Arte-Dokumentation über Wagner-Gruppe:Wo sie sind, wird es düster

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Der ehemalige russische Berufssoldat Marat Gabidullin trat der Wagner-Gruppe bei. In der Doku spricht er über seine Zeit als Söldner in Syrien. (Foto: Forbidden Stories/ARTE F)

Eine zweiteilige Arte-Doku über die Wagner-Gruppe bietet viel sorgfältiges Hintergrundwissen. Aber sie vernachlässigt die aktuelle Rolle im Ukraine-Krieg.

Von Frank Nienhuysen

Der Name dürfte eines der größeren Understatements der russischen Militärgeschichte sein: "Wagner-Gruppe" klingt so harmlos und klein und ist doch einer der brutalsten und prägendsten Faktoren in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wagner erklärte Bachmut für erobert, rekrutierte Abertausende Häftlinge für den Krieg, und ihr Anführer Jewgenij Prigoschin hat so viel Chuzpe, dass er ständig die russische Armeeführung kritisiert und verhöhnt, ohne dafür belangt zu werden. Wie kann das sein?

Fast zwei Stunden taucht Benoît Bringer in einer zweiteiligen Dokumentation für Arte und Forbidden Stories tief hinein in die Geschichte der paramilitärischen Truppe. Die Wagner-Gruppe - Russlands geheime Söldner beginnt 2014, mit dem Maidan in Kiew. Damals habe das russische Verteidigungsministerium die Idee gehabt, bestens ausgerüstete Einheiten aufzustellen, die nicht mit der Armee verbunden sind. So einfach ist das manchmal: Wo der Staat als solcher nicht auftritt, kann er nur schwer verantwortlich gemacht werden. Der Journalist Ilja Barabanow sagt es so: "Prigoschin ist in keiner Weise direkt mit der Staatsmacht verbunden. Zugleich erledigt er für sie alle möglichen Dienstleistungen, die inoffiziell bleiben. Von Kriegsgeschäften bis Söldnereinsätzen, die vom Verteidigungsministerium verneint werden."

Hauptinformant ist ist der ehemalige russische Wagner-Kämpfer Marat Gabidullin

Der Ukraine-Krieg, der streng genommen 2014 begann, bildet den zeitlichen Rahmen dieses Söldnertruppen-Porträts, Aufstieg und Machtfülle der Wagner-Organisation werden jedoch vor allem an zwei anderen schicksalhaften Schauplätzen dokumentiert: Syrien und Zentralafrikanische Republik.

Hauptinformant für den Syrien-Abschnitt ist der ehemalige russische Wagner-Kämpfer Marat Gabidullin, der bei der Einnahme der Stadt Palmyra und dem Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat dabei war. Inoffiziell habe die Wagner-Gruppe in Syrien die Funktion von Bodentruppen übernommen, sagt er: "Offiziell war sie gar nicht da." Selbstredend ist Gabidullin ins Ausland geflüchtet.

Das Filmteam hat für die akribische Wagner-Dokumentation zahlreiche Gesprächspartner aufgesucht, geflüchtete russische Investigativjournalisten, Menschenrechtler aus Russland und von den Vereinten Nationen, Angehörige mutmaßlicher Wagner-Opfer. Entstanden ist daraus ein sehr düsteres Bild, das die dramatisch-dunkle Begleitmusik gar nicht nötig gehabt hätte: Es wirkt auch so schlimm genug.

Der kritische Journalist Denis Korotkow bekam einen abgetrennten Widderkopf zugeschickt

Der Film erzählt beispielsweise die Geschichte eines Syrers, der sich 2017 der Assad-Armee verweigerte und mutmaßlich von Wagner-Leuten zu Tode gefoltert wurde. Beklemmende Videoschnipsel sind zu sehen und ein verzweifelter, anonymisierter Bruder namens "Abdallah", der einen schwer belasteten Peiniger juristisch nicht zu fassen bekam, obwohl der russische Nowaja Gaseta-Journalist Denis Korotkow ihn identifizieren konnte. Dieser Peiniger ist inzwischen aus nicht genannten Gründen gestorben. An Korotkow, der maßgeblich an der Arte-Doku mitwirkte und vor Jahren bereits eine große Reportage über die Wagner-Truppe geschrieben hatte, wurde ein Trauerkranz sowie ein abgetrennter Widderkopf geschickt. Eine unmissverständliche Drohung in Richtung des Journalisten. Auch er lebt jetzt außerhalb Russlands. Weil im Fall des Syrers die russische Justiz offensichtlich kein gesteigertes Aufklärungsinteresse hat, will eine internationale Menschenrechtlerin nun nicht mehr die Wagner-Gruppe verklagen, sondern gleich den Staat - vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Offiziell aufgeklärt werden dürfte wohl auch nicht der Tod dreier russischer Investigativjournalisten, die sich im Sommer 2018 in der Zentralafrikanischen Republik an die Wagner-Gruppe heranwagten und über deren Geschäftsinteressen recherchieren wollten. Demnach schützten die Söldner strategische Anlagen oder halfen im Bürgerkrieg, im Gegenzug erhielten sie Beteiligungen an Bodenschätzen. Die unabhängige UN-Expertin Sorcha MacLeod sagt, es gibt ein Muster: "Immer wenn Wagner-Söldner an bewaffneten Konflikten beteiligt sind, kommt es zu Menschenrechtsverletzungen und potenziellen Kriegsverbrechen."

Dies aber ist die Schwäche des umfangreich recherchierten Benoît Bringer-Werks über die Wagner-Gruppe: Es zeigt, wie sich die Organisation von Prigoschin als vom Staat lange geleugneter Machtfaktor etablierte, ihre strategische Rolle auf den ukrainischen Schlachtfeldern wird dagegen allerdings kaum beleuchtet. Ist sie Partner der russischen Armee oder etwa auch ihr Konkurrent? Wie maßgeblich ist sie auf den Schlachtfeldern? Kaum mehr als zehn von 112 Filmminuten nimmt der Krieg ein, der doch gerade die Welt verändert. Eine Einschätzung immerhin von Marat Gabidullin, dem ehemaligen Kämpfer: "Die Wagner-Leute haben Kampferfahrung. Sie sind in der Ukraine, weil die Streitkräfte nicht in der Lage sind, den Auftrag auszuführen." Das russische System könne ohne sie nicht auskommen.

Den Eindruck wollte am Wochenende wohl auch Wagner-Chef Prigoschin erwecken. Er sprach von Chaos im russisch-ukrainischen Grenzgebiet, attackierte die Armeeführung und drohte, selbst Truppen zu schicken.

Die Wagner-Gruppe - Russlands geheime Söldner, Arte, zweiteilige Dokumentation, 20.15 Uhr.

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