Rätselhafte Metall-Stelen:Vom Acker

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Diese etwas weniger elegante Variante einer Metall-Stele wurde am vergangenen Samstag an einem Feld im hessischen Sulzbach im Taunus von Spaziergängern entdeckt. (Foto: Wiesbaden112.de/dpa)

Der Monolith von Utah bekommt weltweit immer mehr Nachahmer, nun auch in Deutschland. Sind diese anonymen Kunstwerke mehr als ein kleines Internetphänomen?

Von Catrin Lorch

Es war ein britischer Kunstkritiker, der dieser Tage die Perspektive einmal umkehrte: Was wäre, wenn Außerirdische seit Wochen versuchten, mit uns Erdlingen in Kontakt zu treten? Und wir diskutieren immer weiter über Kunst? Denn seit Hubschrauberpiloten beim Schafezählen in der Wüste von Utah am 18. November einen dreieinhalb Meter hohen Monolithen entdeckten, der flugs zum Internetphänomen wurde, tauchen weltweit immer mehr solcher Stelen auf. Erst auf einem archäologischen Feld in Rumänien, dann in Kalifornien und Großbritannien. Sie ragen vor spanischen Kirchenruinen auf, in der niederländischen Provinz Friesland und vor Ladengeschäften in Einkaufsstraßen - und jetzt hat auch Deutschland einen. Er steht, wie hessische Lokalmedien zuerst vermeldeten, bei Sulzbach im Main-Taunus-Kreis.

Dass die metallisch funkelnden Kuben auch immer wieder verschwinden, trägt zu ihrer Popularität genauso bei wie die Überlegung, dass der Ur-Monolith womöglich schon einige Jahre unbeachtet inmitten roter Wüstenfelsen stand. Wer macht so was, wenn nicht Künstler? Kunsthistoriker subsumieren unter Land-Art ja genau solche Eingriffe in die Weite der - meist amerikanischen - Natur. Von Walter De Marias "Lightning Field" (1977), dessen 400 Stahlstangen wie Halme auf einem Hochplateau in New Mexico ragen, bis zur "Spiral Jetty", einem gewaltigen, spiralig eingedrehten Pier, den Robert Smithson in einem Salzsee in Utah aufschüttete und der - je nach Wasserstand - immer wieder mal untertaucht. Dass der verstorbene Künstler John McCracken unweit der Fundstelle des Monolithen lebte, wurde als Indiz gewertet.

Wo sich Ruhm ausbreitet, wollen viele selbst Hand anlegen

Doch obwohl die Galerie David Zwirner schnell glaubhaft machte, dass es sich nicht um ein Werk ihres Künstlers handelte, blieb etwas haften. Dass es sich nämlich um Kunst handele, dann eben um das Werk eines anonymen Künstlers. Denn was ist noch unverständlicher, als eine Skulptur heimlich und unter großen Mühen in eine Wüste zu karren, wo sie womöglich keiner zu sehen bekommt? Richtig: ein Werk zu erschaffen, das via Internet in der ganzen Welt gefeiert wird, das millionenfach mit Herzchen versehen, kommentiert und verbreitet wird - und sich nicht dazu zu bekennen.

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Der erstmals am Nikolaustag gesichtete Monolith am Compton Beach auf der Isle of Wight. (Foto: @AlexiaRFishwick/Reuters)

Dass sich die Grenzen zwischen Urheber und Publikum auflösen, trägt zum Phänomen bei. Wo sich Ruhm ausbreitet, wollen viele selbst Hand anlegen. Die einen finden, dass der Monolith die Weite der Wüste auf einen Happen Tourismus zuschneidet (und nichts als Müllberge, Exkremente und blöde Kommentare hinterlässt) und karren ihn ab wie Sperrmüll. Andere ersetzen ihn andernorts nach der eigenhändigen, brutalen Zerstörung durch ein Kreuz. Manche klauen ihn einfach nur.

Kulturaffine Beobachter verweisen unterdessen auf die berühmten Strategien des Verschwindens - etwa, dass die britische Erfolgsautorin Agatha Christie im Jahr 1926 für zehn Tage unauffindbar war, worüber sogar die New York Times berichtete. Auf die Konzepte der französischen Situationisten, die sich vorsätzlich mit den Straßenplänen von Paris im Wald verirrten. Auf Banksy, der seine Identität seit Jahrzehnten geheim hält. Oder eben: Land-Art. Weil die irgendwie so ähnlich draußen rumsteht.

Die hessische Version hängt sichtbar schief in den Angeln

Doch die Prognose, ob sich eines Tages die Kunstgeschichte mit diesen Monolithen befassen wird, fällt eher negativ aus. Schon weil die jüngeren Exemplare auch wirklich nicht mehr so gut aussehen. Die Sulzbacher Version hängt am Rand eines matschigen Ackers sichtbar schief in den Angeln. Und auch große, zeitgenössische Berühmtheit kann nicht verhindern, dass der kühle Blick der Kunsthistorie nicht nur Publikumslieblinge, sondern auch Internet-Monolithen dem kalten Vergessen aussetzt. Als wären sie nie gefunden worden.

Die Stätte des inzwischen abgeräumten "Originals" in der Wüste von Utah in den USA. (Foto: Kelsea Dockham/AP)

Bei aller Monumentalität, die man dem Phänomen zugestehen muss, wird Land-Art nicht einfach so abgeworfen. Sie wird der Landschaft untergeschoben, ihr eingepflanzt, vorsichtig ausgestreut. Land-Art markiert ihre Umgebung - aber bleibt im besten Sinn lokal. Wer vor dem "Lightning Field" steht, der hört irgendwann auf, mit der Kamera auf die Pfosten zu fokussieren, der schaut auf rote Berge und trockenes Geröll, eine Landschaft, die mehr ist als der Sockel, auf dem die Kunst fotogen montiert wird.

Die Monolithen, die ortlos durch das Internet geistern, sind Ereignisse - für eine Generation, die schon durchaus bereit war, Landfriedensbruch in Kauf zu nehmen für ein paar Punkte bei "Pokémon Go". Unübersehbar erheben sie sich aus der Flut der Bilder, Filmchen und Blogs. Aber Kunst? Was hat der Entdecker des ersten Monolithen in Utah, der Pilot Bret Hutchings, noch zu Protokoll gegeben: Dass es sich - wegen der Ähnlichkeit mit dem Kubus aus Stanley Kubricks Filmklassiker "2001: Odyssee im Weltall" - vielleicht doch um das Zeichen Außerirdischer handeln könnte. Ist es jetzt vielleicht an der Zeit, die Suche nach dem Künstler als Urheber abzubrechen und der zweiten Vermutung nachzugehen?

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