Neue Netflix-Produktion:Und er kann es doch

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Kaum auszuhalten war Adam Sandler ja immer schon. In "Uncut Gems" hat das jedoch andere Gründe. (Foto: Netflix)
  • Adam Sandler spielt in "Der schwarze Diamant - Uncut Gems" einen wettsüchtigen Juwelenhändler voll nervöser Energie, die so gar nichts mehr mit dem bräsigen Kömodien-Sandler gemein hat.
  • Das Chaos des Films ist mit einer bestechenden Logik unterlegt, von der man sich kaum vorstellen kann, dass die Filmemacher sie bis zum Schluss durchhalten - aber sie tun es.

Von Tobias Kniebe

Der Film ist noch keine zehn Minuten alt, da fängt sich Howard Ratner eine saftige Ohrfeige. Nicht übertrieben hart, aber doch ziemlich fies, der Schlag kommt wie aus dem Nichts. Howards Angestellte und Kunden sind entsetzt, schließlich ist er hier der Boss. Er selbst schaut überrascht und wendet sich kurz ab, dann aber macht er weiter in seinem Nonstop-Survival-Modus: deeskalieren, zulabern, einlullen. Ein Mann, so unter Druck und von diesem Druck schon so gezeichnet, dass er Gefühle wie Wut oder Angst gar nicht mehr zulässt.

Adam Sandler spielt diesen Howard Ratner in dem Film "Der schwarze Diamant - Uncut Gems" von den Safdie-Brüdern. Und ja, rein äußerlich ist das schon der "Kindsköpfe"-Sandler, dieser jüdisch-amerikanische Jedermann, wie man ihn aus seinen zahllosen, unzerstörbaren, Netflix über Jahre fast allein am Leben erhaltenden Adam-Sandler-Komödien eben kennt. Vielleicht ist sein Gesicht hier ein bisschen schmaler und mitgenommener, sein Kinnbart ein bisschen kantiger, seine randlose Brille mit Goldbeschlag und seine Brillantohrstecker, rechts und links, ein bisschen prolliger. Sein Hang zu übergroßen Lederjacken aber, der ist zum Beispiel ganz wie immer.

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Andererseits ist Howard Ratner von einer nervösen Energie getrieben, wie man sie von Sandler eben gerade nicht kennt. Dessen komödiantische Karriere basiert ja gerade darauf, bräsig in sich selbst zu ruhen, durchschaubar, milde enervierend, auf tröstliche Art unwandelbar. Diese Ruhe ist hier jedenfalls wie weggeblasen. In diesem Typen ruht gar nichts, er tänzelt, ewig auf dem Sprung, sein Blick wandert ruhelos, auch seine Sätze kurven herum, ein Geraune in der Möglichkeitsform, ohne Anfang und Ende, nie dingfest zu machen, wie der ganze Mann.

Die Figur des Howard Ratner wird mit großer Lust gequält

In ihm gärt, unter einem dünnen Firnis aus Ausflucht, Lüge und Verschleierung, eine Sucht. Howard Ratner, Juwelenhändler mit Hinterzimmershop im Diamantendistrikt der 47. Straße in Manhattan, ist wettsüchtig. Er tippt auf die Basketballspiele der NBA, er macht krasse Verluste, das hat schon seine Upperclass-Ehe auf Long Island zerstört und seine Kinder entfremdet; die Geldeintreiber sind mit ihrer Geduld am Ende, sie besuchen ihn jetzt im Shop und schlagen auch mal zu; und der große Deal, den er mit Afrika eingefädelt hat und der ihn retten soll, ist ein Schmuggelgeschäft deutlich jenseits der Legalität.

Howard Ratner hat aber auch zwei Schöpfer, die ihn mit größter Lust quälen. Josh und Benny Safdie, zwei Brüder aus Queens, beide Mitte dreißig und damit sortenreine Millennials, interessieren sich anscheinend überhaupt nicht für all die Bequem- und Empfindlichkeiten, die man ihrer Generation so nachsagt. Stattdessen träumen sie von dem hochnervösen, schmutzigen, hart daherlabernden New York ihrer Kindheit, von einem durch und durch fehlerhaften, aber bezahlbaren Manhattan, wie es vor dem großen Saubermachen unter Rudy Giuliani noch existierte.

Dies ist die Stadt des frühen Martin Scorsese und des durchgedrehten Abel Ferrara, unflätig und egoistisch, aber im Kern doch liebenswert. Dort gibt es noch unfähige Bankräuber mit großem Herzen, die für ihren geistig zurückgebliebenen Bruder alles tun würden, aber dann eine Nacht lang von einem Chaos ins nächste stolpern - das war "Good Time" mit Robert Pattinson, das Spielfilmdebüt der Safdies, das in Cannes bereits Aufmerksamkeit erregte. "Uncut Gems" ist nun ihr zweiter Film. Formal spielt er 2012, aber die Typen im Diamantendistrikt erscheinen so abgeranzt, großmäulig und bauernschlau, als würde hier immer noch der "Taxi Driver" durch die Straßen kurven.

Und in dieser sehr speziellen, faszinierenden Welt werden Howard Ratner nun die Daumenschrauben angesetzt. Wirklich kaum etwas funktioniert für ihn, alle wollen ihn anscheinend nur quälen, die Kunden, die Ehefrau, die Geldeintreiber und sogar die ewige Tücke des Objekts. Es ist schon sehr brillant, wie die Safdie Brothers diese nervöse Anspannung erzeugen, praktisch von Anfang an, und ihrem gepeinigten Protagonisten bis zum Schluss keine Ruhepause mehr gönnen.

Hektik und Druck auf Howard werden unbeschreiblich - und für den Zuschauer beinahe körperlich spürbar

In der Szene mit der Ohrfeige zum Beispiel, da ist erstmals ein wirklich harter Hund in Howards Laden, mit einer wutverzerrten irischen Hackfresse und einer Stimme wie Reibeisen - Keith Williams Richards, eines dieser aussterbenden New- York-Gesichter, für den Film entdeckt und von der Straße weg gecastet. Dann kommt Kevin Garnett in den Shop, ein hünenhafter schwarzer Basketballstar, der sich selbst spielt. Er will Geld ausgeben, er hat einen Blingbling-Berater dabei und zwei massige Bodyguards, die dann mit dem Iren aneinandergeraten und ihm ihrerseits auf die Fresse geben.

So sind die Geldeintreiber erst einmal vertrieben, und Howard will Garnett irgendwas Teures verkaufen, er braucht dringend Geld. Der Basketball-Riese lehnt sich aber zu sehr auf seine Glasvitrinen und ignoriert Howards Warnungen, dann beginnt Howards junge Verkäuferin, die auch seine Geliebte ist, offensiv mit dem Sportstar zu flirten, zugleich aber kommt ein Paket an, dem Howard sich jetzt vordringlich widmen muss - so dringend, dass er sogar bei der wütenden Kündigung seines Assistenten die Ohren auf Durchzug stellt. Beim Auspacken findet er, in einem gekühlten Fisch versteckt, einen rohen, in allen Farben wunderbar irisierenden schwarzen Opal. "Ich muss kommen", sagt er, als er den Edelstein in den Händen hält, am Beginn einer Ekstase.

Zwei Minuten später wird die Vitrine tatsächlich zusammenbrechen, Kevin Garnett wird sich unsterblich in den Opal verliebt haben und ihn übers Wochenende mitnehmen, auf Leihbasis, und seinen Championship-Ring, den er als Sicherheit im Laden lässt, wird Howard sofort beim Pfandleiher verticken, um mit dem Geld auf Garnetts nächstes Spiel zu setzen. Denn dessen Korbwürfe werden ja jetzt von einem magischen Edelstein angetrieben.

Das Chaos ist sorgfältig hergeleitet und mit einer bestechenden Logik unterlegt

Die weiteren Verwicklungen ergeben sich dann ganz von selbst. Die Wette geht natürlich schief, Howard wird zusammengeschlagen, vor den Augen seiner ihn ohnehin schon verachtenden Ehefrau nackt in einen Kofferraum gesperrt und in einen Brunnen geworfen. Dann kriegt er den Opal erst einmal nicht zurück, obwohl der dringend auf eine Auktion muss, monatelang hat er Strippen gezogen bis Äthiopien, um den Stein zu bekommen, der jetzt all seine Geldsorgen lösen soll. Auf der Jagd nach dem wertvollen Stück landet er in einem Club, wo der Popstar The Weeknd gerade ein Album vorstellt, dort ist der Edelstein aber nicht, dafür geht seine Freundin verloren, beziehungsweise nicht ganz, er findet sie im Klo wieder, wo sie sich an The Weeknd zu schaffen macht.

So geht das in einem fort, die Hektik und der Druck auf Howard werden fast unbeschreiblich, man spürt sie beim Zuschauen bald schon in der eigenen Magengrube. Zu allem Überfluss spielen dann auch noch die Dinge verrückt, etwa die Doppeltür aus kugelsicherem Glas mit der elektrischen Sicherheitsschleuse, die Howards Laden vor Juwelendieben schützen soll, aber manchmal auch Unschuldige einsperrt, wie den Basketballstar Garnett - diese Tür wird im dramatischen Finale noch eine große Rolle spielen.

So chaotisch das alles ist und auch sein muss, so sorgfältig ist es hergeleitet, verwoben, begründet und mit einer bestechenden Logik unterlegt. Das halten diese jungen Filmemacher nicht durch bis zum Schluss, denkt man nach einer halben Stunde. Tun sie aber doch. Und so schaffen Josh und Benny Safdie schon mit ihrem zweiten Film einen neuen Manhattan-Klassiker fürs 21. Jahrhundert. Sie gönnen Howard Ratner sogar einen Moment, in dem seine ganzen Pläne zwar nicht aufgehen, sich aber alles doch seltsam fügt - sodass er noch mit heiler Haut aus der Sache herauskommen könnte.

Kurz ist er versucht, dieses Angebot des Schicksals anzunehmen. Er wählt schon die Nummer, die alles im Guten beenden würde, dann legt er wieder auf. Er muss weiterspielen. Er muss noch einmal wetten, den Einsatz krass erhöhen, alles auf einen Kantersieg setzen. Dafür hasst man ihn, dafür liebt man ihn, dafür fiebert man mit - wie man nur mit den tollsten, echtesten Figuren des Kinos mitfiebern kann.

Uncut Gems , USA 2019 - Regie: Josh und Benny Safdie. Buch: Ronald Bronstein, Safdie Brothers. Kamera: Darius Khondji. Musik: Daniel Lopatin. Mit Adam Sandler, Julia Fox, Kevin Garnett, Keith Williams Richards, LaKeith Stanfield, The Weeknd. Auf Netflix, 135 Minuten.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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