Performance:Nixensabbat

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Bei Florentina Holzingers "Ophelia's Got Talent" an der Berliner Volksbühne stehen die Leute inzwischen Schlange um ein Ticket. (Foto: Nicole Marianna Wytyczak)

Florentina Holzinger bringt mit ihrer Saisoneröffnung "Ophelia's Got Talent" die Berliner Volksbühne auf Kurs.

Von Dorion Weickmann

Die Frau hat es wirklich geschafft: Poster statt Programmheft, PR-Aufkleber statt Besetzungszettel und eine bis auf den letzten Platz gefüllte Volksbühne. Ob Florentina Holzingers Saisoneröffnung "Ophelia's Got Talent" nur einen Ausreißer markiert oder Intendant René Pollesch am Rosa-Luxemburg-Platz ab sofort mit mehr Fortune (und weniger eigenen Inszenierungen) agiert, bleibt abzuwarten. Jedenfalls taucht das Wasserspektakel, das die österreichische Choreografin mit zwölf Co-Performerinnen und sechs Kindern organisiert hat, kulturgeschichtlich ziemlich tief ab.

Trotz TV-Titel, einigen verdächtig nah am "Musikantenstadl"-Ufer gebauten Szenen und der üblichen Holzinger-Folklore - diesmal: Oberlippen-Piercing mit Angelhaken -, ist der Abend geglückt. Was sich zum einen den phänomenalen Akteurinnen verdankt, die den ebenfalls üblichen Holzinger-Nudismus zwei Stunden lang als geradezu züchtiges Kostümbild verkaufen. Zum anderen spielt "Ophelia's Got Talent" mit der Pop-, Kunst- und Tanztradition, ohne auf das Seifenoper-Niveau der Vorgänger-Produktionen (namentlich die hochgejazzte Ballettabrechnung "Tanz" und die höllische Dante-Variante "A divine comedy") abzudriften.

Die Schockmomente werden weich gepolstert.

Mit dem Nixensabbat pflügt die sechsunddreißigjährige Wienerin durch tanzhistorisch gut kartierte Gewässer. Angefangen von Jules Perrots "Ondine" über Frederick Ashtons gleichnamige Umsetzung einer Partitur von Hans Werner Henze bis zu John Neumeiers "Little Mermaid" wimmelt es in der Tanzgeschichte von extravaganten Ballerinenrollen. Pina Bausch und Sasha Waltz schöpften aus dem kühlen Nass einige ihrer besten Kreationen, Meg Stuart hat gerade erst den halben Zürichsee bespielt. Florentina Holzinger zieht beide Motive zusammen: Genauso wichtig wie die weiblichen Elementargeister sind ihr plastikvergiftete Ozeane, globale Wasserknappheit und Dürrekatastrophen. Das alles verpackt "Ophelia's Got Talent" in einen Dreiteiler aus Castingshow, Psychotauchgang und Sturmfinale mit orgiastischem Helikopterritt.

Habitat der Wasserwesen. (Foto: Nicole Marianna Wytyczak)

Dreiteilig in die Tiefe staffelt sich auch Nicola Knezevićs Bühnenbild: vorne weiße Sitzmöbel für das Jurorinnen-Trio, mittig ein Swimmingpool, ganz hinten ein riesiger Schneewittchen-Sarg voller Wasser, in dem sich die Holzinger-Crew gegen Ende der Veranstaltung tummelt. Den Anfang machen drei zirkusreife Nummern: Seilartistin, Schwertschluckerin und Entfesselungskünstlerin. Der Houdini-Trick im gläsernen Tiefseetank misslingt, natürlich kalkuliert. Was in Gestalt der Bühnentechnik den einzigen Herrenauftritt des Abends zur Folge hat. Die Jury - fabelhaft: Inga Busch vom hauseigenen Ensemble, Renée Copraij, Saioa Alvarez Ruiz - sie verzupft sich, während Holzinger samt Gefolge in Stepptanzschuhe schlüpft, um Jerome Robbins' Matrosen-Saga "On the town" Tribut zu zollen. Es ist der Auftakt zum Psychokapitel, das Shakespeares titelgebende Wasserleiche, Schillers "Taucher" und Schuberts "Forellenquintett" zitiert und die weibliche Opferrolle sprengt. Wenn Xana Novais die Geschichte einer Vergewaltigung rekapituliert, während "The man I love" aus dem Off erklingt und Mitspielerinnen einen Schlüssel aus ihrer Vagina herausoperieren, mündet die gewaltsame Schwängerung des Leda-Mythos in einen Akt der Selbstermächtigung: Frauen unter sich. Zudem verrät das Arrangement, dass Holzinger doch noch gelernt hat, wie Theater funktioniert: Die Kamera, die das Geschehen auf zwei am Bühnenportal befestigte Screens überträgt, klemmt sich nicht zwischen Novais' Beine, sondern schaut ihr ins Gesicht. Der Horror ereignet sich allein in den Publikumsköpfen.

Die Schockmomente werden weich gepolstert. Mal scheint Hollywoods First Lady mit Badekappe aufzuerstehen - Esther Williams -, mal schwebt ein 007-Helikopter (ohne Mann, ohne Rotorblätter) aus dem Bühnenhimmel, um die Nixen-Schar aus den per Windmaschine erzeugten Orkanwellen zu retten. Woraufhin die Damen das Fluggerät als autoerotisches Instrument in Gebrauch nehmen. Starke Ideen, starke Bilder und nicht zuletzt eine Schlüsselszene, in der La Holzinger sich ein kinematografisches Auge aneignet: Matrosenoutfits und Gelbfärbung der letzten Sequenzen erinnern an Rainer Werner Fassbinders schwüle "Querelle"-Phantasie nach der Vorlage von Jean Genet. Clevere Pointe eines Stücks, das nirgends absäuft. Mal sehen, ob der Volksbühnen-Tanker damit auf Kurs kommt.

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