Stuttgart-21-Architekt Ingenhoven:Er würde S 21 heute wieder genauso entwerfen

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"Das Vorhaben ist immer noch kein gemeinsames Werk": Architekt Christoph Ingenhoven übt leise Kritik an den S21-Beteiligten. (Foto: AFP)

Er baute in München ein Hochhaus, das höher ist als die Frauenkirche, und rief in Lübeck die Unesco auf den Plan. Stuttgart-21-Architekt Christoph Ingenhoven ist es gewohnt, Anstoß zu erregen.

Von Gerhard Matzig

Ob Spatenstich oder Eröffnungsfeier, ob Gummistiefel oder Lackschuh, normalerweise schmückt sich die Politprominenz gern mit Großprojekten, die ja auch die eigene Größe betonen. Im Gedrängel der sehr vielen Bauherren ist dann oft kein Platz mehr für den Architekten. Als aber am Freitag der Grundstein für das umstrittenste Bauwerk Deutschlands gelegt wurde, für den neuen Stuttgarter Bahnhof, hatte Architekt Christoph Ingenhoven neben Bahn-Chef Rüdiger Grube reichlich Platz.

In einer denkwürdigen Allianz verweigerten sich dem Termin "aus Termingründen": Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide von den Grünen) - sowie der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU.

Ingenhoven wäre nicht Ingenhoven, wenn er darüber nicht auch lachen könnte. "Meistens", erzählt der 56-Jährige, "geht der Architekt bei solchen Anlässen ja unter. Diesmal war es genau andersherum. Von den Politikern haben sich in Stuttgart viele weggeduckt." Und nein, das ärgere ihn nicht - "aber es zeigt, dass das Vorhaben immer noch kein gemeinsames Werk ist".

"Es geht nicht nur um einen Bahnhof, es geht um eine ganze Stadt"

Seit in den Achtzigerjahren beschlossen wurde, aus dem oberirdischen Kopfbahnhof einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu machen, wird das Projekt "Stuttgart 21" mindestens vehement diskutiert. Auch die Grundsteinlegung wurde von Trillerpfeifen und Polizeischutz begleitet.

Schon aus stadträumlichen Gründen wäre es aber nun höchste Eisenbahn, sich endlich gemeinsam hinter das vor fünf Jahren per Volksabstimmung demokratisch legitimierte Projekt zu stellen. Schon längst müsste man sich konkret überlegen, was mit dem frei werdenden, gewaltigen Innenstadt-Areal geschieht, sobald der Bahnhof mitsamt Gleisanlagen unter der Erde verschwindet. Ingenhoven warnt vor einer jahrzehntelangen Brache und Stillstand: "Stuttgart unterschätzt die Terminnot auf dramatische Weise. Da passiert kaum etwas. Hier gibt man eine einmalige Chance aus der Hand. Es geht ja nicht nur um einen Bahnhof, es geht um eine ganze Stadt."

Vielleicht sollte sich Kuhn nochmals in seinen Terminkalender vertiefen. Im Übrigen ist es Ingenhoven gewohnt, in der Bevölkerung Anstoß mit seinen Bauten zu erregen. Das von ihm und seinem im Düsseldorfer Hafen ansässigen Büro entworfene Hochhaus "Uptown München" ist das höchste Hochhaus Bayerns und war einer der Gründe, warum die Münchner 2004 per Bürgerentscheid gegen weitere Häuser votierten, die die Frauenkirche überragen. In Lübeck forderte Ingenhoven ein Jahr später mit einem Bau für Peek & Cloppenburg in der Altstadt sogar die Unesco heraus.

Sein architektonisches Schaffen wird also schon seit Jahren nicht nur von unzähligen Wettbewerbssiegen und vielfachen Auszeichnungen begleitet, sondern auch von Trillerpfeifen. Eigentlich müsste er es längst an den Ohren haben.

Als einer der Ersten konzentrierte sich Ingenhoven auf Energieeffizienz

Doch hat sich der Planer, der 1960 in Düsseldorf als Sohn eines Architekten geboren wurde, nach seinem Studium rasch ein dickes Fell zugelegt. Und der Mann, eine smarte, schlanke, fast berufsjugendlich wirkende Erscheinung, hält auch was aus. Schon dem ersten Wettbewerbserfolg, Ingenhoven war damals, 1985, unmittelbar nach Gründung des eigenen Büros erst 25 Jahre alt, folgte ein Tiefschlag: Aus dem Bau eines Millionen-Projektes für die Post wurde nichts - denn aus der Post wurde erst mal die Telekom. Doch das junge Büro ließ sich nicht entmutigen und gewann bald internationales Renommee.

Als einer der ersten Architekten Deutschlands konzentrierte sich Ingenhoven auf Energieeffizienz. So entstanden ökologische Bauten, die aber nicht nach Hundertwasser, sondern nach Zukunft aussehen. An die glaubte der Düsseldorfer schon immer.

Den Wettbewerb für den Stuttgarter Bahnhof gewann er vor 19 Jahren. Und heute? "Würde ich ihn ganz genauso entwerfen."

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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