Ukrainisches Tagebuch:Und dann macht es leise klick

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Oxana Matiychuk ist Germanistin und arbeitet am Lehrstuhl für ausländische Literaturgeschichte, Literaturtheorie und slawische Philologie an der Universität von Tscherniwzi (Czernowitz) im Westen der Ukraine. (Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Die Stromrationierung lehrt uns in der Ukraine das Zeitmanagement besser als jedes Seminar.

Von Oxana Matiychuk

Die Stromrationierung ist gut zur Verbesserung des eigenen Zeitmanagements. Man wird effektiv in den Erledigungen wie nie zuvor. "Kein einziges Zeitmanagement-Seminar konnte mir Fähigkeiten beibringen, wie das lokale Stromwerk es mit seinem Stromnotabschaltungsplan geschafft hat", ist der gängige Witz. Es werden Glücksgefühle generiert, die beispielsweise in den letzten Minuten und Sekunden entstehen, wenn man es gerade noch schafft, diesen einen Topf unter dem fließenden Wasser abzuwaschen oder sich selbst in der Dusche, oder einen letzten Satz in der E-Mail noch fertig geschrieben hat, bevor es leise "Klick" macht und all die Elektronen zum Stillstand kommen.

Jedoch hatte ich in den zurückliegenden Wochen noch viel mehr Anlässe für die Glücksgefühle, und diese sind vor allem Spenderinnen und Spendern aus Deutschland zu verdanken, die vieles möglich machen. Sach- und Geldspenden erzeugen lichte Momente, sei es durch die Weihnachtsgeschenke, die wir aus den Mitteln der Hilfsorganisation "Schüler Helfen Leben" angeschafft und an mehrere Kinderheime in der Region sowie an mehr als fünfzig binnengeflüchtete Familien in der Stadt übergeben haben, sei es durch eine private Kleidungsspende, die nach Nowoselyzja geht und dort von der Freiwilligen A. verteilt wird. "Uns hier erreichen nur noch selten Hilfsgüter, dabei gibt es in der kleinen Kreisstadt fast fünfhundert Binnenflüchtlinge, viele Mütter mit Kindern", sagt die aus Donezk gebürtige A., die im Auftrag der Hilfsorganisation Rokada arbeitet.

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Strom gibt es im ukrainischen Czernowitz nur für ein paar Stunden am Tag. Unsere Kolumnistin Oxana Matiychuk kann deshalb kaum noch schreiben. Wenn ihre Texte nicht zu uns kommen, fahren wir zu ihr.

Text und Fotos von Moritz Baumstieger

Und manchmal kommen auch Geschichten zustande, die wie kleine Wunder wirken und meinen kindlichen Glauben bestätigen, dass das Weltall uns erhören kann, wenn man die Wünsche zum richtigen Moment richtig artikuliert. Eine neue Bekannte von mir, V. aus der Region Donezk, lebt jetzt mit ihrem Mann und dem neunjährigen Sohn im Dorf Welykyj Kutschuriw nahe Czernowitz und arbeitet als Hautärztin in der ambulanten Tagesstätte. V. schickt immer wieder Fotos von ihrer Arbeit, die auf mich zugegebenermaßen etwas verstörend wirken, weil diverse Entzündungen, Eiterwunden und sonstige Hautveränderungen optisch wenig attraktiv sind. Ich spüre aber, dass V. leidenschaftlich gern ihren Job macht, sie schreibt auch noch kurze Erklärungen zu den Krankheitsbildern und einmal auch die Geschichte, warum sie Dermatologin wurde.

V. hat keine eigene Schutzausrüstung, obwohl er als Feuerwehrmann arbeitet

Eines Nachmittags schickt sie mir das Foto eines Dermatoskops mit der Frage, ob es nicht möglich wäre, so eins gebraucht in Deutschland zu bekommen. Ihre ganzen Instrumente sind in Wolnowacha geblieben, wo sie früher arbeitete, inzwischen ist dort die "russische Welt" eingezogen und hat in ihrer Praxis alles kaputt gemacht. Ich nehme mir vor, diese Frage an die Person in Deutschland zu richten, die mir als nächste schreibt - wenn ich sie intuitiv für geeignet für eine solche Bitte halte. Keine Stunde später ist die Anfrage weitergeleitet, an die Professorin Almut Hille von der FU Berlin. Und: Ein paar Wochen später schaffen es zwei Literaturwissenschaftlerinnen, also wir, tatsächlich, V. in freudiges Staunen zu versetzen.

Netzwerkarbeit zeigt ihre Wirkung. Im Familien- oder Bekanntenkreis gibt es immer jemanden, der jemanden kennt, der sich auskennt. Für V. und ihren Mann ist es sogar eine doppelte Überraschung: Eine andere Freundin aus Lübeck, Ewa Buchholz, und ihr Bruder aus Polen, haben dafür gesorgt, dass V.s Mann M. Schutzbekleidung für seine Einsätze bei der Feuerwehr bekommt. Er hat hier nämlich keine eigene, obwohl er als Feuerwehrmann arbeitet. Möglich wird das, weil ich nebenbei vom Bedarf erzähle, ohne zu wissen, dass Ewas Bruder auch ein Feuerwehrmann ist.

Die Bekleidung und das Instrument samt vielen anderen Hilfsgütern werden von den Kollegen S. und T. aus Deutschland gebracht. Die Übergabe erfolgt im Hof des Studentenwohnheims, wohin wir die Vertreter einer rumänischen Hilfsorganisation für ein Treffen mit unseren "universitären" Binnenflüchtlingen begleiten. V. und M. wirken ziemlich perplex, sie können es nicht richtig glauben. Die Schutzbekleidung wird schnell ausgepackt und begutachtet, sie müsste passen, schätzen wir; V. öffnet behutsam die Verpackung, das Dermatoskop ist neu, so eins hatte sie noch nie. "Fragen Sie Google, wenn Sie etwas nicht wissen", rät S. Der Sohn im Auto bekommt eine Tafel Schokolade. Dann müssen wir los. Später schreibt V. begeistert: "Es ist ein tolles Gerät." Und das Foto von M. in der vollen Schutzbekleidung liefert den Beweis dafür, dass sie ihm wie angegossen passt. "Es passieren manchmal eben doch kleine Wunder", schreibe ich V. auf ihre wortreiche Dankesnachricht zurück.

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