TV: Speed-Dating mit Jungpolitikern:One-Wahl-Stand

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Sechs Minuten für den Stimmenfang: Der Sender Phoenix lädt Normalos zum Speed-Dating mit sechs Jungpolitikern. Vielleicht wird ja was Dauerhaftes daraus.

Barbara Gärtner

Die Frisuren sind auf Rendezvous geföhnt, die Stimmung ist nervös, wird aber allseits gut weggelächelt. In der Ferne flanieren Menschen durch die gläserne Reichstagskuppel und schauen den Bundestagsabgeordneten bei der ersten Lesung der Begleitgesetze zum EU-Grundlagenvertrag von Lissabon auf den Kopf. Unten auf der Spree schippert die Bellevue in der Knallsonne vorbei. Der Kapitän macht bestimmt wieder mit Politikerwitzchen ein paar Lacher locker.

Wie definieren Sie ein mittelständisches Unternehmen? Was machen Sie für Kinderbetreuung? So schlau, so schlagfertig sind die Wähler. Das sieht man sonst nicht im Fernsehen. (Foto: Foto: ddp)

Auf der Beton-Freitreppe vorm Marie-Elisabeth-Lüders-Haus steht an diesem Nachmittag eine Tischreihe, drumherum zwölf grauglänzende Hartschalen-Stühle, sehr viele Scheinwerfer leuchten sie aus. Aug' in Aug' sollen sich gleich sechs junge Bundestagsabgeordnete und sechs Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Kanals Phoenix zum Kurzplaudern gegenübersitzen. Der Sender, der sonst stundenlang Bundestagsdebatten überträgt, will Politik mal ganz anders ins TV bringen, nicht nur "Duell" oder "Wahlarena", sondern richtig verrückt. Und das kann man ja auch verstehen.

Sechs Minuten reden, dann trötet eine Schiffssirene

Die Gesprächsregeln für die Sendung, die an diesem Tag aufgezeichnet wird, sind deshalb dem Speed-Dating entliehen, einer Abart der Paaranbahnung, die gepflegt wurde kurz bevor das Kennenlernen vollends ins Internet abwanderte. Speed-Dating geht so: Sechs Minuten reden, dann trötet eine Schiffssirene, schnell die Plätze tauschen, weiterreden, bis jeder mit jedem parliert hat. Am Schluss soll es Pärchen geben. Oder eben in diesem Fall, weil die Pärchenbildung trotz allem noch kein öffentlich-rechtlicher Auftrag ist: Wahlentscheidungen.

Noch ist aber trippelndes Herumstehen, Hände werden diskret an Hosen gerieben, Nasen gepudert; alle sind furchtbar nett zueinander. Dass die Normalos - hier nur als "die Bürger" bezeichnet - für die Jungpolitiker vor allem Wähler sind, wird einem bei jedem neu eintreffenden Bundestagsmitglied klar. Jeder möchte am 27. September wiedergewählt werden. Phoenix hat sie - von zwei Ausnahmen abgesehen - aus einem eigenen Format rekrutiert: In dem Blog MdB 2.0 schreiben fünf der Jungpolitiker ihr Wahlkampftagebuch, mal mehr, mal weniger volksnah. "Sonst kein Bayer da?", fragt jetzt der CSU-Abgeordnete Andreas Scheuer in die Runde. "Wieso, einer reicht doch!", antwortet eine Frau. Hehehoho, macht Scheuer und wirkt milde enttäuscht. Kein Zielpublikum also für ihn. Die aus Freiburg angereiste Studentin versteht sich gleich mit Nicole Maisch von Bündnis 90/ Die Grünen. Beide tragen Tigerfellmuster-Ballerinas.

Erste Gemeinsamkeiten: Tigerfellmuster-Ballerinas

Strunzlangweilig dieser Wahlkampf, das liest man ja überall, bloß die Brust- (CDU, Vera Lengsfeld) und Popo-Bilder (Bündnis 90/ Die Grünen in NRW) verschafften mediale Erregung. Da wundert keinen, dass jetzt Phoenix zum Kuppler wird. Denn, Tatsache, mit Abgeordneten sprechen, das geben alle sechs Bürger als Bewerbungsmotivation an. 100 Mails sollen beim Sender angekommen sein, und das trotz zaghafter Ankündigungstrailer. Wie beim echten Speed-Dating, wo man ja auch stets von Freunden angemeldet wird, weil man das Balzen gar nicht nötig hat, so distanzieren sich auch beim Polit-Dating auf Nachfrage hin zwei Teilnehmerinnen mit einem "ich bin angesprochen worden".

Bestens vorbereitet sind sie alle: Fragen stehen auf Karteikarten und Spickzetteln, eine hat gleich mehrere bedruckte Seiten im Klemmordner dabei.

Eine Frau, fünf Männer sind es auf Politikerseite, die mit Sehnsuchtsblick auf den Reichstag sitzen dürfen: Da wollen sie wieder rein. Man kann die Herren in ihren fahlfarbenen Anzügen kaum auseinanderhalten, Christian Carstensen trägt immerhin eine SPD-rote Krawatte, Michael Leutert von den Linken zieht flugs sein Jackett aus und krempelt die Ärmel hoch, die anderen bleiben zugeknöpft.

Konzentrierte Skepsis

Achtung, jetzt geht es aber los. Alle versammeln sich am Tisch, der Erstwähler der Runde bekommt ganz freundlichen Applaus, er ist gerade 18 geworden und hat vom Schulleiter extra frei bekommen. Dann beginnt Gemurmel. Die Politiker beugen sich vor, große Gesten kommen erst nach dem Warmgerede. Ihnen gegenüber sitzt: konzentrierte Skepsis.

Eine Unternehmerin aus Frankfurt nimmt Michael Leutert von den Linken in die Mangel. Wie er denn bitteschön ein mittelständisches Unternehmen definiere? Er macht ein Prüfungsgesicht, antwortet dann zögerlich mit Mitarbeiterzahlen. Sie ist nicht zufrieden, auf die persönliche Haftung des Unternehmers wäre es ihr nämlich angekommen. Eine Erzieherin ist ein wenig enttäuscht, bestens vorbereitet mit Fragen zur Kinderbetreuung ist sie angereist und bekommt vom CDU-Mann erst einmal eine Abfuhr. Für Kleinkinder sei er nicht zuständig.

Und was denken Sie?

Manchmal merkt man, wie lange sechs Minuten dauern können. Der 18-Jährige will wissen, warum sich Politiker vor Kameras immer so anfauchen und erfährt, dass in den Ausschüssen die Umgangsformen parteiübergreifend höflich seien. Eine Lehrerin aus Heidelberg interessiert sich, wie das so ist, wenn sich die Fraktionslinie mal nicht mit der persönlichen Meinung deckt. Die Politikerantworten sind schwurbelig bis persönlich. Gelegentlich kommt ein: Und was denken Sie?

Fürs Fernsehen sind Flirts stets feine Quotenbringer und funktionieren von Herzblatt bis zum Sat-1-Dating Die Promi-Singles zwar selten ehefördernd, aber doch zuschauerunterhaltend. Auch der TV-Flirt mit der Politik ist eine Freude. So schlau, so schlagfertig sind also die Wähler. Das sieht man ja sonst nicht unbedingt im Fernsehen.

Am Ende fragt Phoenix-Moderatorin Julia Schöning das Fazit ab. "Ganz nett", die Antwort ist unter den Bürgern mehrheitsfähig. Nett, herrjeh, das reicht ja unalkoholisiert noch nicht einmal für einen One-Night-Stand.

Politiker Speed-Dating, Phoenix, 9. September, 16 und 22.15 Uhr.

© SZ vom 28.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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