Pop:Den Regeln entfolgen, auf Knopfdruck

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Tänzelt auf dem neuen Album vergnügt zwischen Größenwahn und Selbsternüchterung: Rufus Wainwright. (Foto: BMG)

Rufus Wainwrights neues Album ist nicht pompös-operettenhaft, sondern endlich mal wieder lockerer Pop. Am Telefon wird der Sänger wie gewohnt sehr privat - und plaudert über heteronormative Rollenerwartungen und Psychotherapie.

Von Jan Kedves

Man könnte mit Rufus Wainwright problemlos ein ganzes Interview lang nur darüber reden, wie es ist, einer der beiden Väter der Enkelin von Leonard Cohen und ein verheirateter schwuler Mann zu sein. Viva heißt seine Tochter, sie kam im Februar 2011 zur Welt. Wainwright hat sie mit Lorca Cohen gezeugt, der Tochter von Leonard Cohen. Es gibt im Internet ein sehr süßes Foto von Viva, wie sie sich an ihren Großvater, den großen Folk-Melancholiker, schmiegt, während der, deutlich schon vom Krebs gezeichnet, in einem blauen Sessel sitzt und etwas mit seinem iPhone macht.

"Es war Lorcas Idee", sagt Wainwright, das heißt: Es war Lorcas Idee, zusammen ein Kind zu bekommen. Sie und er kannten sich von klein auf, beide sind in Montréal, Quebec, aufgewachsen als Kinder von Folk-Legenden, beide leben heute in Los Angeles.

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Und da sieht es für Rufus Wainwright mit seiner poetisch-morbiden Kitsch-Vorliebe schlecht aus. "The Streets" hätte bessere Chancen - aber auch der wechselt langsam auf die Seite der Lieben.

Rufus Wainwrights Mutter, die kanadische Folk-Sängerin Kate McGarrigle, starb 2010. Sein Vater ist der amerikanische Folk-Sänger Loudon Wainwright III, nun 73. Seit acht Jahren ist Wainwright verheiratet. Seinen deutschen Mann Jörn Weisbrodt lernte er 2005 nach einem Konzert in der Berliner Passionskirche kennen. "Das war bei der Tour, bei der ich mich am Ende der Konzerte immer ausgezogen habe. Ich war da also halb nackt auf dem Altar und machte ein bisschen Werbung für meinen Körper. Das hat sich ausgezahlt!", sagt Wainwright über die Nacht, als er seine Liebe traf, dazu lacht er sein ausgedehntes, dreckiges Lachen: "Hach-hach-ha!"

Weisbrodt ist in Los Angeles nun "deputy dad" von Viva, also stellvertretender Papa, und Leonard Cohen war in den vergangenen Jahren seines Lebens - er starb im November 2016 - Großvater einer modernen Queerfamilie.

Das Private drängt immer wieder ins Gespräch mit hinein

Es sei rührend gewesen, ihn nicht nur als Legende kennenzulernen, sondern als "netten alten jüdischen Opa, der uns Ratschläge gab" und der zu ihm, Rufus, lustige Dinge sagte wie: "Jesus sagte, dass es wichtiger sei, was aus deinem Mund herauskommt, als was in ihn hineingeht." Ein sexuelles Innuendo vielleicht auch?

Wainwright, 46, kichert. "Glaube ich nicht, aber ich habe von Leuten gehört, dass Cohen in jungen Jahren ein paar schwule Affären hatte. Also, das hat er mir nicht selbst erzählt! Andere haben es mir erzählt. Das waren aber bestimmt keine allzu wilden Sachen. In Cohens Generation haben sich doch alle mal ein bisschen ausprobiert, oder? Alle, bis auf meinen Vater! Hach-hach-ha!"

Falls man also dachte, mit Rufus Wainwright vor allem über sein neues, wunderbares Album "Unfollow The Rules" (BMG) zu sprechen: Das Private, es drängt immer wieder mit hinein, und man braucht sich dabei gar nicht indiskret vorzukommen. Zum Beispiel erzählt Wainwright auch, dass er vor einer Weile mit seinem Vater ein paar Sitzungen Psychotherapie gemacht habe. "Es war keine weltbewegende Erfahrung in dem Sinne, dass wir uns heulend in den Armen gelegen und uns ewige Versöhnung geschworen hätten. Aber ich musste ihm einfach mal in einem sicheren Rahmen, in Anwesenheit einer dritten Person, ein paar Sachen sagen."

Als Zeugnis väterlichster Heteronormativität schrieb Wainwrights Vater "Rufus Is A Tit man"

Die Schwierigkeiten von Loudon Wainwright III, mit dem Schwulsein seines Sohnes klarzukommen, sind gut dokumentiert. Für den Vater stand schon 1975, als Rufus gerade mal zwei war, fest, dass sein Sohn ein Busenliebhaber sein müsse. "Rufus Is A Tit Man" hieß der entsprechende Song - ein Zeugnis väterlichster Heteronormativität und Rollenerfüllungs-Erwartung. "Ja, auf mich ist im Laufe der Jahre schon alles Mögliche projiziert worden, nicht nur als Kind!", sagt Rufus Wainwright, und sein Grinsen lässt keinen Zweifel daran, dass in seinem Verständnis projizieren auch gut ejakulieren bedeuten kann: "Hach-hach-ha!"

Die Selbstironie ist entwaffnend, sie zeichnet auch "Unfollow The Rules" aus, ein Album, auf dem Wainwright ganz entspannt zwischen Drama, Pathos und verträumtem Ennui, zwischen Größenwahn und Selbsternüchterung wandelt. "You Ain't Big" heißt einer der zwölf Songs. In ihm findet Wainwright sich schulterzuckend damit ab, dass er, auch wenn er auf der Streaming-Plattform Spotify zuletzt monatlich bis zu 5,5 Millionen Hörerinnen und Hörer hatte, wohl niemals zu den ganz großen Popstars gehören wird.

Er malt sich aus, dass er friedlich an einem Nachmittag sterben will

Denn ein ganz großer Popstar ist man ja nur, wenn man es schafft, auch in Texas, Kansas und - so singt er im Song - in "God forbid, Southern Pennsylvania" die Hallen zu füllen, also: wenn man auch das stockkonservative Publikum im sogenannten Bibelgürtel der USA für sich begeistert. Ob einem das als schwuler Sänger mit Neigung zu Kitsch und Camp gelingen kann? Eher nicht. Wainwright singt dieses "You Ain't Big" aber ganz stolz. Musikalisch ist der Song ein toller Glam-Blues-Country-Hybrid mit Schubidu-Schunkel-Feeling.

Auch "Peaceful Afternoon" ist gelungen: eine schwungvoll dahingeklampfte Hymne aufs Älter-und-irgendwann-sterblich-werden mit Ehemann und den alltäglichen Krisen bis dahin. Wainwright singt: Erinnere dich zwischen Sex und Tod und dem Versuch, die Küche sauber zu halten, daran, dass wilde Rosen am besten in Ruinen blühen. Poetisch und morbide. Er malt sich aus, dass er friedlich an einem Nachmittag sterben will und dass das letzte Gesicht, das er sehen will, das seines Ehemanns ist. Man könnte das ein bisschen egoistisch finden. Weswegen Wainwright mit supersanften, langen Vibrati nachschiebt, dass sein Gesicht natürlich auch das letzte sein wird, das sein Mann sieht, sollte er vor ihm sterben. Seufz, wie rührend!

Abgesehen davon bietet "Unfollow The Rules" erwachsenen Kammerpop mit barocker Camp-Glasur ("Hatred") oder, in "This One's For The Ladies", zarte Harfenglissandi, Oboen und jauchzende Chöre. Es ist aber gar kein pompöses, sondern ein lockeres, poppiges Album, so wie man es sich von Wainwright endlich mal wieder gewünscht hat - nach seinen sensationellen Frühwerken "Poses" (2000) und "Want One" (2003) driftete er bisweilen ja in allzu bildungsbürgerliches Kunstwollen und theatralische Shakespeare- und Operetten-Anbetung ab.

Eine komische und zeitgenössische Vorstellung: Regeln entfolgen, per Knopfdruck

Wainwright erzählt, den Albumtitel "Unfollow The Rules" habe er seiner Tochter Viva zu verdanken. "Sie kam ins Wohnzimmer gelaufen, sagte: ,Daddy, sometimes I just want to unfollow the rules!', und lief wieder raus. Keine Ahnung, wie sie in ihrem brillanten kleinen Kopf darauf kam." Daddy, manchmal will ich einfach die Regeln entfolgen: Es ist eine so komische wie zeitgenössische Vorstellung, dass man sich Regeln einfach entledigen könnte, so wie man einfach ein nerviges Profil auf Instagram oder Facebook entfolgt: ein Knopfdruck, fertig.

Mit dem Album wollte Wainwright diesen Sommer eigentlich durch Europa touren, dafür war auch schon, als Drehscheibe sozusagen, die Wohnung in Berlin-Mitte geräumt worden, die sein Mann Jörn noch vor seinem Umzug nach L.A. kaufte ("Als es noch bezahlbar war"). Die Mieter: schon rausgeworfen. "Sorry!", sagt Wainwright. Das Coronavirus brachte dann auch hier alles durcheinander.

Statt Konzerte in Hallen und Sälen zu spielen, sitzt Wainwright nun weiter mit seiner Familie im Laurel Canyon in L.A. und unterhält seine Fans mit einer kleinen Livestream-Serie: Er allein am Flügel im Wohnzimmer, gerne noch im Hausmantel am Morgen, mit umso zerzausterem Bart. "Quarantunes" nennt er diese süßen Heimkonzertchen.

Auftritte vor Publikum wird es wohl frühestens im kommenden Jahr wieder geben. Aber das Leben muss ja weitergehen und irgendwie spannend bleiben. Deswegen gibt es in der Wainwright-Weisbrodt-Cohen-Queerfamilie Nachwuchs: ein knuddeliger Hundewelpe mit eisblauen Augen. Und Wainwright hat ihn genau so genannt, wie man sich denkt, dass ein Popsänger mit Hang zu Operette und augenzwinkerndem Drama seinen Hund nennen müsste: Puccini!

https://www.youtube.com/watch?v=jpctp1MjYnU&list=OLAK5uy_k_HCGeZTbz43C9pyR9JQsTp5Jo3_GKaNw&index=4

© SZ vom 11.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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