Jazzkolumne:Straight up

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Triathletin am Flügel: Renee Rosnes. (Foto: John Abbott)

Zwischen den Leitplanken des Walking Bass tut sich was. Neue Alben von The Cookers, Renee Rosnes, Bill Charlap und eine Wiederveröffentlichung von Pharoah Sanders.

Von Andrian Kreye

Anfang der Achtzigerjahre machte sich ein Kollege bei der Stadtzeitung, der lieber Rockmusik hörte, mal über meine frühreife Jazzbegeisterung mit der Frage lustig, warum Jazzmusiker immer feinen Zwirn und Krawatte tragen. Subkultur, so fand man damals, hatte sich bürgerlichen Normen zu widersetzen. Damals musste die Antwort reichen, dass sie einen 19-Jährigen mitreißen konnten, der mit dem Rock und Pop seiner Zeit nicht viel anzufangen wusste. Heute wäre das schnell erklärt. Jazzmusiker unterwarfen sich damals nicht Spießerzwängen, sondern schufen ihre eigenen bürgerlichen Normen. Dazu gehörte auch eine Wiederentdeckung des "Straight Jazz" als klassische Musik des schwarzen Amerika. Handwerk, Virtuosität und Stilsicherheit waren gefragt, und Letztere zeigte sich dann eben auch im feinen Zwirn. Heute fragt man sich allerdings zwischen all den jungen Wilden und alten Revolutionären manchmal, wo die schicken Handwerker von damals geblieben sind.

(Foto: N/A)

Viele sind in den Lehrbetrieb gegangen, der in den USA für die meisten Kulturschaffenden der einzige Weg zu einem bürgerlichen Auskommen ist. Was sie nicht vom Spielen abhalten muss. The Cookers ist zum Beispiel ein Septett, in dem sich Musiker versammeln, die früher allgegenwärtig waren als Sidemen, so wie der Schlagzeuger Billy Hart, der Pianist George Cables oder die Saxofonisten Donald Harrison und Billy Harper. Die Band gibt es seit 14 Jahren. Auf ihrem neuen, sechsten Album "Look Out!" (Gearbox) spielen sie genau die Sorte Hard Bop (Post, Neo oder was auch immer für einen Vorsilben-Bop) mit klaren Basslinien, Bläserthemen und Harmoniewechseln, die viele als wahren Jazz empfinden. Swing und Walking Bass sind die roten Linien. Das hat nichts mit Routine zu tun. The Cookers spielen ausschließlich Eigenkompositionen. Es ist offenkundig, mit welcher Kunstfertigkeit die Veteranen da komponieren, um sich selbst immer wieder an die Grenzen der Virtuosität zu treiben. Das will man eigentlich sofort live hören. In einer Konzerthalle.

(Foto: N/A)

In New York ist es vor allem der bekronleuchterte Jazz and Supper Club Smoke, der diese Sorte Straight Jazz pflegt. Der betreibt auch ein Label. Bobby Watson, Harold Mabern oder George Coleman veröffentlichen dort, und auch die Pianistin Renee Rosnes. Die Kanadierin ist eine notorisch unterbewertete Musikerin, obwohl sie schon als Teenager für Freddie Hubbard spielte, lange für Joe Henderson und Wayne Shorter. Es sind vor allem ihre eigenen Kompositionen, die ihr einen Platz auf all den Listen sichern sollten, die den Kanon zementieren. Extrem virtuos und mit einem Hochgeschwindigkeitsintellekt fordert sie so ziemlich jede Formation zu Höchstleistungen heraus. Sie ist eine Triathletin am Klavier, da darf man sich von den biederen Fotos auf ihren Alben nicht täuschen lassen, hinter denen man eher eine Koloratursopranistin erwarten würde. Auf ihrem neuen Album "Kinds of Love " fackelt sie zum Beispiel ein Feuerwerk der Tempi, Kraftakte und Ideen ab. Der fantastische Chris Potter spielt dazu das Saxofon, was dem Album zusätzlich Zunder gibt. Wer mit dem mithalten kann, gehört musikalisch sowieso zur Spitze.

(Foto: N/A)

Rosnes ist mit dem Pianisten Bill Charlap verheiratet. Der ist vom Temperament her ihr Gegenpol, ein Großmeister der sensiblen Neuzugänge an bewährte Standards. Sein neues Album "Street of Dreams" (Blue Note) ist nicht nur sein eigenes bestes, sondern überhaupt ein Gipfel dessen, was ein Klaviertrio aus Standards wie Dave Brubecks "The Duke" oder Billy Strayhorns "Day Dream" herausholen kann. Keine Ausbrüche. Keine Überschläge. Allerfeinster Straight Jazz. Um bei der unerfüllten Live-Sehnsucht zu bleiben, würde man das sehr gerne in so einer New Yorker Hotelbar wie dem Café Carlyle oder der Oak Bar im Plaza hören, dort, wo sie wissen, wie man einen ordentlichen Cocktail schüttelt, wann man schweigt und wo man als Herr ohne Jackett nicht eingelassen wird. Hey - bürgerliche Werte. Avantgarde ist dann wieder morgen.

(Foto: N/A)

Wobei man mit so einer Straight-Jazz-Rhythmusgruppe durchaus auch Höhenflüge unternehmen kann. Pharoah Sanders hat das immer wieder mal vorgeführt, der Coltrane-Weggefährte, der das Tenorsaxofon aus dem Stand des zarten Hauchs in ein Instrument der Urschreitherapie verwandeln kann. Das Music-on-Vinyl-Label hat gerade sein Album "Africa" von 1987 in einer prächtigen Neuauflage herausgebracht. Der Pianist John Hicks, der Bassist Curtis Lundy und der Supergroove-Schlagzeuger Idris Muhammad halten sich mit Grandeur an die Straight-Leitplanken, was Sanders' Ausbrüchen eine ganz große Bühne verschafft, auf der er sich von der Ballade bis zum hyperaggressiven "You've Got to Have Freedom" durch sämtliche Register entlädt. Dem Cover nach trug er übrigens nicht Zwirn, sondern Dashiki. Nicht täuschen lassen. Das ist bei Afroamerikanern kein Hippie-Gewand, sondern bei allem Kampfgeist, den die textile Geste transportiert, bildungsbürgerliches Traditionsbewusstsein.

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