"Folklore" von Taylor Swift:Edel und kuschelig

Lesezeit: 3 min

Popstar Taylor Swift kündigte kurzfristig eine neue Platte an. "Überraschung, heute um Mitternacht werde ich mein 8. Studioalbum veröffentlichen", schrieb die 30-jährige Sängerin völlig überraschend am 22. Juli auf Twitter. (Foto: dpa)

Brrrr, das Lockdown-Album von Pop-Superstar Taylor Swift ist eine 16 Songs lange Strickjacken-Werbung geworden.

Von Juliane Liebert

Andy Warhol sagte einmal, er liebe Werbespots, sie seien das Beste am Fernsehen, und er wünschte, sie wären länger. Er wäre sehr glücklich mit Taylor Swifts neuem Album "Folklore", denn es ist eine 16 Songs lange Strickjacken-Werbung. Inklusive der Single "Cardigan" und des dazugehörigen Videos, in dem Swift durch verschiedene Klaviere klettert und am Ende von einer Strickjacke vor dem sicheren Kältetod gerettet wird.

Neben acht verschiedenen Vinylversionen des Albums mit acht verschiedenen Covern kann der Taylor-Swift-Fan auch eine echte Strickjacke auf Taylor Swifts Website kaufen (man bekommt das Album dazu). Die Strickjacke kostet 49 Dollar und besteht zu hundert Prozent aus Acryl. Sie hat drei graue Sterne auf jeder Armseite. Man weiß erst seit Freitag von ihr und dem Album. Das Album ist nämlich ein Überraschungsalbum, entstanden während des Corona-Lockdowns. Donnerstagfrüh angekündigt, Punkt Mitternacht veröffentlicht. Die Amerikaner lieben es, denn es ist superpoliert und edelkuschelig. Die Menschen sehnen sich nach Behaglichkeit in diesen wirren Zeiten.

Mit an Bord sind Bon Iver und die Brüder von The National, Aaron Dessner hat "Folklore" coproduziert. Das hört man auch. Es pluckert so vor sich hin. Ab und zu schaut mal eine Geige vorbei, schließlich sind wir im Wald. Swifts Wald klingt zwar nahbar und warm, aber so edel, dass sich ein etwas zu dicker Kauz mit zerzaustem Gefieder in diesem Wald vermutlich nicht trauen würde zu rufen. Trotz Bon Iver. Mal besingt Swift die langdauernde Liebe, dann die Trennung, dann scheint sie wie eine Discokugel, dann freut sie sich, weil sie das Lieblingskleidungsstück von jemandem ist - im "Cardigan"-Video, in dem Swift in einem Holzhaus mit Kaminfeuer Klavier spielt. Obwohl sie aus dem Country kommt, passt sie in ein Holzhaus mit Kaminfeuer ungefähr so gut wie Bonnie "Prince" Billy an den Strand von "Baywatch". Andererseits, das Holzhaus besteht vermutlich auch aus hundert Prozent Acryl. Doch was ist das? Während sie spielt, beginnt aus dem Klavier goldene Säure zu blubbern! Die Säure ist ein Sinnbild für ihre Musik. Deswegen klettert sie auch in das Klavier - und landet in einem magischen Urwald, in dem ein Flügel steht.

Ein Cardigan für nur 49 Dollar

Ob der Trick immer funktioniert, man steigt in sein Klavier und kriegt dafür einen Flügel? Wär ja praktisch für alle, die ein bisschen aufmöbeln wollen. Der Urwaldflügel sieht etwas angeschimmelt aus, während der bemooste Boden so aseptisch wirkt, als hätte man den Pflanzen Desinfektionsmittel injiziert. Swift spielt weiter, es ergießt sich ein Wasserfall aus dem Klavier, und Swift klettert auf erneutes Geheiß der goldenen Säure in ihren Klavierhocker, wodurch sie im Meer landet.

Ihre einzige Rettung: ein schwimmender Flügel! Der schwimmende Flügel symbolisiert, dass Musik ihre einzige Rettung ist. Falls sich wer gefragt haben sollte. Leider ist in so einem Flügel ein massiver Stahlrahmen mit Stahlsaiten, es bleibt also zu bezweifeln, dass der im Wasser ohne Weiteres schwimmt. Egal! Sie kehrt nach Hause zurück, fröstelnd, einsam. Doch da! Neben ihr! Die Strickjacke! Sie zieht sie über. Endlich.

Sie musste die ganze Abenteuerreise mit Schiffbruch am Flügel nur deshalb unternehmen, damit sie sich am Ende den Cardigan als Bademantel anziehen kann. Nur 49 Dollar!

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"Folklore" gilt schon jetzt als neues "bestes" Swift-Album, und es ist ihr erstes Indiepop-Album. Die Bäume in ihrem Folkwald kommunizieren allerdings eher per 5G als über den Boden. Auch naturverbundene Introspektion ist in diesem Pop ein ganz und gar virtuelles Phänomen, man könnte ihr Video fast als Ausdruck eines digitalen Realismus lesen. Man sitzt in der Jagdhütte, aber dank Internet kann man jederzeit durchs Klavier in einen desinfizierten Videospieldschungel klettern, wenn's die Stimmung verlangt.

Vielleicht war Authentizität nie zuvor etwas so unverhohlen Konstruiertes. Der Folk ist im Anthropozän angekommen. Man kann sich nie sicher sein, dass die Nachtigall nicht in Autotune singt. Seltsamerweise zeigt vor allem die amerikanische Medienöffentlichkeit derzeit kaum Distanz zu dieser artifiziellen "Confessional Pose". Wird inzwischen stillschweigend vorausgesetzt, dass allen Beteiligten bewusst ist, wie künstlich das Medium ist, in dem man sich begegnet? Aber darauf deutet wenig hin. Eher scheint es eine starke Sehnsucht nach Unmittelbarkeit zu geben, die zur Folge hat, dass Gemachtheit bewusst ausgeblendet wird. Obwohl alle von "Handwerk" sprechen, scheint sich keiner dafür zu interessieren, was in der Werkstatt eigentlich passiert, die eher einem Hochleistungsserverraum gleicht als einer guten alten Backstube.

"Folklore" fehlen so die Widerhaken, die etwa Lana Del Reys "Norman Fucking Rockwell" interessant gemacht haben. Sowohl die Momente musikalischer Entgrenzung als auch die Doppelbödigkeit der Texte und der Inszenierung insgesamt. "Exile" mit Bon Iver etwa ist erst mal überraschend in seiner gedeckten Klangfarbe, Reduktion und seinem sonoren Gesang. Aber ab der Bridge folgt der Song dem Konstruktionsplan eines Hits mit hymnischem Höhepunkt und Transzendenzcoda vom Reißbrett.

Insofern passt es perfekt, dass das Album im Paket mit einer Strickjacke verkauft wird - man die Strickjacke aber auch ohne das Album kaufen kann. Wenn man wirklichen Trost sucht, wäre man damit ohnehin besser beraten. Man spart dabei 3,50, und dafür bekommt man dann noch eine schöne heiße Schokolade.

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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