Theater:Die Schuld des Präsidenten

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"Wer hat meinen Vater umgebracht" am Volkstheater

Von Christiane Lutz, München

Während am Volkstheater die letzten Proben zu Edouard Louis' "Wer hat meinen Vater umgebracht" stattfinden, ist der Autor selbst gerade wieder auf den Straßen von Paris unterwegs. Er protestiert mit Tausenden gegen die von der französischen Regierung angekündigte Rentenreform und teilt Fotos und Gedanken dazu im Netz. "Ab heute und für die kommenden Wochen werden wir gegen die Rentenreform und die Gewalt des Makronismus kämpfen", schreibt er auf Twitter.

Edouard Louis, 27, demonstriert, weil er die kennt, denen etwa die Anhebung des Renteneintrittsalters zum Nachteil geraten könnte. Seine Familie gehört dazu. Wie zum Beispiel sollen Menschen wie sein Vater länger arbeiten, wenn schwere Arbeit den Körper früh ruiniert hat? "Du gehörst zu jener Kategorie von Menschen, für die die Politik einen verfrühten Tod vorgesehen hat", schreibt Louis in "Wer hat meinen Vater umgebracht". Vergangenes Jahr veröffentlichte er einen Artikel, in dem er sich mit der Gelbwestenbewegung solidarisierte. Er selbst hat sich längst aus dem Arbeitermilieu befreit, mit dem er sich da solidarisch zeigt. Nach einer Kindheit auf dem Land legte er seinen Namen - Eddy Bellegueule - ab, studierte, nannte sich fortan Edouard Louis und tat alles Mögliche, um Abstand zu gewinnen zu Heimat und Familie. In Louis' Werk vermischen sich Fiktion, persönliche Geschichte und Politik auf faszinierende Weise.

Diese Mischung, diese Ambivalenz auch ist es, die Louis zu einem so wichtigen Autor der Gegenwartsliteratur machen. Regisseur Philipp Arnold wollte lang schon eines seiner Bücher auf die Bühne bringen. Oft waren andere schneller, "Wer hat meinen Vater umgebracht" am Volkstheater ist nun aber die erste Inszenierung des Stoffes in Deutschland. Das Buch ist gewissermaßen als Fortschreibung von Louis' autobiografischem Roman "Das Ende von Eddy" (2015) zu verstehen. Darin schilderte Louis seine schwierige Kindheit und Jugend in der Picardie. Seine Homosexualität auf der einen Seite, auf der anderen der homophobe Vater, für den ein Mann sich "nie wie eine Frau verhalten" dürfe. Der Vater trinkt und verspottet den Sohn.

Während Louis in "Das Ende von Eddy" die Grenze zwischen sich und dem Vater zu ziehen und sich von ihm abzunabeln versucht, nähert er sich ihm in "Wer hat meinen Vater umgebracht" gewissermaßen an. Er skizziert die tragische Figur des namenlosen Vaters, der eigentlich gern im Auto zu Céline Dion singt, sich das aber verbietet. Der, so Louis, auch nur Produkt seiner Sozialisierung und einer miserablen Sozialpolitik Frankreichs sei. Das Buch schwankt zwischen berechtigter Wut und Wärme, zwischen Anklage und Verstehenwollen. Jahrelang habe er sich gewünscht, schreibt er, der Vater käme nie mehr nach Hause. Dann wieder erzählt er fast liebevoll, wie der Vater selbstverständlich die Kinder seiner Frau aus erster Ehe als seine annahm. "Ist es normal, sich dafür zu schämen, dass man liebt?" Eine Abrechnung ist es nie. Wenn, dann eine mit dem System.

Regisseur Arnold, der nur etwas älter ist als Louis, sagt: "Ich finde es gut, wie das Buch das Feindbild beleuchtet. Dass Louis den Typus des weißen, älteren Hetero-Mannes untersucht und fragt, woher kommen denn dessen Vorbehalte, dessen Wut eigentlich?" Er mag gerade, dass es nicht nur ein Wut-Text ist. Diese Gleichzeitigkeit der Gefühle ist es, die Louis' Texte besonders machen. Dann die Direktheit der Sprache, das Rohe, die Poesie und, ja, auch das Authentische.

Weil das Theater immer Autoren sucht, die aus der Mitte der Gesellschaft heraus schreiben, oder besser: von ihrem Rande her, die politisch sind und Haltung zeigen, deshalb sind Louis' Bücher oft schon adaptiert worden. In Wien wurde "Wer hat meinen Vater umgebracht" im November auf Deutsch erstaufgeführt, an der Berliner Schaubühne inszenierte Thomas Ostermeier "Im Herzen der Gewalt", in dem Louis autobiografisch die Geschichte seiner eigenen Vergewaltigung erzählt. Als hätte er seine Attraktivität fürs Theater schon mitgedacht, lauten die ersten Sätze aus "Wer hat meinen Vater umgebracht" so: "Wenn dies ein Theatertext wäre, müsste er mit den folgenden Worten beginnen: Ein Vater und ein Sohn befinden sich in einem großen, weitläufigen und leeren Raum. Dieser Raum könnte ein Weizenfeld sein, eine menschenleere, stillgelegte Fabrik (...). Vielleicht schneit es."

Arnold hat viel über diesen Einstieg nachdenken müssen und kommt zu dem Schluss: "Louis nimmt das Theater als Bild für die Gesellschaft. Die beiden lesen von Blättern ab - das hat ja was von Durchspielen. Louis will sagen: Wir spielen alle eine Rolle, nicht nur der Vater, auch der Sohn." Das kann man natürlich wunderbar inszenatorisch nutzen. Bei ihm wird der Text auf drei Spieler aufgeteilt, auf Jonathan Hutter, Anne Stein und Jakob Geßner. "Klar könnte man das auch als Monolog machen, aber ich will die Geschichte wirklich erzählen und durchspielen." Das Buch endet mit einer seitenlangen Auflistung aller Versäumnisse von einzelnen Politikern, die das Leben seines Vaters und somit sein eigenes beeinflusst hätten. Für Louis sind sie es, die den inzwischen gebrechlichen Vater letztlich auf dem Gewissen haben. Arnold stört diese persönliche Anklage etwas. Er sagt: "Füllt Präsident Macron nicht auch eine Rolle aus?" Ist nicht auch er das Produkt von Entscheidungen anderer, Teil eines Systems? Auch diese Ambivalenz muss man aushalten.

Wer hat meinen Vater umgebracht , Premiere am Freitag, 13. Dezember, Volkstheater

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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