Ukrainisches Tagebuch (LVIII):Es wird jetzt früh dunkel

Lesezeit: 3 Min.

Oxana Matiychuk ist Germanistin und arbeitet am Lehrstuhl für ausländische Literaturgeschichte, Literaturtheorie und slawische Philologie an der Universität von Tscherniwzi (Czernowitz) im Westen der Ukraine. (Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

In der Ukraine sind wir glücklich, wenn wir Tee, Busse und Strom haben. Und so pflegen wir unsere Eltern jetzt bei Kerzenschein.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Diesen Text gibt es nur, weil ich auf Reisen bin. Denn ins Ausland reisen bedeutet jetzt auch: Strom rund um die Uhr zu haben, am Laptop arbeiten zu können, wann man will. Und es warm dabei zu haben. Nicht nur in Innenräumen, sondern auch draußen - denn ich bin in Italien. Am 18. November darf ich einen Vortrag an der Universität Bologna halten, der ältesten Europas: "Ukrainische Autorinnen und Autoren der Gegenwart: Schreiben und handeln gegen den russischen Angriffskrieg". Wenn ich das Gefühl des eintägigen Aufenthalts in Bologna mit einem Wort beschreiben sollte, so könnte dieses lauten: ein Glückskonzentrat.

Dafür gilt mein großer Dank der Professorin Chiara Conterno vom Dipartimento di Lingue, Letterature e Culture Moderne und der DAAD-Lektorin Anna Nissen. Ich bewundere die gelassen-elegante Perfektion in allem, was mir an diesem kurzen Aufenthalt begegnet. Während wir im Café draußen gegenüber dem Universitätsgebäude essen und die ebenfalls draußen sitzenden und parlierenden Studierenden beobachten, stellt sich bei mir ein anderes Gefühl ein, das ich für mich, Milan Kundera paraphrasierend, als die Unerträgliche Leichtigkeit der Normalität definiere. Denn die ukrainische "Normalität" wird mit jedem Tag schwieriger.

Die Geschichte kennt mehr als genug kulturaffine Mörder

Zum Wochenbeginn starteten die Russen einen neuen massiven Angriff auf die Energieinfrastruktur der Ukraine. Diejenigen, die Raketen abfeuern, sind gut über das Energienetz in der Ukraine informiert. Diejenigen, die informieren, sind gewiss Profis in ihren Berufen. Alles keine armen Söldner, die gegen ihren Willen einbezogen wurden. Vielleicht sogar allseitig gebildet, wer weiß, ob sie abends nicht sogar den einen oder anderen "großen Autor der großen russischen Literatur" lesen. Oder sich die Musik von Rachmaninow oder Tschaikowski anhören. Warum auch nicht, die Geschichte kennt mehr als genug kulturaffine Mörder.

In der jüngsten Vergangenheit auch, heißt es doch bei Paul Celan: "Er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz." Die kulturaffinen Mörder der Russischen Föderation schreiben nun neue Geschichte. Und ja, ich wäre sehr dankbar, wenn man uns, den Ukrainerinnen und Ukrainern, keine Fragen mehr stellen würde wie zum Beispiel: "Glauben Sie denn nicht an die heilsame Kraft eines Kulturdialogs?" Nein, ich glaube nicht daran, und diesem Statement habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

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Von Sonja Zekri

Am Dienstagnachmittag, den 15. November, versinkt Czernowitz in Dunkelheit. Der Luftalarm dauert vier Stunden. Die öffentlichen Verkehrsmittel stehen, und das zur abendlichen Rushhour. In meine Richtung gibt es zum Glück meistens eine Mitfahrgelegenheit, so auch an diesem Abend. Zu Hause erledige ich das, was sich ohne Strom erledigen lässt, und verabschiede mich vom Gedanken, meinen Vortrag für Bologna fertigzuschreiben.

Zum Glück blieb nicht so viel. Beim Kerzenschein und Taschenlampenlicht erledigen meine Schwester und ich die abendliche Pflege für unsere Mutter. Kurz vor 23 Uhr sind wir beglückt: Es gibt wieder Strom. Doch am nächsten Morgen muss ich wieder mit anderen Lichtquellen auskommen, bis es draußen hell wird. Einen Wasservorrat haben wir zwar im Keller, aber ich hole noch Regenwasser für die Toilettenspülung. Solange es keinen Frost gibt, kann man es gut nutzen.

Die Erstis an der Uni wirken fröhlich, trotz Pandemie und Krieg

An der Universität fühlt es sich paradiesisch an: Es gibt Strom, Internet und es wird ein wenig geheizt. Von zu Hause erreicht mich die Nachricht meiner Schwester, dass bei uns auch das Gas abgestellt wurde, angeblich wurde irgendwo ein Rohr beschädigt. Ich beschließe, in der Mittagspause in unserem Stammcafé für das Abendessen einzukaufen. Um 9.50 Uhr hätte ich Unterricht, doch um 9.47 heulen die Sirenen. Die Studierenden kommen mir entgegen und steigen in den Schutzraum. Ich gehe zurück ins Büro, mir ist es schade um die Zeit. 30 Minuten später ist Entwarnung, wir kommen im Unterrichtsraum zusammen. Draußen ist es grau, und es regnet. "Wie geht es Ihnen, konnten alle heute Morgen wenigstens einen Tee trinken?", frage ich, wissend, dass einige im Studentendorf und andere zu Hause in ihren Dörfern um Czernowitz ebenfalls ohne Strom, Wasser und Heizung saßen. Es heißt Ja und Nein.

Einem spontanen Impuls folgend schlage ich vor: "Wir können zu mir gehen und machen uns Tee und Kaffee." Damit meine ich den Konferenzraum des Zentrums Gedankendach und des International Office. Er ist für den Unterricht mit 25 Personen etwas zu klein, dafür schön und gemütlich, die Studis kennen ihn schon und sind über den Vorschlag sichtlich erfreut. Meine armen Erstis, denke ich, zunächst die Pandemie, jetzt der Krieg. In diesen restlichen 50 Minuten mit mir werden sie nichts lernen. Aber hoffentlich sind diese Minuten, in denen sie beisammensitzen, Tee und Kakao trinken und Kekse unter sich teilen (davon hätte ich einen größeren Vorrat gebraucht), wenigstens eine Ablenkung von der aktuellen "Normalität". Zumindest schaffen es junge Leute, tatsächlich schnell fröhlich zu wirken. Ob sie es länger bleiben, wage ich zu bezweifeln.

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