TED-Koferenz:Hier und jetzt beginnt die Zukunft

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Ideen sind der neue Rock'n'Roll: Warum bei der TED-Konferenz auf einen neurologischen Vortrag frenetischer Jubel folgt.

Andrian Kreye

Es geht gleich beim Frühstück los mit der Zukunft. Spiegeleier mit Speck gibt es im Speisesaal des Keble College in Oxford, der mit seiner Holzvertäfelung, dem Drechselwerk und den langen Tischen an Harry Potter erinnert. Im Falle der Ted-Konferenz ist die Assoziation zu den Potter-Filmen (die ja tatsächlich in Oxford gedreht wurden) nicht nur popkulturelles Referenzklischee.

Leute wie er werden auf der TED-Konferenz gefeiert wie Rockstars: Bill Gates war in der Vergangenheit einer der illustren Redner auf dem Zukunftsgipfel. (Foto: ap)

Sie erklärt, warum sich ausgerechnet eine elitäre Technologiekonferenz aus Kalifornien innerhalb eines Jahres zu einer globalen Marke für eine populäre Ideenkultur entwickeln konnte. Ähnlich wie die Zauberlehrlinge in Hogwarts zum ersten Mal in ihrem Leben Kinder treffen, die so sind wie sie, treffen viele der Konferenzteilnehmer bei einer Ted-Konferenz erstmals einen Saal voller Gleichgesinnter.

Die meisten wissen ungefähr, was sie in solchen fünf Tagen erwartet. Ted hat in den letzten beiden Jahren mit kostenlosen Internetvideos und einem weltweiten Lizenzmodell für unabhängige Ted-Konferenzen ein globales Vertriebsmodell für Ideen geschaffen. Und gleichzeitig darauf geachtet, dass der exklusive Charakter der eigentlichen Konferenzen im kalifornischen Long Beach und im englischen Oxford erhalten bleibt. So muss man sich nach wie vor um die Teilnahme bewerben. Wird man eingeladen, kostet die Gebühr vier- bis fünftausend Euro.

Wie viele glückliche Menschen sieht man auf diesem Bild?

Da hockt man also zwischen Michael und Santtu, zwei jungen Herren in sportlicher Kleidung. Michael überlegt sich hauptberuflich für eine Softwarefirma in Sydney, welche neuen Wege Menschheit und Technik einschlagen werden. Santtu baut von Helsinki aus eine globale Belegschaft für seine Firma auf, die immer dann einspringt, wenn Computer an ihre Grenzen stoßen. Auf der Rückseite seiner Visitenkarte ist eine Menschenmenge beim Epsom Derby zu sehen, daneben steht die Frage, die jeden Rechner überfordert: "Wie viele glückliche Menschen sieht man auf diesem Bild?"

Als die Ted-Konferenz 1984 im Silicon Valley erstmals die Sparten Technologie, Entertainment und Design zusammenbrachte, war das noch ein interdisziplinäres Branchentreffen. Weil die digitalen Technologien im Kalifornien des späten 20. Jahrhunderts aber nicht nur für technischen Fortschritt sorgten, sondern auch den ideengeschichtlichen Wandel vom gesellschaftlichen Utopia der sechziger und siebziger Jahre zur technologischen Zukunftseuphorie der späten neunziger und gesamten Nullerjahre beflügelte, konnte Ted eine große Anziehungskraft entwickeln. Hier trafen sich bald Branche, Wissenschaft, Kreative, Künstler und die progressive Politik, um sich ein Forum der interdisziplinären Denker zu schaffen.

Und weil hier Bill Gates über Computer sprach, Bill Clinton über Menschenrechte und Al Gore über den Klimawandel, kam zum Ruf auch bald der Ruhm. Man kann die Ideenkultur, für die Ted nun als gemeinsamer Nenner fungiert, nicht genau definieren. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sie sich rigoros sämtlichen technologischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen öffnet.

Digitale Technologien gehören immer noch dazu, aber auch der erweiterte Designbegriff des "Design Thinking", die Zukunftseuphorie der übergreifenden Naturwissenschaften, Verhaltensökonomie, Philosophie, Astrophysik, Extremsport, Popmusik und ein globales Politikverständnis, dazu ein Wertekanon, der vom universalen Menschenrechtsbegriff, der Vision von einer gerechten Gesellschaft und einem Bild vom selbstbestimmten Menschen geprägt wird.

So passt Ted in ein Flechtwerk, zu dem in den USA Ideenbücher von Autoren wie Malcolm Gladwell oder Jared Diamond gehören, die Bestseller von Vordenkern der sogenannten Dritten Kultur wie Steven Pinker oder Jerome Lanier, und eine Flut von Fernsehsendungen und Zeitschriftenartikeln zum Thema, wie sie im New Yorker, Atlantic oder in Wired erscheinen. "Middlebrow" nennt man diesen Populärintellektualismus in Amerika, womit das breite Feld zwischen der akademischen Hochkultur und der eskapistischen Popkultur gemeint ist.

Zukunftseuphorische Grundhaltung

Diese Ideenkultur ist allerdings auch von zwei sehr amerikanischen Blickwinkeln geprägt. Da ist zum einen der pragmatische Ansatz, die Idee und die Erfindung als zwangsläufige Einheit zu betrachten, wogegen man in Europa Theorie und Praxis eher getrennt betrachtet. Und es ist das amerikanische Zeitgefühl, welches das Hier und Jetzt immer als Beginn der Zukunft empfindet, und nicht wie im kontinentalen Europa der Endpunkt der Geschichte. Das sind auch die beiden Gründe, warum die zukunftseuphorische Grundhaltung aus Kalifornien in Europa mit Skepsis betrachtet wird. Und warum die Ted-Konferenzen, ihre Ableger mit dem Titel Tedx und die "Ted Talk"-Videos trotzdem einen solchen Erfolg haben.

Es gibt gerade unter jüngeren, gebildeten Europäern einen großen Hunger auf solche offenen Ideenwerkstätten. In den vergangenen Monaten gab es eintägige Tedx-Konferenzen in Hamburg und München. Auch da stellte sich unter den Teilnehmern das Gefühl ein, Gleichgesinnte gefunden zu haben. Da kann es auch zu spontanen Begeisterungsstürmen über eigentlich esoterische oder fachwissenschaftliche Themen kommen.

So wie in Hamburg, wo der Neurowissenschaftler Ernst Pöppel launig über die biologischen Zeiteinheiten der Rezeption sprach, worauf das Publikum ihn mit frenetischem Jubel zu fünf Minuten Zugabe brachte. Solche Momente sind es, wegen derer der Observer schrieb: "Ideen sind der neue Rock'n'Roll", und die Ted-Konferenzen mit dem Rockfestival Glastonbury verglich.

Es war sicherlich ein Wagnis, die Inhalte und das Konzept einer exklusiven Konferenz zu verschenken. Über 290 Millionen mal wurden die Ted Talks bisher im Netz aufgerufen. Über 1200 Tedx-Konferenzen in 98 Ländern wurden seit letztem Jahr schon veranstaltet oder sind geplant. Und immer ist das Logo aus den drei Buchstaben Ted zu sehen. Damit ist Ted endgültig keine Konferenzbetrieb mehr, sondern eine Marke. Und die hat geschafft, wonach im Zeitalter des Internets alle Marken streben: "It's gone viral", sie hat sich verselbstständigt.

Ob Ted als Geschäftsmodell für Medien und Kultur taugt, weil es ein exklusives Hochpreisprodukt mit einer kostenlosen Verwertungskette kombiniert, wie es die "Long Tail"- und "Creative Commons"-Theorien vorsehen, wird sich noch zeigen. Ted wird von der gemeinnützigen Sapling Foundation getragen. Und sie wird mit Chris Anderson von einem Mann geleitet, dem die Grundwährung der Aufmerksamkeitsökonomie wichtiger ist als die Umsätze. Vielleicht liegt es ja daran, dass er als Sohn von Missionaren aufwuchs. Er klingt jedenfalls sehr überzeugend, wenn er betont, dass das Konferenzmotto "Ideas worth spreading" (Ideen, die es wert sind, verbreitet zu werden) die Grundlage seines Geschäftsmodells sei.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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