet deine Lebensqualität um 100 Prozent, und da habe ich keinen Bock drauf“, betonte er.

„Es ist bewiesen, dass man bis zu sieben Mal mehr Energie braucht, um den Alltag zu bewältigen. Deshalb verstehe ich auch manches an unserem Gesundheitssystem und am System unserer Krankenkassen nicht. Wenn ich höre, dass Sportprothesen nicht bezahlt werden, könnte ich kotzen.“

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