Das seltsame Ding ragt steil aus dem Boden auf, es steht sinn- und zweckfrei auf einem Acker, und auch die Inschrift bringt kein Licht in die Sache: "Schau in den Himmel und sieh dir den Mond an." Am Wochenende hatte ein Bauer die glänzende Metallstele auf seinem Land nahe der Großstadt Şanliurfa entdeckt, der Mann heißt lustigerweise Fuad Demirdil, also Fuad Eisenzunge. Dass das merkwürdige Metalldenkmal in der Nähe der prähistorischen Kultstätte Göbekli Tepe von Unbekannten über Nacht unbemerkt aufgestellt werden konnte, macht die Geschichte noch seltsamer: Das 15 000 Jahre alte Göbekli Tepe, der "bauchige Hügel", gilt als das türkische Stonehenge, bis heute weiß keiner, wozu die steinzeitliche Kultstätte diente.
Jetzt hat die türkische Polizei Flatterband um den rund drei Meter hohen und einen Meter breiten Metallkorpus gespannt, drei Kommando-Soldaten von den "Blauen Baretts" garantieren für äußere und innere Sicherheit, und Abdullah Erin, der Gouverneur von Şanliurfa, zerbricht sich den Kopf: "Im Moment gibt es keine Informationen. Die Spezialisten untersuchen die Sache."
Besuch von Aliens in Südostanatolien oder ein nationalistisch eingefärbter Polit-Scherz? Die Runeninschrift auf der Metallstele erinnert an die Dynastie der Göktürken. Deren Reich erstreckte sich im 6. und 7. Jahrhundert nach Christus von China bis zur Ukraine, Stelen mit solchen Runeninschriften wurden in der Mongolei gefunden. Das würde dann ins Bild jener pan-türkischen Geschichtsvorstellung passen, die im Land derzeit eine Renaissance erlebt: die Türken als die historisch legitimierten Herrscher und Kulturträger weiter Teile der Welt.
Göbekli Tepe gilt als "das türkische Stonehenge"
Und dazu Göbekli Tepe, das südostanatolische Weltwunder. Am "bauchigen Hügel" waren in den 90er-Jahren Dutzende bis zu sechs Meter hohe und 20 Tonnen schwere Steinstelen ausgegraben worden. Die T-förmigen Steine sind mit Tierdarstellungen und Pflanzenornamenten kunstvoll verziert und im Steinboden kreisförmig und handwerklich solide verankert. Wer die Anlage gebaut hat und wozu sie diente, ob es ein Tempel war oder Wallfahrtsort, ist unklar. Der deutsche Archäologe Klaus Schmidt, der die Ausgrabungen geleitet hatte, ging von einem prähistorischen Bergheiligtum aus.
Andererseits passt die Stahlstele auf dem Acker von Bauer Eisenzunge in den globalen Monolithen-Trend: Von den USA bis nach Europa tauchen derzeit solche Gebilde aus Stein oder Metall wie aus dem Nichts auf. In der Wüste im US-Bundesstaat Utah wurde ein drei Meter hoher Klotz entdeckt. So plötzlich, wie er aufgetaucht war, war er nach einem gewaltigen Medienecho wieder verschwunden. Ähnliche Stelen waren unter anderem auch in den Hessigheimer Felsengärten im Kreis Ludwigsburg zu sehen.
Während fantasiebegabte Beobachter einen rund um den Globus führenden Großausflug von Außerirdischen vermuteten, dachten cineastisch Gebildete an den Kultfilm "2001 - Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick. Da könnte etwas dran sein, hinter dem Metallklotz in Utah soll jedenfalls das US-Künstlerkollektiv "The Most Famous Artist" stecken.