Theaterstück über Karl May:Wer Fantasie hat, ist noch kein Lügner

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Erst inszenierte er "Winnetou" groß auf RTL, jetzt bringt er den Schöpfer auf die Bühne: Philipp Stölzl inszeniert in Dresden das "Leben und Sterben des Dr. Karl May".

Theaterkritik von Harald Eggebrecht

"Danach zu urteilen, was über ihn in den Zeitungen stand, muss er ein gar nicht uninteressanter Charlatan sein, den aufs Podium zu bringen am Ende kein so übler Gedanke von Ihnen war. Soll er nicht Räuberhauptmann gewesen sein? Ich glaube, ich würde mir ein Billett kaufen." So äußerte sich Thomas Mann in einer Umfrage, mit der im Jahr 1912 Literaten und Journalisten den in Verruf geratenen Karl May rehabilitierten. Sein Bruder Heinrich ging noch weiter: "Ich höre, dass Karl May der Öffentlichkeit so lange als guter Schriftsteller galt, bis irgendwelche Missetaten aus seiner Jugend bekannt wurden. Angenommen aber, er hat sie begangen, beweist mir das nichts gegen ihn, vielleicht sogar manches für ihn. Jetzt vermute ich in ihm erst recht einen Dichter!"

Die Reihe Prominenter, denen der sächsische Fantast etwas bedeutet, ließe sich bis ins Heute fortführen vom knorrigen Philosophen Ernst Bloch bis hin zu Roger Willemsen oder sogar Quentin Tarantino, der im Interview angab: "Winnetou, Old Shatterhand, Old Firehand: Für mich sind das die Vorläufer der Spaghettiwestern."

Auch Philipp Stölzl hat sich für seine an Weihnachten ausgestrahlte "Winnetou"-Neuverfilmung ausgiebig mit dem sonderbaren Mann beschäftigt. Nun hat er Jan Dvořák, den Chefdramaturgen an der Oper des Nationaltheaters in Mannheim, zu einem Stück animiert: "Der Phantast. Leben und Sterben des Dr. Karl May". Stölzl hat es im Dresdner Schauspielhaus als tragikomischen, mal atmosphärisch dichten, mal grellbunten rund zweistündigen Bilderbogen inszeniert.

RTL-Dreiteiler
:Neuer Winnetou mit erotischer Präsenz

Regisseur Philipp Stölzl versucht, die Saga von Winnetou und Old Shatterhand neu zu beschwören. Es gelingt ihm, weil er seine Geschichte einigermaßen glaubhaft ins Amerika des 19. Jahrhunderts einbringt.

Von Harald Eggebrecht

Da schwebt ein Guckkasten über der Bühne mit Mays Arbeitszimmer in der Radebeuler "Villa Shatterhand". Der ausgestopfte Löwe im Raum fehlt ebenso wenig wie Bärentöter, Henry-Stutzen und Silberbüchse an der Wand. Hier turnt sich der glänzende Götz Schubert als May in hemmungslosen Grandiositätsrausch. Und agiert ihn sogleich auf der großen Bühne als Kara Ben Nemsi aus mit Hadschi Halef Omar (Alexander Angeletta) in der Anfangsszene von "Durch die Wüste", dem ersten Band des Orient-Zyklus. Doch beim Ritt über den Salzsee des Schott el Dscherid dringen plötzlich Polizisten ein auf der Suche nach dem Hochstapler Karl Friedrich May. Der entkommt in sein Arbeitszimmer. Seine Frau Emma lamentiert über den Seltsamen, der nur in seinen Parallelwelten Leidenschaft zeigt. Nele Rosetz spielt diese Frau anrührend in ihrer Verwirrung über den Fantasten.

Dieses sanft surrealistische Ineinanderrutschen der verschiedenen Ich-Welten des Karl May - als Straftäter, als Kolportageschreiber, als angeblicher Reiseschriftsteller, der alles selbst erlebt haben will, was er ausfabuliert - strukturiert den Abend. "Ich" prangt daher überm Bühnenrahmen. Sehr lustig, wie Schubert-May als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi posiert vor dem Fotografen aus Linz (Simon Käser) und sich dabei immer wahnwitziger aufplustert; wunderbar komisch, wie beim Gesangsverein in Dresden plötzlich Winnetou mit Zylinder (Ahmad Mesgarha) erscheint und den Sangesbrüdern lauscht. So fängt die "Satan und Ischariot"-Trilogie an. Übrigens belegt das mehrmals gesungene "Ave Maria", dass May auch als Komponist durchaus begabt war.

Wer so va banque spielt wie May, will es wissen. Als er endlich in den Orient reist mit Emma und der späteren zweiten Frau Klara (Laina Schwarz), bricht das Kartenhaus des Dr. Karl May so grandios bitter zusammen, wie er es triumphal errichtet hatte. Stölzl gelingen eindringliche Bilder: Wie die rechtsradikale Journalistenmeute über ihn herfällt mit all jenen Wörtern, die von Pegida-Aufläufen bekannt sind: Volksverräter, notorischer Lügner, geborener Verbrecher, dazu Schundschreiber und Pornograf. Dann bewerfen sie ihn mit seinen Büchern, bis er zusammensinkt.

Abschied vom Abenteuer-Ich

Schubert vermag den Sturz des dandyhaften Scharlatans ins Bodenlose absolut glaubhaft zu machen. Doch nach der Zerstörung seiner bisherigen Welt baut sich der Alte ein neues Ich auf, noch viel gewaltiger, als es die Helden Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi je waren. Jetzt erkennt er sein "Leben und Streben" (so der Titel der Autobiografie) als Beispiel der "Menschheitsfrage" schlechthin.

Theater in Dresden
:Karl May als wundersamer Fantast

Mit Guckkasten, Bärentöter und Winnetou im Gesangsverein inszeniert Philipp Stölzl "Leben und Sterben des Dr. Karl May". In Bildern.

Alles kulminiert im letzten Auftritt in Wien mit dem Vortrag "Empor ins Reich der Edelmenschen". May steigert sich in seine Liebes- und Friedenssehnsucht zwischen den Menschen so emphatisch hinein, dass ihm dreitausend Menschen zujubeln. Wenige Tage später stirbt er. Winnetous Tod wird hier als Abschied vom Abenteuer-Ich verstanden. Dvořák und Stölzl greifen die Szene zuletzt mit feinem Unterschied wieder auf: Jetzt bettet Winnetou seinen Scharlih und holt ihn mit indianischem Ritual in die ewigen Jagdgründe.

Dem energiegeladenen Ensemble war der Spaß an der Produktion anzumerken, die federleicht nicht nur ein Fantastenleben Revue passieren lässt, sondern wie nebenbei auch die untergründige Aktualität darin aufdeckt.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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