Die Boykott-Kampagne ist gerade einmal zwei Jahre alt - und von durchschlagendem Erfolg. Aus einem glänzenden Namen in der amerikanischen Kunst- und Kulturszene ist ein No-Name geworden, den man besser nicht mehr in den Mund nimmt, schon gar nicht auf die Wände von Ausstellungsräumen projiziert oder an die Frontispize von Museen meißelt. "#ShameonSackler" hat erreicht, dass der Louvre seine Sammlung orientalischer Antiken nicht mehr nach der US-Milliardärsfamilie Sackler nennt, dass die National Portrait Gallery in London dem Familienfonds 1,8 Millionen Dollar an Spenden zurückgibt, die für die Renovierung des Museums eingeplant waren, und dass das Guggenheim Museum in New York kein Geld mehr von der Familie akzeptiert. "Blutgeld", wie die Initiatoren der Kampagne, die New Yorker Fotografin Nan Goldin, behauptet.
Der Hintergrund des Kulturboykotts ist in der Tat eine Heimsuchung von beklemmenden Ausmaßen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten dürften mehr als 400 000 Amerikaner an den Folgen von Opioid-Missbrauch gestorben sein, Schmerzmittel, die in Amerika relativ leicht zugänglich sind. Einer der wichtigsten Hersteller ist die Firma Perdue Pharma im Besitz der weit verzweigten Familie Sackler. Ihr wird vorgeworfen, das Schmerzmittel Oxycontin nicht nur vertrieben, sondern den Konsum mit einer aggressiven Marketingkampagne gefördert zu haben - wohl wissend, dass die Einnahme der Tabletten bereits nach kurzer Zeit süchtig machen kann.
Eine weitere Folge der Inititiative: Der Vergleich, zu dem sich die Milliardärsfamilie bereit erklärte
Die Boykottinitiative dürfte ihren Anteil daran haben, dass die Milliardärsfamilie Anfang der Woche nach jahrelangem Leugnen und Hinhalten einen Vergleich zur Beilegung von mehr als 2000 Klagen wegen des Schmerzmittelmissbrauchs vorgeschlagen hat. Größenordnung: elf, zwölf Milliarden Dollar. Auch wenn der Boykott mit dem juristischen Streit um die Verantwortung von Perdue Pharma für den Missbrauch direkt nichts zu tun hat, so dürfte er doch dazu beigetragen haben, die Familie mürbe zu machen. Denn Goldins Kampagne trifft die Sacklers dort, wo sie sich vermutlich am wenigsten angreifbar wähnten: ihrem großzügigem Mäzenatentum.
Die berühmtesten Museen der Welt stehen auf der Empfängerliste ihrer Spenden. Neben dem Guggenheim Museum in New York auch das Metropolitan Museum und das American Museum of Natural History. Die Museen der Smithsonian Institution an der Mall in Washington. Der erwähnte Louvre in Paris. In Großbritannien sind es nicht weniger als 17 Kultureinrichtungen, darunter die Tate Gallery, das British Museum und die Royal Opera. Das Jüdische Museum in Berlin hat die "Sackler Treppe" nach der Familie benannt. Inzwischen hat der Sackler Trust erst einmal seine Spendentätigkeit eingestellt - weil niemand die Millionen mehr haben will.
Goldins Kampagne stellt die großen Institutionen der internationalen Kulturszene vor eine schlechte Alternative: Geld weg oder guter Ruf dahin. Die meisten entscheiden sich wie das Jüdische Museum in Berlin für einen Mittelweg. Der Name des edlen Spenders wird nicht entfernt, neues Geld aber nicht angenommen, weil die Methoden vielleicht nicht ganz so edel waren, mit denen der Reichtum angehäuft wurde. Goldin richtet ihre Kampagne nun verstärkt auf die Politik, der sie vorwirft, zu wenig gegen die Sucht-Epidemie zu tun. Am Mittwoch wurde die 65-Jährige bei einer Protestaktion vor dem Büro des New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo festgenommen.