Schauspiel Stuttgart:Schaut, was wir draufhaben

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In der Autostadt Stuttgart fahren selbstverständlich auch die Tiere Mercedes. Szene mit (v.li.) Karl Leven Schroeder, Boris Burgstaller, Gabriele Hintermaier, Hannah Müller, Gábor Biedermann, Felix Jordan und Mina Pecik. (Foto: Björn Klein)

Das Schauspiel Stuttgart kann mehr als Selbstbespiegelung: Nach George Orwells "Farm der Tiere" versöhnt Elfriede Jelineks Katastrophenszenario "Sonne/Luft".

Von Adrienne Braun

Als der Bauer tot ist, atmen die Hennen erleichtert auf. Vorbei die Zeiten, als sie täglich ein Ei legen mussten - und weil sie auch genug davon haben, sich "nach dem Paarungsverhalten der Hähne" richten zu müssen, fordern sie endlich Gleichstellung. Allzu weit ist es dann aber doch nicht her mit der mutig erkämpften Freiheit. Der Bauer mag die Hennen ausgebeutet haben, jetzt aber übernehmen die Schweine das Regiment auf der Farm der Tiere - und bringen die Hühner kaltschnäuzig um die Ecke, als diese dem Schweinesystem nicht mehr dienen wollen, wie sie sollen.

Es geht blutig zu auf der Bühne des Stuttgarter Schauspiels, blutiger als im Original von George Orwell, der 1945 in "Animal Farm" mit dem Stalinismus abrechnete. Der Siegeszug der Tiere, die sich in der Fabel erfolgreich gegen die Menschen auflehnen, endet in einer Diktatur. Der Regisseur Oliver Frljić zeigt in seiner Stuttgarter Theaterfassung, wie tragisch die Vision eines gerechten Miteinanders scheitert: Umerziehungskomitees statt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Wenn Schweine auf der Bühne das Wort führen und Esel ihnen Paroli bieten, ist die Ausstattung gefragt. Die Kostümbildnerin Pia Maria Mackert hat das Ensemble in dick wattierte Kreationen gesteckt. Wulstig hängt der blassrosa Speck am fetten Leib der Schweine. Die Pferde sind muskelbepackt, und die üppig gefiederten Hühner staksen mit roten Lederstiefeln und gockelhafter Turmfrisur über die spärlich möblierte Bühne. Nur ein Gatter erinnert an den Schauplatz Bauernhof, auf den sich die Schweine (Julian Lehr und Valentin Richter) alsbald in einem blinkenden Mercedes schieben lassen - willkommen in der Autostadt Stuttgart.

Oliver Frljić inszeniert plakativ die Konfrontation von Masse und Macht

Oliver Frljićs Inszenierung passt trefflich in diese Spielzeit am Schauspiel Stuttgart, in der die Stoffe, ob über politische oder private Miseren, oft nur genutzt werden für eine Selbstdarstellung des Theaters. Auf die Spitze hat es Andreas Kriegenburg getrieben, der die "Offene Zweierbeziehung" von Dario Fo und Franca Rame als überdrehtes Spiel im Spiel servierte. Frljić setzt dagegen auf Bilder und inszeniert plakativ die Konfrontation von Masse und Macht. Exquisit illuminiert mit harten, weißen Lichtkegeln oder roten Neonröhren lotet er immer wieder den Punkt aus, an dem die Gemeinschaft zerfällt in Mächtige und Ohnmächtige.

Mitunter entstehen dabei überraschende Momente - etwa wenn die Ratte (Gabriele Hintermaier) von den Genossen mit dem eigenen Schwanz stranguliert wird. Auch die Choreografien von Andrea Krolo bestechen, wenn die Tierschar aufmarschiert und coole Beats in militärischen Drill umkippen. Und doch kommt die Erzählung nie richtig in Fluss, bleibt es bei der Reihung von Momenten und symbolischen Tableaus. Wenn die dummen Tiere emsig aus vorgefertigten Einzelteilen die Freiheitsstatue bauen, dann weiß man sofort, dass sie bald schon wieder dramatisch einstürzen wird, so wie auch von Beginn an klar ist, dass der tierische Aufstand scheitern wird.

"Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher", lautet der Grundsatz auf der Farm der Tiere. Vorne im Bild: Julian Lehr (l.) und Valentin Richter. (Foto: Katrin Ribbe)

Letztlich zelebriert diese Inszenierung etwas zu verzückt die eigenen Ideen, als gelte es allein vorzuführen: Schaut, was wir draufhaben! Schon in der Uraufführung von "Das Portal" von Nis-Momme Stockmann kreiste das Stuttgarter Ensemble nur um sich. Das Theater selbst wurde zum Thema gemacht. Herbert Fritschs Inszenierung setzte auch noch auf allzu vordergründige Blödelei, auf die bestens ein Zitat aus dem Stück zutraf: "Komödiantenstadel trifft auf Kindergeburtstag".

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Elfriede Jelineks "Sonne/Luft" ist da ein anderes Kaliber - eine Textlawine, die fordert und bisweilen überfordert. Die Schauspieler haben enorme Textmassen zu bewältigen, obwohl der Regisseur FX Mayr die Vorlage für seine Inszenierung im Kammertheater kräftig gestutzt hat. Wie eine Sirene zieht Jelinek einen hinein in ihren reißenden Strudel aus Assoziationen, um mit mythischer Wucht die Umweltkatastrophe zu beschwören, ohne auch nur einmal den Begriff Klimawandel zu erwähnen.

Grandios, wie Jelinek die vielfältigen Eigenschaften von Luft zusammenträgt und ihr als Hauptfigur den Respekt gewährt, den der Mensch ihr nicht zollt. "Zahlen muss man nichts für sie, daher ist sie ja so versaut." Die fünf Schauspieler stecken in Kostümen von Korbinian Schmidt, die höfische Eleganz und Science-Fiction-Ästhetik mixen. Wenn sie in musikalischen Passagen das Ticken der Uhr ahnen lassen oder einen Stammestanz andeuten, eröffnet sich zwangsläufig eine größere, globale Perspektive, auf die Jelinek immer wieder schroff das menschliche Kleinklein knallen lässt. Die Welt säuft ab, das Einfamilienhaus schwimmt davon, während wir auf unseren Smartphones "müßig herumspielen".

Szene aus Elfriede Jelineks "Sonne/Luft": Tim Bülow mit der Sonne (Katharina Hauter) im Rücken. (Foto: Björn Klein)

Das fünfköpfige Team, darunter Sebastian Röhrle und Silvia Schwinger, ist stark und präzise. Der Regisseur FX Mayr versteht es, die mäandernden Gedanken Jelineks luzide zu vermitteln, was die spielerische Versiertheit und die Wirkkraft der Bilder keineswegs mindert. Eine güldene Sonnenscheibe, die beiläufig auf der knatschgelben Bühne steht, ruft Kulturen auf, die die Sonne als göttlich verehrten. Heute gießt sie sich "über den Rücken der dreckigen Erde".

Die Sonne wird von Katharina Hauter gespielt, deren knallrotes Gesicht ausschaut wie Sonnenbrand, den sich Urlauber beim ewigen Rösten in ihren "Flammen" holen. Jelinek verknüpft die Klimakatastrophe aber auch unmittelbar mit den Flüchtlingsströmen, die an Zäunen "mit einer schicken Frisur aus Nato-Draht" abprallen. So lapidar sie ihre Wortspiele aneinanderreiht, knüpft sie doch ein komplexes und kluges Netz voller Querbezüge, als wolle sie das Publikum zwingen, neue Verknüpfungen vorzunehmen, damit die böse Wahrheit nicht länger auf routinierten Denkpfaden verhallt. Wenn nicht, werde uns allen "noch Hören und Sehen" vergehen, mahnt die Sonne. "Das möchten Sie nicht erleben, glauben Sie mir."

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