Da sitzt er, der traurige und verzweifelte Typ, inmitten seiner kleinen, dunklen Wohnung. Er hockt auf dem Bett - und irgendwie scheint die Zimmerdecke auch auf seinem Kopf zu hocken. So niedrig ist sie. Mit dem Kopf stößt er oben an. Kein Wunder, dass die Freundin sagt: "Deine Wohnung ist einfach zu klein. Ich kann das nicht mehr. Sorry." Dann verlässt sie ihn. Ihn, seine viel zu kleine Wohnung, den Kaktus und auch den Wellensittich. Die Ex-Freundin lässt ein absurdes Liliput hinter sich. Der Typ bricht in Tränen aus. Doch später macht er sich auf die Suche nach einer "richtigen" Wohnung. Er besichtigt halbe Paläste, riesige Villen, gigantische Penthouse-Wohnungen und einmal steht in der riesenhaften Altbauwohnung sogar ein Pferd im bowlingbahn-großen Gang.
Dazu ist ein Rap zu hören: "Da steht ein Pferd auf dem Flur / warum auch nicht / Platz ist genug, Schatz, / ich bitte dich". Der Clip des Online-Immobilienportals gehört seit einiger Zeit zu den bekanntesten Werbeclips in Deutschland. Er ist auch richtig gut. Hat nur zwei Fehler. Der eine: In Zeiten der Wohnungsnot ist es in den Ballungsräumen nicht so leicht, wie es die Werbung suggeriert, eine bezahlbare, halbwegs brauchbare Wohnung zu bekommen. Zu schweigen von den Palästen. Der zweite Fehler aber ist: Die Wohnungen in Deutschland sind in der Regel nicht zu klein, sondern im Gegenteil mittlerweile viel zu groß. Folglich gäbe es gar keine Wohnungsnot, würde man nicht auf zu großem Fuß und in quantitativ üppig bemessenen (qualitativ aber oft miserabel organisierten) Grundrissen leben.
Als gäbe es ein Menschenrecht auf freistehende Badewannen, skulpturale Kühlschränke, Gästezimmer, Ankleideräume, Salons und Sofalandschaften, die genau das sind: breiig sich in den Wohnraum ergießende Landschaften von einem Möbelladen, der das XL für Extralarge schon im Namen trägt. Das Wohnen ist zum nervigen Fetisch unserer Zeit geworden. Zwar werden die Familien immer kleiner, die Küchen aber werden immer größer. Raum ist ein Distinktionsmittel geworden. Schloss Versailles: Das ist das Mindeste, wenn man sich die Frage, ob man schon lebt oder noch wohnt, einigermaßen würdevoll beantworten will.
In den letzten Jahrzehnten, etwa seit Olympia 1972, hat sich die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf, die in Deutschland in Anspruch genommen wird, mal eben verdoppelt. Bald werden es 50 Quadratmeter sein. Pro Mensch. Zum Vergleich: Nur in den USA lebt es sich noch monumentaler, in China kommt man mit 30, in der Türkei mit 18 und in Nigeria mit sechs Quadratmetern aus. Man muss damit auskommen. Dem Flächenbedarf beim Wohnen entspricht in Deutschland, einem Hotspot der glamourösen Wohnmagazine, der Boom der Baumarkt-Discounter. Das Wohnen, eigentlich eine existenzielle Frage seit der Urhütte, den ersten Pfahlbauten und den Höhlen der Frühmenschen, ist zur Selbstvergewisserungsneurose geworden. Der auch deshalb eine echte Not zur Seite steht. Beides bedingt sich.
Denn natürlich gibt es zu wenige und zu teure Wohnungen in den Zentren für zu viele Menschen, die danach suchen. Aber wie die Kleinwagen, die nicht mehr auf den verstopften Straßen zu sehen sind, weil sie von fettleibigen Panzern, sogenannten SUVs und vom PS-Wahnsinn auf vier Rädern verdrängt wurden, gibt es auch nur noch wenig ökonomischen, raumsparenden Wohnsinn. Dabei gibt es kleine Häuser und kleine Wohnungen, die herrliche Orte sind. Weil sie mit Sinn und Verstand und einem Gespür für Licht, Materialität und Proportion belebt werden. Und weil man den Raum nicht umbringt mit riesenhaften Sofalandschaften, abnormen Fernsehgeräten und Kingsize-Bettenburgen für eine immer fettere Welt.
Umgekehrt gibt es riesige Wohnquadratmeteransammlungen, die einfach nur depressiv in ihrer Raumverschwendungssucht machen. Dieser Hang zur Villa Godzilla ist natürlich erst mal ein Problem von zu viel Geld (oft einhergehend mit zu wenig Geschmack). Also zunächst eher exotisch. Aber tatsächlich gilt inzwischen auch für Zwei - und Dreizimmer-Wohnungen das olympische Motto des Immobilienmarktes: höher, größer, weiter. Früher waren die Balkone so groß, dass man aus dem Haus heraustreten und auf einem Stuhl an einem kleinen Tisch sitzen konnte. Jetzt sind daraus halbe Tennisplätze geworden.
Der Wohnwert ergibt sich allerdings nicht aus der Anzahl der Quadratmeter, also aus der Quantität, sondern aus der Qualität des Grundrisses. Kein Wunder, dass es mittlerweile ein Tiny House Movement gibt - als gesellschaftliche Antwort auf das Delirium des adipösen Wohnens. Weniger ist mehr: Nie zuvor war dieser Satz der klassischen Moderne so notwendig wie heute, da die Menschen in Deutschland durchschnittlich fast 50 Quadratmeter bewohnen und irrsinnigerweise dennoch, aber auch deshalb von einer Wohnungsnot bedroht sind. Natürlich hat die Krise des Wohnens, die entscheidende soziale Frage der Gegenwart, mit einem Versagen der Politik wie auch des Marktes zu tun. Aber auch etwas mit dem eigenen raumökonomisch-konsumistischen Verhalten, das zugleich eine ökologische Frage beinhaltet, denn jeder Quadratmeter kostet Energie. Wenn wir auf fünfzig Quadratmeter pro Wohnmensch schon ein Problem haben, was erzählen wir dann eigentlich dem Rest der Welt?