Saxofonist Kenny G:Drei Jahre wegen Störung der Totenruhe

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Reich. Und verhasst. Beides sehr. Der Sopransaxofonist Kenny G. (Foto: Concord Records)

Kenny G hat eine künstliche Intelligenz mit dem Ton des Cool-Jazz-Pioniers Stan Getz gefüttert, um ein Duett mit dem Verstorbenen zu spielen. Eine Hassrede feat. Pat Metheny.

Von Andrian Kreye

Der amerikanische Smooth-Jazz-Saxofonist Kenneth Bruce Gorelick hat es unter dem Künstlernamen Kenny G innerhalb von vierzig Jahren zu einem der kommerziell erfolgreichsten Musiker aller Zeiten gebracht. Entdeckt wurde er vom notorischen Jazzverächter und Starproduzenten Clive Davis, den Gorelicks Instrumentalversion von Abbas "Dancing Queen" beeindruckte. Eine dieser finanzvoyeuristischen Webseiten veranschlagt sein persönliches Nettovermögen nun auf rund hundert Millionen Dollar, was ihn zum bislang reichsten Jazzmusiker aller Zeiten machen würde. Er kann also tun und lassen, was er will.

Tut er auch. Er hat er zum Beispiel eine künstliche Intelligenz mit Tönen des verstorbenen Tenorsaxofonisten Stan Getz gefüttert. Mithilfe des Maschinenlernens hat er dann ein Duett mit dieser KI eingespielt, das soeben als zweite Single seines kommenden Albums "New Standards" erschienen ist. Nun hat Stan Getz schon zu Lebzeiten selbst so manchen Kitsch eingespielt. Auf der anderen Seite war er mit seinem Samthauchton aber auch ein Pionier des Cool Jazz. Und weil er die Gabe hatte, jeden noch so komplizierten Rhythmus mit einer Federleichtigkeit zu umspielen, brachte er in den Sechzigerjahren aus Brasilien Bossa Nova und Samba in den Norden, wo seine Aufnahme des Songs "Girl from Ipanema" mit der Sängerin Astrud Gilberto zu einem der meistgespielten Hits der vergangenen Jahrzehnte wurde.

Pat Metheny über Kenny G: "Er zeigte ein Händchen dafür, die niedrigsten Instinkte des großen Publikums zu bedienen"

Kenny G spielt das Sopransaxofon, eines der schwierigsten Instrumente im Jazz, weil die Tonstärke über die Register hinweg oft wegbricht und weil die Intonation fast so schwierig ist wie bei der Geige. Nur die ganz großen Meister beherrschten dieses Instrument, Sidney Bechet, John Coltrane, Wayne Shorter, Steve Lacy, Coltranes Sohn Ravi, sehr viel länger ist die Liste der Virtuosen auf dem Sopran gar nicht. Bei Kenny G klingt das Sopransaxofon eher wie eine Schalmei. Auf verwöhnte Ohren wirken seine Melodielinien ein wenig wie der Tiefenbohrer bei einer Wurzelbehandlung. Bevor man nun auf das Duett mit Stan Getz eingeht, könnte man diesen Text in der Tradition des Schriftstellers Maxim Biller also auch in "100 Zeilen Hass" verwandeln.

Doch Kenny G ist nicht nur ein Treppenwitz der Musikgeschichte. Er ist unter Jazzmusikern auch eine der meistgehassten Erscheinungen. Im Animationsfilm "Trolls World Tour" ist die Figur des Smooth Jazz Chaz, der die Trolle mit seinem Sopransaxofon in einen Zustand wohliger Betäubung versetzt, sehr unverhohlen auf Kenny G gemünzt. Man kann die Polemik also ganz entspannt outsourcen, indem man zum Beispiel den Gitarristen Pat Metheny zitiert.

Metheny erinnerte sich in einem Interview vor Jahren schon mal an Kenny Gs Anfänge in der Band des Keyboarders Jeff Lorber: "Er hatte große rhythmische Probleme und sein harmonisches und melodisches Vokabular war extrem begrenzt, meist auf pentatonische und von Blues-Licks abgeleitete Patterns, und er zeigte im Grunde nur ein rudimentäres Verständnis davon, wie man als professioneller Solist in einem Ensemble funktioniert. Aber er zeigte ein Händchen dafür, die niedrigsten Instinkten des großen Publikums zu bedienen, indem er seine zwei oder drei effektivsten Licks (lange Noten halten und schnelle Läufe spielen - egal, ob es harmonische Finten darin gab oder nicht) in den entscheidenden Momenten einsetzte, um beim Publikum eine starke Reaktion herauszukitzeln. Was mir auch auffiel war, dass er - bis heute - schrecklich verstimmt spielte, nämlich durchweg zu hoch."

Er gibt außerdem zu, dass der Hass so vieler Musiker von Neid getrieben sein. Aber eben nicht nur.

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Noch mal Metheny: " Er hat auf die Gräber aller Musiker der Vergangenheit und der Gegenwart geschissen."

Denn Kenny G's Duett mit Stan Getz ist nicht das erste Mal, dass er mit Verstorbenen spielt. 1999 montierte er sich in "What a Wonderful World" des damals schon lange toten Louis Armstrong. Dazu Metheny: "Diese Art der musikalischen Nekrophilie - die Technik des Overdubbings auf bereits existierenden Tracks bereits verstorbener Interpreten - war seltsam, als Natalie Cole dies vor einigen Jahren mit ihrem Vater auf 'Unforgettable' tat, aber es war ihr Vater. Als Tony Bennett dies mit Billie Holiday tat, war es bizarr, aber wir sprechen hier von zwei der größten Sängern des 20. Jahrhunderts, die sich in etwa auf dem gleichen künstlerischen Niveau befanden. Aber als Kenny G beschloss, die Musik des Mannes zu schänden, der wahrscheinlich der größte Jazzmusiker ist, der je gelebt hat, indem er sein lahmarschiges, albernes, pseudobluesiges, verstimmtes, nudelndes, verweichlichtes, beschissenes Spiel auf einem der Stücke des großen Louis zum Besten gab, tat er etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Mit seiner unglaublich anmaßenden und gefühllosen musikalischen Entscheidung, diesen zynischsten aller musikalischen Pfade einzuschlagen, hat er mit einem Schlag auf die Gräber aller Musiker der Vergangenheit und der Gegenwart geschissen."

Und dann sagte er noch etwas, das exemplarisch für all diese Versuche gilt, Musiker durch künstliche Intelligenzen, Hologramme oder andere digitale Wiederauferstehungen zu ersetzen, weil die Pop-Industrie es weitgehend aufgegeben hat, Neues mit Bestand zu schaffen und deswegen lieber noch das Letzte aus dem Alten holt, und sei es der Ton eines Toten: "Kenny G hat einen neuen Tiefpunkt in der modernen Kultur geschaffen - etwas, das uns allen total peinlich sein sollte - und vor dem wir Angst haben sollten. Wenn wir das durchgehen lassen, dann auf eigene Gefahr."

Und wie klingt das Stück "Legacy featuring ,The Sound' of Stan Getz" nun? Das beginnt mit einem dieser Schalmeienschreie, worauf Stan Getz' KI-Töne von einem perlenden Klavier und einem dieser kastrierten Streichersätze ohne Celli und Bässe in eine Schlafliedmelodie gebettet werden, bevor sich Kenny G dann wieder mit seinem Dentalbohrton aufdrängt. In romantischen Komödien käme das Stück gegen Ende des zweiten Aktes, wenn die Hauptfiguren gerade vom Schicksal getrennt Trübsal blasen. Im wirklichen Leben steht auf die Störung der Totenruhe nach Paragraf 168 des Strafgesetzbuches übrigens eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

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