Profil:Nan Goldin

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Die Fotokünstlerin engagiert sich jetzt im Kampf gegen "Blutgeld" aus Opioiden.

Von Kia Vahland

(Foto: Clemens Bilan/Getty Images)

"Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit" hat Nan Goldin berühmt gemacht. Über Jahre begleitete die Fotokünstlerin und New Yorker Barfrau Freunde und Zufallsbekanntschaften mit der Kamera, fotografierte sie in wilden, verletzlichen, verzweifelten Momenten. Die farbstarken Bilder, 1986 als Buch veröffentlicht, zeigen in romantisierendem Realismus müde Masturbierende, benommene Pärchen kurz vor dem Sex, Drogensüchtige, schwer Aidskranke, fragile Existenzen. Sie selbst tritt einmal mit blutunterlaufenem Auge ins Bild, ihr Liebhaber hatte sie zusammengeschlagen. Eher lebenssüchtig als lebenstüchtig wirken Goldins anrührende Figuren zumeist.

Nun aber hat die 65-jährige Künstlerin das Heft des Handelns in die Hand genommen. Sie bekämpft Purdue Pharma, die Firma, die in den USA mit aggressiver Werbung Opioide als Schmerzmittel unter das Volk brachte, woraufhin mehr als 200 000 Menschen gestorben sein sollen. Die Firma, die in den USA vor Gericht steht, gehört Mitgliedern der Industriellenfamilie Sackler. Und die Sacklers fördern seit Langem Kultureinrichtungen. Darunter sind das New Yorker Metropolitan und das Guggenheim Museum, der Louvre, die Londoner Tate Gallery und das Jüdische Museum in Berlin. Goldin und ihre Mitstreiter verlangen, dass Museen kein, wie sie sagen, "Blutgeld" von den Sacklers mehr annehmen.

Die Fotografin weiß, wovon sie spricht: Früher war sie einmal abhängig von Heroin; vor fünf Jahren verfiel sie dann dem Schmerzmittel Oxycontin, das ihr nach einer Operation verschrieben worden war. Sie erinnert sich in Interviews an ein Gefühl der Wärme, in das der Medikamentenrausch sie getaucht habe, aber auch an einsame Tage in abgedunkelten Schlafzimmern und schließlich an Todesgefahr durch die hohen Dosen, die sie sich illegal verschaffte.

Das Geld dafür gewann sie aus dem Verkauf ihrer Kunst an einige der Museen, welche die Sacklers fördern. Seit ihrem Entzug feiert Goldin ein Revival - nicht mehr als Chronistin des Nachtlebens, sondern als Aktivistin bei Tage: Im gewundenen Treppenhaus des Guggenheim Museum in New York flatterten Papierschnipsel herab, die an zerrissene Rezepte erinnern; in der Washingtoner Smithsonian Institution legten die Protestierenden sich wie tot auf den Boden.

Der Druck wirkt. Das Guggenheim Museum will keine Sackler-Dollar mehr annehmen. Und in London hat die National Portrait Gallery vergangene Woche eine Spende der Sacklers in Höhe von einer Million Pfund abgelehnt, die Tate Gallery mag auch kein Geld der Familie mehr akzeptieren und aus der South London Gallery war zu hören, das Haus habe bereits im vergangenen Jahr eine Spende zurückgegeben. Die Sacklers betonen, dass keineswegs alle mäzenatisch tätigen Familienmitglieder mit Opioiden reich geworden seien. Sie verzichten in London jetzt ihrerseits auf weitere Spenden.

Britische Museumsleute reagieren mit gemischten Gefühlen auf Goldins Kampagne. Schließlich gibt die öffentliche Hand immer weniger Geld für Kunst aus, und das Sackler-Imperium ist nicht berüchtigt dafür, sich inhaltlich allzu sehr einzumischen. Die Kunsthistoriker fürchten, bald gar keine Mittel mehr zu haben, wenn Kampagnen gegen Förderer wie etwa auch den Ölkonzern BP Erfolg haben.

Nan Goldin sieht sich als Opfervertreterin, sie argumentiert moralisch. Das war nicht immer so. Früher wies sie Kritiker scharf zurück, die von ihr als Künstlerin soziales Verantwortungsbewusstsein verlangten und ihr vorwarfen, mit ihren intimen Einblicken in die Drogenszene Heroin schick zu machen. In den 90er-Jahren hatte die Modeindustrie Goldins Optik aufgegriffen und ebenfalls mit Drogensucht kokettiert. Später dann fiel in den sozialen Medien auch das Tabu, massenhaft sehr private Bilder zu zeigen. Auch dafür kann Goldin als eine der Vorreiterinnen gelten.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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