Die Erosion der Bindekräfte ist in Deutschland seit geraumer Zeit unübersehbar. Frustrierte Distanzierungen werden praktisch täglich zum Gegenstand neuer Schlagzeilen. Der Magnetismus der Traditionsparteien kollabiert. Insofern ist es plausibel, dass es die eine Kernfrage zur politischen Kultur gibt: Was wird künftig diese Republik zusammenhalten? Vor diesem Hintergrund richtet sich der Blick mit neuer Intensität auf das Amt des Bundespräsidenten. Hier könnte man neue Bindekräfte der Politik verorten - falls der neue Bundespräsident diesen Erwartungshorizont positiv erfahrbar machen kann und an die Leistung seines Vorgängers kraftvoll, magnetisch ausstrahlend anknüpft.
Und diese Hoffnung trägt nun einen Namen: Frank-Walter Steinmeier.
Eine höchst kundige Erzählung des Lebens von Frank-Walter Steinmeier
Zu diesem Mann, der seit vielen Jahren Spitzenämter in Bundesregierung und Bundestag wahrnimmt und der uns trotzdem in seinem kulturellen Unterfutter, seinem intentionalen Erfahrungshorizont weitgehend unbekannt ist, liegt nun eine aktuelle Biografie vor. Zwei Politikwissenschaftler, Torben Lütjen und Lars Geiges, die beide ihr spezifisches Profil im Göttinger Institut für Demokratieforschung erarbeitet haben, vermitteln uns viele Details jenes interessanten Lebens. Das Buch ist allerdings nicht ein wissenschaftliches Werk im Sinne einer methodischen Systematik mit quellengesättigter Nachprüfbarkeit. Es ist vielmehr eine höchst kundige Erzählung des Lebens von Frank-Walter Steinmeier - im Plauderton und daher für jedermann gut lesbar. Die einzelnen Kapitel sind gleichsam wie Erzählstücke aus einem Tagebuch.
Politische Beobachter wissen: Dies ist ein höchst ungewöhnliches Leben. Und zugleich fragt man sich: Kennt man diesen Mann, dessen Talente viele Erfolge begründen, der aber sein Inneres nicht nach außen kehrt und nicht jeden Zentimeter seines Wirkens in offensives mediales Material übertragen hat? Natürlich kennen wir die Daten seines Lebenslaufs, seine Stationen von der Staatskanzlei in Hannover über das Bundeskanzleramt, die SPD-Bundestagsfraktion, die Kanzlerkandidatur, das Auswärtige Amt. Und zuletzt wurde er zum Gegenstand politischen Taktierens der Parteiführer.
Die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten ist seit Jahrzehnten ein symbolisches Signal für die künftige Machtarchitektur der Republik. Aber dennoch kennen wir noch lange nicht seine innere Disposition, seinen Motivationshorizont, sein strategisches Denken. Da kandidiert jemand zum Amt des Bundespräsidenten, bei dem wir nicht behaupten können, die Tiefe seiner Persönlichkeitssubstanz erfasst, ja längst erkundet zu haben. Er bietet ein anderes Bild von einem Politiker, als wir es herkömmlich gewohnt sind.
Vor diesem Hintergrund greift man besonders neugierig zu diesem neuen Buch. Denn die Lektüre dieses Werkes soll nun die vielen Fragen zu dieser Biografie beantworten.