Stuttgart 21 im Haus der Geschichte:Der Protest ist schon museumsreif

Lesezeit: 2 min

Er ist 80 Meter lang und 3,20 Meter hoch: Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg will den Bauzaun von Stuttgart 21 als historisches Objekt ausstellen. Die schwäbische Rebellion wird dokumentiert mit schrillen Plakaten, lustigen Sprüchen und gemeinen Karikaturen.

Roman Deininger, Stuttgart

Der Protest gegen Stuttgart 21 gilt als Aufstand der Bildungsbürger, und Paula Lutum-Lenger kann diese These nur bestätigen. Die Kuratorin und ihr Team haben sich in den vergangenen Monaten jenen Gitterzaun vorgenommen, der seit einer Julinacht 2010 die Baustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof sicherte - samt all der Plakate und Pamphlete, Stofftiere und Kehrbesen, mit denen die Bahnhofsgegner den Bauzaun schnell in einen Protestzaun verwandelten. 2506 Objekte sind es insgesamt. Gut, sagt Lutum-Lenger, ein paar falsche Zitate habe man entdeckt, Alexander von Humboldt hat es erwischt und Bertolt Brecht. "Aber Rechtschreibfehler haben wir nur sehr wenige gefunden." Die schwäbische Rebellion gegen die Idee, mitten in der Landeshauptstadt einen Bahnhof zu vergraben, ist in vollem Gange, am 27. November will die neue grün-rote Regierung die Bürger über Stuttgart 21 abstimmen lassen. Das wohl wichtigste Zeugnis und bekannteste Emblem dieser Rebellion aber hält das Haus der Geschichte Baden-Württemberg schon für museumsreif. Nur fünf Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof will es den 80 Meter langen und 3,20 Meter hohen Zaun vom 16. Dezember an in einer Ausstellung präsentieren. "Dagegen leben?" wird sie heißen, eine Anspielung darauf, erklärt Lutum-Lenger, dass der Widerstand für einige Stuttgarter "ein Stück Lebensform" geworden sei. Noch im Winter hatten sich die Museumsmacher den Zaun ins Depot geholt und von Schnee und Eis befreit, überzeugt davon, dass er auf rasantem Weg zu einem "historischen Objekt" geworden war: als repräsentatives Dokument des Volkszorns, als überdimensionale Leinwand, auf der eine Bürgerbewegung von bisher ungekannter Vehemenz ihre Anliegen ausbreiten konnte. Ausstellungsleiterin Lutum-Lenger bescheinigt den Bahnhofsgegnern "hohe Kreativität und großes Potenzial" - zeitweilig hatten die vielen Collagen und Karikaturen am Zaun das Historikerteam darüber nachdenken lassen, ob sie es nicht vielleicht doch mit einem politischen Kunstwerk zu tun hatten, dessen Platz eben gerade in Schnee und Eis sei. Aber letztlich erkannten sie in der Stuttgarter Klagemauer doch vor allem ein Symbol: für die Spaltung der Stadt, für die Friedfertigkeit vieler Protestierender und die Aggressivität mancher. Natürlich, sagt Lutum-Lenger, "hat mich auch manches, was ich da gelesen habe, bedenklich gestimmt". Wer den Zaun abläuft im dunklen Depot des Hauses der Geschichte, stößt auf ein verfremdetes Bild, das den inzwischen abgewählten Ministerpräsidenten Stefan Mappus als Hitler zeigt, und auf ein schier sagenhaftes Repertoire schmerzhaft schiefer Vergleiche: "In Stuttgart und in Teheran, die Macht zeigt ihre Fratze. Wer nicht mehr überzeugen kann, schlägt zu mit harter Pratze." Mehr als 400 der Protestobjekte sollen den Ausstellungsbesuchern an Computer-Terminals mit kurzen Texten erläutert werden, auch um die Veränderungen am Zaun darzustellen, die Trauerkränze etwa als Reaktion auf den Abriss des Nordflügels. Die Ausstellungsmacher betonen, dass ihre Schau keine Partei nehmen soll; ganz ausschließen können sie freilich nicht, dass das Haus der Geschichte bald zu einer Pilgerstätte der Bahnhofsgegner werden könnte. Die Herausforderung dieser äußerst zeitigen Musealisierung dürfte es sein, trotz der Nähe zu den Ereignissen dem Betrachter eine Distanz zu ermöglichen, an der es der Debatte um S21 bitterlich mangelt. Dass die Revolte gegen Tiefbahnhof und Staatsmacht auch noch auf der Straße zu Hause ist, können sich Reisende am Hauptbahnhof jederzeit mit einem Abstecher an den Nordausgang des Bonatz-Baus vergegenwärtigen. Dort ist der neue Bauzaun längst wieder zum Protestzaun geworden, statt Mappus darf sich nun der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann karikieren lassen, immerhin meist im Rahmen gängiger Geschmacksgrenzen. Das Haus der Geschichte will eine Doppelführung zu beiden Zäunen anbieten.

Ein paar falsche Zitate, dafür wenig Rechtschreibfehler: der Gitterzaun von Stuttgart 21. (Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg/Agentur Kraufmann)
© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bahn stoppt Bau
:Wie es mit Stuttgart 21 weitergeht

Die Bahn stoppt nach dem grün-roten Wahlsieg die Bauarbeiten für Stuttgart 21 und vergibt keine neuen Aufträge. Ist das Projekt damit schon beerdigt? Viele Gegner hoffen darauf. Aber ganz so einfach ist es nicht.

in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: