Tizian-Ausstellung in Wien:Am offenen Herzen

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Das Kunsthistorische Museum will Tizians "Frauenbild" würdigen. Doch die Kuratoren knicken vor der Schönheit der Malerei ein.

Von Almuth Spiegler

Schönheit, Liebe, Poesie - darum sei es in Tizians Kunst gegangen, darum sollte es auch heute wieder vermehrt gehen, gab die Kuratorin Sylvia Ferino-Pagden bei der Pressekonferenz zur Eröffnung ihrer großen Tizian-Ausstellung den Anwesenden mit. "Das sind keine vergangenen Begriffe, sondern elementare Bestandteile unseres Lebens." Dem ist kaum zu widersprechen. Nur trauen sollte man diesen Begriffen nicht, weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart und schon gar nicht in Museen. Unschuldige Begriffe sind das keineswegs, die jeweiligen Definitionen von Schönheit und Liebe in einer Gesellschaft hatten und haben mit Macht zu tun, meist mit Macht über Frauen, heute mitunter auch mit Macht über alle Geschlechter. Was man zu Tizians Zeiten, im Venedig des 16. Jahrhunderts unter Liebe verstand, ist mit unserem Verständnis davon nur in idealisierenden, romantischen Ansätzen zu vergleichen. Die historische Realität der gesellschaftlich völlig undurchlässigen, patriarchalen Dogen-Republik, darüber wurde ausreichend publiziert, bestand aus dynastischen Zwängen und Vergewaltigungen.

Es ist tatsächlich erstaunlich, einen Moment wird man nahezu von einer seltsamen Nostalgie gepackt - sich plötzlich in einer derart reichen Ausstellung mit 60 Gemälden Tizians und Zeitgenossen, mit Leihgaben aus der halben Welt wiederzufinden, an der all diese Diskurse und Forschungen der vergangenen Jahrzehnte nahezu spurlos vorübergegangen zu sein scheinen. Ist es denn der Apfel des Vergessens, den uns Tintorettos Eva gleich am Eingang über Adams abgewandte Schulter hinweg entgegen reicht? Um die blutjungen Bräute, deren tiefen, dunklen Blicken wir gleich begegnen werden, wieder so sehen zu können, wie so viele Generationen Sammler-Fürsten und Kunsthistoriker sie gesehen und präsentiert haben: Als "Zelebration der Frau als großartigstes Thema des Lebens, der Liebe und der Kunst"? Wie es hier im Pressetext steht.

Bräute oder jung Vermählte sollen es nämlich sein, die hier im ersten Raum versammelt wurden. Das ist die zentrale wissenschaftliche Erkenntnis, die in der ein Jahr verschobenen großen Herbstausstellung des Kunsthistorischen Museums vermittelt werden soll. Nicht Porträts von Kurtisanen, die man lange in den "Belle Donne" dargestellt meinte, einem Bildtypus, den Tizian Anfang des 16. Jahrhunderts entwickelte: weibliche Halbfigurenbilder zwischen Porträt und Ideal, deren hin und wieder entblößte Brust als "erotisierend" gedeutet wurde. Diese Busenblitzer werden in der Ausstellung unter Berufung auf historische Quellen wie Giovanni Bonifacios "L'arte de' cenni" (1616), einer Abhandlung über Gesten, als "Öffnung des Herzens" gedeutet. Auch wenn man keine der derart dargestellten identifizieren kann, auch die Auftraggeber nicht kennt, soll es sich um Hochzeitsallegorien handeln, bestellt von den Zukünftigen oder Ehemännern, um deren Hoffnung auszudrücken, dass die Zugedachte sich dieser Verbindung hingebe und ihre Pflicht der (männlichen) Reproduktion erfülle.

Das Porträt einer kindlichen Braut wird im Katalog als "zauberhaft" bewertet

Dieser soziale Hintergrund wurde in der Ausstellung allerdings verschwiegen. Die prunkende Präsentation feiert die Oberflächen, was genauso irritiert, wie der schwärmerische Ton mancher erklärender Texte. Unerträglich ist beispielsweise der Endpunkt der Schau, das "zauberhafte Kinderporträt" der Clarissa Strozzi, die Tizian 1542 im Alter von zwei Jahren als Braut, mit allen Attributen einer "perfekten Ehefrau" dargestellt hat: In langem weißen Kleid, mit einer Duftkugel vom Gürtel hängend, füttert sie ein Hündchen, für die Treue stehend, mit einem ringförmigen Gebäck, das man damals Müttern im Wochenbett überreichte. "Zauberhaft"? Man wünschte sich als Kommentar aus dem kuratorischen Off vielmehr eine Darstellung der schlichten Fakten zu den damaligen Gepflogenheiten, Minderjährige zu verheiraten. Wie die Vermählung der elfjährigen Prinzessin Giulia da Camerino an Guidobaldo della Rovere, der Tizians "Venus von Urbino" kaufte - einen Frauenakt.

Diese "Venus" trägt dieselben Gesichtszüge wie ein Lieblingsmodell Tizians, an dem in der Ausstellung in drei Varianten, alle 1534-36 datiert, großartig gezeigt wird, wie Tizian arbeitete, welche Frauenrollen sich Kunden in seiner Werkstatt aussuchen konnten: Ganz züchtig als "La Bella" etwa mit aufwändig geflochtenem goldenen Haar, das Schönheitsideal damals, und voll bekleidet (dafür mit zartem gelbem Schleier an einer Schulter herabhängend als Kurtisane erkennbar). Mit Perlenkette und nacktem Brautbusen in Pelz (einem damals beliebten Geschenk an die Gattin). Oder festgehalten im Akt des Fallenlassens der Hüllen - nur der Federhut sitzt wie angewachsen.

Alle drei tragen dieselben Züge. In der Ausstellung gibt es dazu keine Vermutung, im Katalog sieht man "keine Anhaltspunkte" dafür, dass hier Angela del Moro Modell stand, was etwa die Kunsthistorikerin Sheila Hale, Verfasserin der Tizian-Biografie 2013, als gegeben sieht. Und auch die Münchner Autorin und Kunsthistorikerin Lea Singer, deren Roman "La Fenice" um das erstaunliche Leben dieser Kurtisane kreist. Sie äußerte sich gegenüber der Wiener Ausstellung kritisch, ihr Buch wird dennoch im Shop verkauft und wurde im Katalog zitiert, von Zensur, die der Verlag Singers wegen Terminproblemen für eine angefragte Buchpräsentation schon witterte, kann also schwer die Rede sein.

Immerhin hat man den "Protofeministinnen" ein eigenes Kabinett gewidmet

Die Kritik am Zugang dieser ausgerechnet von drei Kuratorinnen gestalteten Ausstellung bleibt berechtigt. Wobei eine Frage der Generationen zu sein scheint, was nichts entschuldigt, aber einiges erklärt. Sylvia Ferino-Pagden (*1950) war bis 2014 Direktorin der KHM-Gemäldegalerie und lange eine starke Frauenstimme in diesem Wiener Museum. Als Tizian-Expertin ist sie unangefochten, kunsthistorisch ist die Ausstellung, die in den Palazzo Reale nach Mailand weiterwandern wird, tadellos, auch in den Nebensträngen und Details. So wird etwa die damals gebräuchliche Mode und der Schmuck nicht nur erklärt, auch mit realen Beispielen belegt, dem in sich verschlungene Doppelring der Eheleute etwa. Die uns heute fremde weibliche Ikonografie wird lesbar - die offenen Haare der Braut, die geflochtenen der Ehefrau, die V-Geste mancher Finger, die für Venus oder Virtus steht.

Auch der Einfluss der Literatur der Zeit, mit der die Malerei in Wettstreit stand, wird erkannt. Ein eigenes Kabinett ist den venezianischen Poeten und Philosophen gewidmet, ein anderes ihren Kolleginnen, die damals erstmals eine Stimme erhielten - den "Protofeministinnen", die eine scharfe Zunge führten. "Oh, rief Leonora, wie viele Frauen täten, anstatt einen Mann zu heiraten besser daran, sich jedes Jahr zum Karnveal ein schönes Schwein zu kaufen, denn dann wären sie das ganze Jahr über hübsch rund, da sin jemanden hätten, der sie mit fetten Dingen versorgen und nicht ständig piesacken würde!" So fasste es jedenfalls Moderata Fonte zusammen. Als wenn die Möglichkeit der Freiheit eine gewesen wäre damals - befand sich etwa die Hälfte aller Patrizierinnen im Venedig damals sozusagen in Klosterhaft. Die Ehe, für die eine Mitgift erforderlich war, konnten sich die meisten Familien nur für die erstgeborene Tochter leisten.

Kurtisane war die dritte Möglichkeit. Womit wir noch einmal bei der berühmten Angela del Moro, genannt Zaffetta, wären, von Pietro Arentino in seinen "Hetärengesprächen" als Besonderheit verewigt, mit Tizian eng befreundet, wie Quellen belegen. Ihr Schicksal, im Katalog nur halbherzig angedeutet, erscheint uns hart, war wohl ein übliches und ist durch ein besonders perfides hundertstrophiges Gedicht überliefert: "Il Trentuno della Zaffetta" schildert ihre Vergewaltigung von achtzig Männern als Bestrafung, weil sie es gewagt hatte, einen hochrangigen Verehrer abzulehnen. Lorenzo Venier, den Verfasser des Pamphlets.

Das Versöhnliche dieser aus einem nicht mehr zeitgemäßen Feminismus heraus entstandenen Ausstellung, mag also vielleicht sein, dass diese brutale Realität ausgeblendet wird. Dass Frauen wie Angela del Moro weiterhin als Göttinnen der Schönheit in aller Ewigkeit strahlen dürfen und verharren müssen. Wer wagt zu wissen, was sie selbst gewollt hätten.

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Tizians Frauenbild bis 16. Januar im Kunsthistorischebn Museum (KHM) in Wien; danach vom 23. Februar. bis 29. Mai 2022 im Palazzo Reale, Mailand. Der Katalog kostet 39,95 Euro.

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