Schauspiel Köln:"Spiritueller Missbrauch"

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Bischofstanz um Schädel: Oliver Frljićs morbide Verbrechensrevue. (Foto: JU_Schauspiel Köln)

Am Schauspiel Köln rechnet Regisseur Oliver Frljić in einer albtraumhaften Stückentwicklung mit der katholischen Kirche ab.

Von Cornelia Fiedler

Für einen Frontalangriff auf den Katholizismus ist die Weihnachtszeit eine gute Wahl: Zuckerguss und Lametta zum Trotz markiert die Geburt Jesu auch den Beginn einer Geschichte von Gewalt und Unterdrückung durch die Kirche. Diese zu erzählen tritt am Schauspiel Köln Regisseur Oliver Frljić an: "Das Himmelreich wollen wir schon selbst finden", heißt seine fiebrig albtraumhafte Stückentwicklung, die mit einem überraschenden Ende aufwartet.

Frljić hat einen Blick für die Schmerzpunkte einer Gesellschaft und er weiß, wie er sie trifft. Da gab es zum Beispiel diese Waterboarding-Szene in "Balkan macht frei" am Münchner Residenztheater 2015, in der ein Schauspieler gefoltert wurde, bis das Publikum einschritt. Oder seine provokanten Stücke über die katholische Kirche in Polen und Kroatien, für die der 45-Jährige mit dem Tod bedroht wurde.

So wirkt zunächst fast milde, was in Köln zu sehen ist. Frljić nimmt die jahrhundertelange Baugeschichte des Kölner Doms zum Anlass für eine katholische Verbrechensrevue, mal morbide, mal kalauernd. Golden maskierte Bischöfe tanzen zwischen Knochen und Schädeln. Dombaumeister Gerhard schließt einen Pakt mit dem Teufel. Erzbischof Rainald von Dassel stiehlt die Reliquien der Heiligen Drei Könige aus Mailand, um den Pilgertourismus nach Köln anzukurbeln.

Vom Dombau springt der Text zu den Missbrauchsskandalen der Gegenwart

Brutal wird es, als im 14. Jahrhundert die Pest die eifrig Dom bauende Stadt erreicht. Von antisemitischen Lügen und kirchlich geschürtem Hass aufgehetzt, hat die christliche Bevölkerung damals alle jüdischen Nachbarn ermordet oder vertrieben. Während aus dem Off vom Pogrom berichtet wird, hängen Kirchenmänner und -frauen kleine Puppen auf und zünden diese an. "Ratten, Ratten, Ratten" keifen sie dabei im milden Licht der Kirchenfenster von Bühnenbildner Igor Pauška.

Über die napoleonischen Kriege und die "Völkerschlacht" bei Leipzig gelangen Frljić und seine Dramaturgin Sarah Lorenz in nicht immer nachvollziehbaren Sprüngen zu den Weltkriegen. Plötzlich treten einzelne Schauspielerinnen vor und stellen sich mit Gewichtsklasse und Alter als die Glocken des Doms vor. Wie Kinder wirken sie dabei, aus dem Off unterbricht sie höhnisches Gelächter. Was soll das?

Das wird ganz am Ende klar. Nach einer wilden Kriegschoreografie zu Sirenengeheul ist es ganz still. Im Kopf hallen noch die Worte eines kirchlichen Bittbriefes an Albert Speer nach, der Rüstungsminister möge doch die Kölner Glocken in eine höhere Schutzklasse versetzen, so dass sie nicht zu Kriegszwecken eingeschmolzen würden.

Dann wird es hell. Aus dem Publikum betritt ein Mann die Bühne, Karl Haucke, geboren 1951, Sozialpädagoge, kein Schauspieler, Überlebender jahrelangen schweren sexuellen Missbrauchs durch einen Pater. Das Ensemble setzt sich auf den Boden, hört zu, die Bühne gehört Haucke. Er spricht ruhig und analytisch: Über systematische Vergewaltigungen in seinem damaligen Bonner Internat. Über den "spirituellen Missbrauch", wenn der Täter selbst die Beichte abnahm. Über Vertrauensmissbrauch. Über Traumatisierung und Folgeschäden. Über Strukturen, die Vergewaltiger schützen - bis heute, bis hin zum derzeit beurlaubten Kölner Kardinal Woelki, der Täter deckte und ein Gutachten zum Missbrauchsskandal im Bistum verschwinden ließ.

Da kommt Haucke auf die Glocken zurück. Man stelle sich vor, jemand hätte in den 1960er-Jahren einen solchen Brief verfasst. Jemand hätte darum gebeten, die Knaben, statt sie "zur Befriedigung der Wollust" der Priester bereitzustellen, einer höheren Schutzklasse zuzuführen: "der Klasse Mensch mit Würde", sagt Hauke leise.

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