Dirigent zum Ukraine-Krieg:Zutiefst entrüstet, extrem traurig

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Nach einer leidenschaftlichen Rede gegen den Krieg in der Ukraine fand Jurowski zur Musik zurück. (Foto: Lino Mirgeler/picture alliance/dpa)

Der Dirigent Vladimir Jurowski ändert in Berlin spontan das Programm: Statt des Slawischen Marschs Tschaikowskys lässt er in der Berliner Philharmonie die ukrainische Nationalhymne spielen.

Von Wolfgang Schreiber

Nicht jeder Kapellmeister aus Russland, der in München Chefdirigent geworden ist, muss Wladimir Putin dankbar und dazu noch dessen Freund sein. Wie Valery Gergiev, Chef der Münchner Philharmoniker, der durch seine Nähe zum russischen Präsidenten jetzt in den Konflikt geraten ist. Die Rede ist von Vladimir Jurowski, dem Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, geboren 1972 in Moskau. Der Sohn eines Dirigenten lebt seit Jugendtagen in Berlin und bleibt neben seiner neuen Tätigkeit in München Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Für sein Konzert in der Berliner Philharmonie hat Jurowski sich jetzt zu einer Programmänderung mit Erklärung entschieden - im Fokus die ukrainische Nationalhymne.

"Den Beginn der militärischen Aggression seitens der Russischen Föderation gegen die Ukraine", kommentiert Jurowski, "habe ich bis zuletzt nicht für möglich gehalten." Er sei "zutiefst entrüstet über diese Aktion, aber auch extrem traurig, weil ich durch meine Familiengeschichte mit beiden Ländern verbunden bin".

Das Berliner Publikum wirkt beklemmt, als die ukrainische Hymne erklingt

Jurowski dirigierte, sichtlich berührt, ein russisches Programm. Zu Beginn - statt des Slawischen Marschs Tschaikowskys - die siegesgewiss aufrauschende Ukraine-Hymne ("Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben") auf eine Melodie des hierzulande kaum bekannten Michailo Werbizki. Danach die Sinfonische Ouvertüre Nr. 1 in D-Dur desselben Komponisten, sauber aufgebaut, mit rossinihaft heiterem Charakter. Das melodienselig verzweigte Cellokonzert in d-Moll des Russen Anton Rubinstein (Solist: Alban Gerhardt) bestätigte romantische Hörmuster, das Concerto piccolo für Cello und Orchester, genannt "Geschichte Russlands in 4 Hymnen", des 2020 gestorbenen Komponisten Dmitri Smirnow klang nach Neuland. Tschaikowskys fünfte Symphonie brachte den finalen Emotionsschub.

Wer aber war der Komponist der ukrainischen Hymne? Michailo Werbizki (1815-1870), ein griechisch-orthodoxer Priester und Musiker, ist der Schöpfer von Chor- und Instrumentalmusik, Operetten, sogar Varietés, er komponierte um 1863 die Melodie zu dem von Pawlo Tschubinski verfassten Gedicht "Die Ukraine ist noch nicht tot". Davon wurde damals gleich eine Orchesterfassung erstellt, heute die Nationalhymne der Ukraine. Das Publikum in der Berliner Philharmonie vernahm sie, in stehender Haltung, mit Beklemmung.

Vladimir Jurowski gehört, wie früher nur Leonard Bernstein, zu den wenigen Dirigenten, die es sich leisten können, auf dem Podium ein Mikro in die Hand zu nehmen, um kurz, konzentriert und lässig sich auf Anmerkungen zur Musik und deren Hintergründe einzulassen - hier sowohl zu dem "ausgefallenen" Slawischen Marsch in b-Moll Tschaikowskys, einer Propagandamusik zum Krieg der Serben gegen die Türken 1876, als auch zu den bizarr vielen, je nach nationaler Politik und Stimmung ausgewechselten Hymnen Russlands. Jurowskis Berliner Konzert war, ungeachtet des Angriffs Wladimir Putins auf die Ukraine, ein einziges Plädoyer für die große Musiknation Russland, ihre Vergangenheit und Gegenwart.

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