Gütertransport der Zukunft:Unterirdisch oder vernetzt, das ist hier die Frage

Cargo Sous Terrain: unterirdische Güter-U-Bahn Schweiz

Mit solchen U-Bahnen sollen von 2030 an Güter quer durch die Schweiz transportiert werden.

(Foto: Förderverein Cargo Sous Terrain)
  • Die Schweiz will einen Großteil des Gütertransports künftig unterirdisch in Güter-U-Bahnen abwickeln.
  • Dafür sollen quer durch das Land Tunnels gegraben werden. Schon 2030 soll das System Realität werden.
  • Andere Planspiele beschäftigen sich eher mit der digitalen Vernetzung des Verkehrs. Intelligente und autonome Konzepte sollen die Infrastruktur entlasten.

Von Joachim Becker

Die spinnen, die Schweizer. Kaum haben sie im Gotthard-Massiv den längsten Eisenbahntunnel der Welt in Betrieb genommen, wollen sie das ganze Land wie einen Schweizer Käse durchlöchern. Kreuz und quer soll jeder Ort von Genf bis St. Gallen und von Basel bis Luzern mit 30 km/h schnellen Güter-U-Bahnen verknüpft werden. Auslöser dieser Tunnel-Planspiele, die vom Jahr 2030 an Realität werden könnten, sind alarmierende Güterverkehrsprognosen: Bis 2030 soll das Transportaufkommen um 45 Prozent steigen. Auf dem jetzt schon knappen Straßen- und Schienenraum der Eidgenossen ginge dann fast gar nichts mehr.

Spinnen die Schweizer wirklich? Oder beweisen sie einfach mehr Mut und Geschick bei Großprojekten für die Verkehrsinfrastruktur? "Cargo sous terrain (CST) ist viel mehr als nur ein Tunnel - es ist ein innovatives Gesamtlogistiksystem, das die Industrie- und Logistikräume mit den großen Ballungszentren verbindet - vollautomatisch und mit intelligenten, zukunftsorientierten Steuerungssystemen gekoppelt", erklärt Peter Sutterlüti, Präsident des Förderverein CST.

Vorbild für Paris und London?

Der Plan der fahrerlosen Cargo-Paletten könnte Modellcharakter für ganz Europa haben: Paris und London stehen mit ihren Steingebirgen vor ähnlichen Problemen in der City-Logistik wie die Alpenrepublik. Und sie haben mit mehr als 500 Milliarden Euro auch eine ähnliche Wirtschaftsleistung wie die Schweiz.

Die Staus in London werden nicht zuletzt von Lieferwagen verursacht, die rund 40 Prozent des Verkehrsaufkommens in der City ausmachen. "Heute müssen Bücher oder Lebensmittel am gleichen Tag ausgeliefert werden - mit halbstündig genauem Zeitfenster", sagt Christian Jacobi, Geschäftsführer des Effizienz-Cluster-Managements Ruhr, "die Online-Einkäufe erreichten 2015 weltweit ein Volumen von rund einer Billion US-Dollar, und das Volumen wächst weiterhin zweistellig pro Jahr".

Bis 2030 soll der Güterverkehr um 38 Prozent zulegen

In Deutschland werden bereits heute rund 50 Milliarden Euro mit Onlinebestellungen umgesetzt. Mehr als 60 000 Zustellfahrzeuge liefern mehr als fünf Millionen Pakete pro Tag aus - die Rücksendungen noch nicht eingerechnet. Denn knapp ein Drittel der Dinge, die im Internet so toll aussahen, werden von enttäuschten Kunden wieder zurückgeschickt. Bei Bekleidung und Accessoires liegt die Retour-Quote sogar noch deutlich höher als 60 Prozent.

Klar ist schon jetzt, dass es ohne neue intelligente Logistikmodelle in und zwischen den überfüllten Städten kaum ein Durchkommen geben wird. Allein in Deutschland soll der Güterverkehr bis 2030 um 38 Prozent gegenüber 2010 zulegen. Die Warenflut verstopft nicht nur die Straßen, sondern belastet auch das Klima. "Der Verkehr ist der einzige Sektor, der seine Emissionen seit 1990 nicht mindern konnte", betont Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes regelmäßig.

Sind Tunnel-Projekte die Lösung - oder doch eher Vernetzung?

Die Städte werden dabei zum Brennpunkt, weil dort alle Trends zusammenlaufen: Die zunehmende Urbanisierung und Verdichtung trifft auf einen immer kleinteiligeren und terminkritischeren City-Transport. Die Frage ist allerdings, ob neue Tunnel die Lösung für eine lärm- und abgasarme Feinverteilung der Güter sind. Wer weiß, wie lange neue U-Bahn-Projekte von der Planung bis in die Umsetzung brauchen, ist da eher skeptisch.

"Die Stadt als chaotisches Verkehrssystem ist extrem störanfällig", sagt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln, "es kann bei steigender Verdichtung nicht sein, dass einzelne Störungen immer wieder einen Großteil des Verkehrs lahmlegen." Wachsende Städte sollten also erst einmal in funktionierende Echtzeit-Verkehrsleitsysteme investieren. Googles Ableger Sidewalk Labs will mit einer Software-Plattform namens Flow anonymisierte Smartphone-Daten auswerten, um den Verkehrsfluss vorherzusagen.

In elektrischen Roboter-Taxis durch die Stadt

Mit diesem Projekt beteiligen sich die Kalifornier an einem aktuellen Smart-City-Wettbewerb der amerikanischen Regierung. "In 50 Jahren werden Städte vollkommen anders aussehen", ist Dan Doctoroff überzeugt. Wahrscheinlich hat der Leiter von Sidewalk Labs und frühere stellvertretende Bürgermeister von New York dabei die boomenden Hochhausviertel in den USA und in Asien genauso vor Augen wie das automatisierte Fahren.

Tausende elektrische und vernetzte Roboter-Taxis könnten der effizienteste und am wenigsten störanfällige Weg sein, um den urbanen Verkehr in neue Bahnen zu lenken. Das gilt auch für den Gütertransport, denn im Prinzip besteht wenig Unterschied zwischen einem Paket mit Echtzeit-Auslieferung und einem Fahrgast, der sich im Verkehrsgewühl durchschlagen muss.

Röhrenplaner gegen die Verfechter der digitalen Revolution

So denkt jedenfalls der Fahrdienstvermittler Uber. Das 63 Milliarden Dollar solvente Start-up will nicht nur Personen, sondern künftig auch Waren transportieren. Entscheidender Vorteil ist dabei der unschlagbar niedrige Preis. "Wenn wir alle leeren Sitze ausfüllen, können wir unsere Straßen leerer machen und die Kosten für Fahrgäste senken", ist Uber-Chef Travis Kalanick überzeugt. Sobald man dank Roboter-Taxis keinen Fahrer mehr brauche, könne die Fahrzeugnutzung ohne Komfortverlust finanziell deutlich günstiger sein als der Besitz eines Autos.

Unterschiedlicher könnten die Lösungsansätze für den gordischen Verkehrsknoten nicht sein: hier die Tunnel- und Röhrenplaner von CST und Hyperloop aus den USA, die Straßen mit einem zusätzlichen Infrastrukturangebot entlasten wollen. Auf der anderen Seite stehen die Verfechter der digitalen Revolution, die vorhandene Verkehrswege durch Mobilitätsplattformen und vernetzte sowie mittelfristig autonome Fahrzeuge effizienter nutzen wollen.

Vielleicht wird der schnelle digitale Fortschritt am Ende sogar zum Bewahrer des historischen architektonischen Erbes: Länder wie die Schweiz mit ihrer gewachsenen Stadtstruktur wollen wohl eines am allerwenigsten: dass ihre Städte in 50 Jahren vollkommen anders aussehen als heute.

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